Ehrenamt in Uniform:Der friedliche Soldat

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Florian Völler schob zwölf Jahre lang Dienst an der Waffe. Heute warnt er vor Krieg und seinen Folgen. Für den 35-Jährigen kein Widerspruch.

Von Claudia Koestler

Auf den ersten Blick mag es wirken wie ein wandelnder Widerspruch: Ein ehemaliger Soldat in Uniform, der sich leidenschaftlich für den Frieden einsetzt. Doch für Florian Völler ist das keine Unvereinbarkeit, sondern nur konsequent. Schließlich hat der 35-Jährige, der zweimal im Balkan im Einsatz war, selbst erfahren, wie sich Folgen eines Krieges in einem Land auch noch Jahre später auswirken. Heute, nach seiner aktiven Dienstzeit, ist der gebürtige Tölzer, der in Geretsried wohnt, ehrenamtlich als Kreisbeauftragter für den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge unterwegs, wo er zudem im Bezirks-, und Landesvorstand aktiv ist. In dieser Funktion arbeitet er nun zunehmend mit Schulen zusammen, um junge Menschen für die Schrecken des Krieges zu sensibilisieren. Ein Interview über scheinbare und echte Gegensätze, Überzeugungen und Lehren aus der Geschichte, die immer dann besonders einprägsam sind, wenn es persönlich wird.

SZ: Herr Völler, bestimmt sind viele Landkreisbürger Ihnen schon einmal begegnet - wenn Sie mit der Sammelbüchse des Volksbunds am Friedhof stehen oder von Haus zu Haus ziehen. Was genau ist denn die Aufgabe des Volksbunds?

Florian Völler: Die Aufgaben sind sehr vielseitig. Er wurde 1919 als Organisation gegründet, quasi aus der Not heraus, weil so viele Deutsche in fremden Territorien gefallen waren. Wir pflegen die Kriegsgräberstätten im Ausland, suchen nach Vermissten, forschen nach Gräbern und betreuen Angehörige. Gerade die Trauerarbeit ist ein großes Thema, denn wenn man nicht weiß, wo der Angehörige liegt, wenn man sich also nicht verabschieden kann, ist ein Abschluss der Trauer eigentlich unmöglich. Und wir beschäftigen uns mit der Geschichte, machen Jugend-, Schul- und Bildungsarbeit und veranstalten internationale Workcamps, wo wir auch Jugendliche von ehemals verfeindeten Nationen auf den Kriegsgräberstätten zusammenführen. Kurzum: Unsere Aufgabe ist die Arbeit für den Frieden mit der Versöhnung über den Gräbern.

Sie haben sich selbst einmal für den Dienst an der Waffe entschieden und sind nun mit dem Volksbund Friedensaktivist. Das ist doch ein Widerspruch.

Überhaupt nicht, sondern für mich ist das eine logische Konsequenz.

Wie geht das zusammen?

Nur weil ich eine Waffe trage, heißt das ja nicht, dass ich jemanden ermorde. So schräg es klingen mag, aber Waffe und Uniform sind in meinen Augen Friedensdienst. In Afghanistan etwa können nur deshalb junge Menschen wieder zur Schule gehen, weil dort Soldaten für Sicherheit sorgen. Zudem ist die Bundeswehr eine Parlamentsarmee - jeder Einsatz benötigt die Zustimmung des Bundestages.

Müssen Sie sich, wenn Sie mit der Büchse unterwegs sind, oft rechtfertigen?

Ja, das kommt hin und wieder vor. Aber die Uniform gehört zu mir, ich werde sie weiter tragen. Ich unterhalte mich aber auch mit jedem, der gegen die Uniform ist, jeder darf seine Argumente vorbringen, ich akzeptiere die, keine Frage. Ich versuche aber klarzumachen, dass wir eigentlich alle das gleiche Ziel haben. Keine Kriege mehr zu erleben, weder für unsere Generation noch für nachfolgende.

Sie sind mit 35 Jahren relativ jung. Wie kommt man da 2002 auf die Idee, zum Bund zu gehen und sich nicht eine - friedlichere - Alternative zu suchen?

