Hilfen für Kinder und Jugendliche:Seelische Wunden durch Corona

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Die Zeit der Corona-Pandemie hat bei Kindern, Teenagern und jungen Erwachsenen psychische Spuren hinterlassen, die häufig erst jetzt sichtbar werden. (Foto: CHROMORANGE / Andreas Poertner via www.imago-images.de/www.imago-images.de)

Übergewicht, Sucht, Lerndefizite, Angst: Die Folgen der Pandemie zeigen sich oft erst jetzt. Der Steuerungsverbund Psychische Gesundheit stellt unter dem Motto "Mut zum Hinwenden" Hilfen und Angebote im Landkreis vor.

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Corona ist weitgehend aus den Schlagzeilen verschwunden, aber die psychischen Folgen der Pandemie für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene kommen oft erst jetzt so richtig zum Vorschein. In der Fachklinik Gaißach, die ein überregionales Einzugsgebiet hat, erlebe man "sehr flächendeckend, was sich in den letzten Jahren ereignet hat", sagt Oliver-Arnold Gießler-Fichtner, leitender Psychologe an der Klinik und Vorstandsmitglied im Steuerungsverbund Psychische Gesundheit (SPG) im Landkreis. Die seelischen Nachwirkungen von Corona reichten Studien zufolge von Lerndefiziten über Übergewicht und Essstörungen, erhöhtem Medienkonsum und Süchten bis hin zu Ängsten, Stress, Traurigkeit, sozialem Rückzug und Suizidgedanken.

Unter dem Motto "Mut zum Hinwenden" nimmt der Steuerungsverbund an der bundesweiten Aktionswoche für seelische Gesundheit teil, die noch bis zum 20. Oktober stattfindet und die Überschrift "Zusammen der Angst das Gewicht nehmen" trägt. Dabei geht es vor allem um die psychischen Belastungen durch Krisen wie Corona, Ukraine-Krieg oder Klimawandel. Das Wort Angst möchte Psychiater und SPG-Vorsitzender Arnold Torhorst lieber nicht in den Mund nehmen. "Alle wissen um die Probleme, aber wir sind ja schon auf dem Weg", meint er. "Die Fakten kennen wir, wie sehen Lösungen und Wege aus? Wir zeigen auf, wie die Wege bei uns regional sind."

"Wir müssen die Kindergesundheit in den Blick nehmen."

Die Corona-Zeit wirkt sich auf Kinder und Jugendliche unterschiedlich aus, wie Gießler-Fichtner berichtet. Grob gesagt: In stabilen Verhältnissen litt der Nachwuchs in der Regel weniger unter der Pandemie. Dabei gehe es nicht nur um familiäre Sicherheit, sondern ganz einfach auch um Wohlstand, so der Psychologe. "Da lebt man eben nicht im fünften Stock in einer engen Wohnung ohne Balkon." Und hat auch Laptop und Smartphone. Gießler-Fichtner fordert nach den Erfahrungen der Corona-Zeit: "Wir müssen die Kindergesundheit in den Blick nehmen, viel läuft nicht gut und die, die ohnehin schon benachteiligt sind, rutschen noch weiter runter."

In der Fachklinik Gaißach erlebe man "sehr flächendeckend, was sich in den letzten Jahren ereignet hat", sagt Psychologe Oliver-Arnold Gießler-Fichtner zu den seelischen Auswirkungen der Pandemie auf junge Leute. (Foto: Manfred Neubauer)

Auch junge Erwachsene kämpfen mit psychischen Problemen. In der Gaißacher Klinik melden sich junge Leute, die Schwierigkeiten haben, nach Corona wieder in den gewohnten Alltag zurückzufinden, und beispielsweise ihr Studium aufgaben. Sie fühlen sich überfordert, sind niedergeschlagen und erschöpft. Ihre Anfragen hätten sich Vergleich zu 2018 nahezu verdreifacht, sagt Fachdienstleiterin Sonja Baier vom Sozialpsychiatrischen Dienst der Caritas in Bad Tölz. "Das ist schon erschreckend." Diese Fälle zeichneten sich durch "Intensität und Komplexität" aus.

"Corona hat uns häufig den Spiegel vorgehalten, wo Lücken im System sind."