Die Grundentscheidung war nicht die meine. Die war, dass mein Vater sagte: "Der Bua soll was Gscheits machen. Da gehst zum Bund."

Als junger Mensch will man doch aber seinen eigenen Weg finden. Haben Sie nicht rebelliert?

Dadurch, dass mein Vater selbst nicht gedient hat, war es etwas entspannter. Er hat quasi wie der Blinde von der Farbe geredet. Ich bin da unbelastet rangegangen.

Und der Freundeskreis?

Da sagte keiner, wie kannst du nur. Damals hat auch noch die Wehrpflicht gegolten, es war also nicht unüblich. Unüblich war eher, dass ich mich gleich für zwölf Jahre verpflichtet habe. Vorher war ich noch nie wirklich weg von zu Hause, und dann war das eine komplett andere Welt. Gleich mal drei Monate lang zur Grundausbildung mit zehn Mann auf der Stube liegen und damit klarkommen, ob man will oder nicht.

Haben Sie irgendwann einmal mit der Entscheidung gehadert?

Nur, als sich die Bundeswehr nach 9/11 an den Afghanistaneinsatz angeschlossen hat. Damals hat meine Mutter gesagt, solltest du jemals in den Einsatz nach Afghanistan müssen, schmeiß ich dich vorher die Treppe runter, damit du dir ein Bein brichst und du nicht fliegen musst. Überzogen gesagt.

Hat den Satz Ihr Vater gehört?

Ja, aber er meinte, das gehört dazu. Es wurde auch tatsächlich schnell klar, dass der Auslandseinsatz Bestandteil des Soldatenberufs ist. Was es dann wirklich bedeutet, machten mir erst die nachfolgenden Jahre bewusster. Und ja, ich würde es wieder tun, also zum Bund gehen - zumindest zu dem Zeitpunkt, zu dem ich eingetreten bin, nicht unbedingt heute.

Was ist denn heute anders?

Die Kameraden, egal welchen Geschlechts, machen heute den gleich guten Job, im In- und Ausland. Man hat es bei der Schneekatastrophe gesehen, ohne Murren und Knurren waren sie da. Was sich stark verändert hat, ist die Einsatzhäufigkeit, die Verringerung der Pausenzeiten zwischen den Einsätzen und die dadurch steigende Belastung für die Kameraden und deren Familien. Auch das Führungsverhalten hat sich verändert, spätestens mit den Debatten um das Gedenken. Die vergangenen fünf, sechs Jahre waren medial Gift für die Truppe. Und das hat den Zusammenhalt intern verändert - meine persönliche Meinung.

Was glauben Sie denn, was die Öffentlichkeit denkt?

Nehmen wir nur mal den Landkreis, da sehen die Bürger die Bundeswehr nur, wenn eine Übung stattfindet - und da ist sie irgendwie lästig. Oder bei Gelöbnissen. Und dem Wasserspringen in Kochel. Vor der Aussetzung der Wehrpflicht konnte man sagen, der Bund ist ein Spiegel der Gesellschaft. Heute ist die Mischung anders. Und die steht eher am Rand der Gesellschaft - es geht nur noch der zum Bund, der wirklich möchte.

Vielleicht, weil der Anblick von Uniform und Waffe sofort mit Krieg verbunden wird. Man wünscht sich doch eine Welt ohne kriegerische Auseinandersetzungen. Wenn es also keine Soldaten gäbe, gäbe es auch keinen Krieg?

Ganz klares Nein. Wenn man die weltweiten Kriege in den vergangenen zwei, drei, vier Jahren betrachtet, dann sind das keine Kriege von Armee gegen Armee. Sondern von Milizen gegen Staaten. Hätten wir keine Soldaten, hätten wir mehr Krieg. Davon bin ich überzeugt.

Wehrhaftigkeit als Schutz also?

Ja.

Ist es angesichts der deutschen Geschichte nicht besonders schwierig, wenn ausgerechnet ein Soldat für Frieden steht?

Im Gegenteil, es ist unabdingbar wichtig. Max Mannheimer hat es sehr schön formuliert: Wir sind nicht schuld an dem, was passiert ist. Aber wir sind verantwortlich, dass es nicht wieder passiert. Also versuchen wir mit dem Volksbund, ganz klar die Schrecken des Krieges plastisch zu machen und den Wert des Friedens hochzuhalten.

Wie zum Beispiel?

Speziell im Landkreis haben wir uns im vergangenen Jahr eingehend mit dem Thema 100 Jahre Erster Weltkrieg befasst und dazu unter anderem mit der Tölzer Montessorischule ein Projekt initiiert mit direktem Lokalbezug. Die Schüler haben ein Hörspiel entwickelt, Karten mit Schicksalen erarbeitet, wir haben in nächtelanger Arbeit die Sütterlinschrift von Dokumenten und Kriegsstammrollen aus den Archiven entziffert und letztlich allen 173 gefallenen Tölzern aus dem Ersten Weltkrieg ein Gesicht oder eine Geschichte gegeben. Denn nur über den persönlichen Bezug kann Geschichte erfasst werden, berühren, bewegen, mahnen - davon bin ich überzeugt. Da war zum Beispiel ein Seemann aus Lenggries, ein Bäckerssohn, der auf der SMS Mainz gedient hat und relativ früh in einer Seeschlacht untergegangen ist. 100 Jahre scheinen weit weg, aber je mehr man erfährt, desto näher rückt die Geschichte wieder, wird begreifbar, geht nah. Und Trauer hat kein Ablaufdatum.

Der Volksbund initiiert auch den Volkstrauertag, der ja nicht nur der deutschen Kriegstoten gedenkt, sondern der Opfer von Gewaltherrschaft weltweit. Immer wieder wird jedoch Kritik laut, dass ihn rechte Gruppen an diesen Veranstaltungen für ihre Zwecke missbrauchen. Gehört er deshalb abgeschafft?

Er wurde in der NS-Zeit missbraucht, ganz klar, und auch heute gibt es mancherorts solche Versuche. Aber eigentlich ist der Volkstrauertag der höchste Friedensgedenktag, den wir außerhalb der Kirche haben. Er mahnt gegen die Schrecken des Krieges. Und das soll bleiben, deshalb sehe ich es klar als unsere Aufgabe, aufzuklären und zu sagen, Leute, so etwas darf nicht mehr passieren. Und was die Symbolik angeht: Deswegen habe ich im vergangenen Jahr versucht, es anders aufzuziehen. Wir haben abends in der Tölzer Marktstraße eine Friedensmahnwache gemacht und bewusst Kinder und Eltern eingeladen. Mit 173 Kerzen - eine für jeden Tölzer, der nicht mehr heimkam. Ich will der Jugend zeigen, was hinter den Denkmälern steckt und was es für uns heute bedeutet.

Nämlich?

Die Situation in Europa, 74 Jahre nach Kriegsende, mit dem Rechtsruck, den wir in der Gesellschaft erleben, ist erschreckend, insbesondere vor dem Hintergrund unserer Geschichte. Da finde ich es wichtiger denn je, das Kriegsgrab als Mahnmal zu sehen. Und auch - und das wird leider oft missverstanden - das örtliche Kriegerdenkmal und den Volkstrauertag.

Gibt es schon Pläne für weitere Aktionen?

2020 werden wir zusammen mit Schulen in Bad Tölz und Geretsried jeweils ein großes Friedensprojekt initiieren. Und auch mit den Verantwortlichen des Badehauses bin ich in Kontakt. Und ja, ich werde auch weitersammeln. Ich stehe da nicht als Soldat, sondern als Vertreter des Volksbundes. Mit einem klaren Ziel: Frieden.

Für das Schuljahr 2019/2020 schreibt der Volksbund einen Schülerwettbewerb aus zu "Spurensuche 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs". Mehr unter www.volksbund.de/bayern

© SZ vom 08.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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