"Corona hat uns häufig den Spiegel vorgehalten, wo Lücken im System sind", sagt Gießler-Fichtner. Noch immer gebe es Wartezeiten von mehreren Monaten für psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche. Personelle Ressourcen fehlten nicht bloß in der Therapie, sondern zum Teil auch in der Beratung. Als Beispiel nannte Gießler-Fichtner, dass es derzeit nur eine Vollzeitkraft in der Jugendsuchtberatung für den gesamten Landkreis gebe. Dem gegenüber stehe "ein riesiger Bedarf an Beratung für Kinder und Jugendliche, die Orientierung brauchen".

Allerdings gibt es schon ein ganzes Bündel an Hilfen. Die Beratungsstelle des Netzwerkes für psychische Gesundheit der Caritas Bad Tölz-Wolfratshausen bietet kostenlose Beratung für alle Bürgerinnen und Bürger ab 18 Jahre aus dem Landkreis an, für Betroffene ebenso wie für Angehörige, auch per Telefon, Chat, Videoberatung, Hausbesuch. Ohne Diagnose, ohne Überweisung.

Die Hilfen und Angebote erläuterten (v. li.) Christel Hansing, Christine Bartl, Arnold Torhorst, Christine Böhm, Sonja Baier, Oliver-Arnold Gießler-Fichtner und Anna Moosheimer. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Eine andere Anlaufstelle ist der Krisendienst Psychiatrie Oberbayern. Corona, Ukraine, Klimawandel - "wir hangeln uns ja von Krise zu Krise, dabei sind die individuellen Krisen noch gar nicht berücksichtigt", sagt Anna Moosheimer, Gebietskoordinatorin des Krisendienstes, der in allen sieben Bezirken Bayerns angesiedelt ist. Dabei gebe es nicht den einen Weg aus einer Krise heraus. "Wir schauen uns individuell an, was eine Person braucht, um aus einer Krise herauszufinden", sagt Moosheimer.

An den Krisendienst können sich Betroffene, Angehörige, Betreuende, Ärzte, Fachstellen und Einrichtungen wenden. "Tatsächlich jeder", sagt Moosheimer. "Und dies aus nahezu jedem Anlass." Zu erreichen ist er kostenlos unter Telefon 0800/655 3000 an jedem Tag des Jahres, rund um die Uhr. Der Krisendienst rücke auch zu mobilen Einsätzen aus, jedoch nur mit Zustimmung der betroffenen Person, so die Gebietskoordinatorin. Schweigepflicht und Datenschutz seien gewährleistet.

Christel Hansing plant neue Selbsthilfegruppe "Miteinander reden"

Und dann gibt es da auch noch die Selbsthilfegruppen. Allerdings weniger als früher. In der Corona-Zeit haben sich viele von ihnen aufgelöst, junge Leute nutzen ohnehin lieber Foren im Internet. Christel Hansing plant nun aber eine neue Gruppe "Miteinander reden", die sich am 8. Januar 2024 erstmals im Tölzer Franziskuszentrum treffen soll. Sie hat eine Weiterbildung in Berlin als Genesungsbegleiterin absolviert, als sogenannte "Ex-In". Dies sind Betroffene, die aus der Krise herausgefunden haben, also genesen sind und deshalb wissen, wie der Weg aussehen kann. Die neue Gruppe basiere auf Selbstreflexion und Selbsterkenntnis, betont Hansing.

Für Angehörige psychisch erkrankter Menschen besteht bereits eine Selbsthilfegruppe, die sich jeden dritten Montag im Monat im Tölzer Franziskuszentrum trifft (Beginn 18.30 Uhr). "Sie hat mir sehr geholfen", sagt Christine Bartl. Es geht um Angst und Ratlosigkeit, um Schuld und Schamgefühle, um Vereinsamung und Überforderung. Seit der Pandemie, so Bartl, gebe es "viele Eltern, die Probleme mit ihren Kindern zwischen 19 und 25 Jahren haben". Die jungen Leute haben ihr Studium hingeworfen, sitzen bei ihren Eltern herum, gehen nicht aus dem Haus. Gerade so, als gelte noch immer ein Lockdown.

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