Musik in der Region:Projekt Zusammenklang

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Weihnachtszeit ist Klangzeit, Chormusik steht vielerorts auf dem Programm. Kirchenchöre unterliegen aber einem Strukturwandel, auch in der Region. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Singen fördert die Gemeinschaft, macht glücklich und hat einen gesellschaftlichen Mehrwert. Trotzdem löst sich hierzulande mancher Chor auf. Doch es gibt auch neue Ansätze und Gegenbeispiele.

Von Paul Schäufele, Bad Tölz-Wolfratshausen

Und damit war's vorbei. Das letzte Stück gesungen, die letzte Note verklungen. 33 Jahre gemeinsamen Singens, Jahrzehnte musizierend gelebten Lebens einer zusammengewachsenen Gemeinschaft. Die Münsinger Chorgemeinschaft Sankt Georg in der Kirche Sankt Peter in Ammerland hat sich nach einem letzten Mal gottesdienstlicher Begleitung inzwischen selbst aufgelöst. Zu wenige Mitglieder, der steigende Altersdurchschnitt, keine Kraft zu einer Erneuerung unter einem neuen Leiter oder einer neuen Leiterin. Doch was ist dran an der schnell formulierten These vom Ende der Chöre, zumal der Kirchenchöre?

Für Ursula Neumeister, die mehr als 25 Jahre in der Gemeinschaft gesungen hat, war das Ende des Ammerlander Chores abzusehen. Er sei im Ganzen schon sehr betagt gewesen, sagt die pensionierte Lehrerin. Was nicht bedeute, dass der Abschied leicht gefallen sei. "Es fällt viel weg, wenn sich eine ganze Gemeinschaft auflöst", sagt sie. Während der Arbeit an mehr als 300 Konzerten in den Kirchen der gesamten Gemeinde seien die Chormitglieder zusammengewachsen. "Es war halt immer ein Miteinander da, wenn man gemeinsam an einem Stück gearbeitet hat." Gerade ihr, einer Evangelischen, habe es gefallen, in der Begleitung katholischer Messen eine neue Art musikalischen Ausdrucks kennenzulernen. Besonders emotional sei das Abschiedskonzert gewesen. Der Chorgründer, der erste und einzige Leiter, Ludwig Ettmayr, hatte dafür eine Eigenkomposition einstudieren lassen. Mit seiner Missa brevis verabschiedete man sich. Damit geht nicht nur eine Möglichkeit, sich musikalisch zu engagieren, verloren: "Wir haben auch viel gefeiert", sagt Neumeister und lacht. Geburtstage wurden begangen, Ausflüge gemacht, nach Nürnberg, nach Regensburg.

Und doch hat das Ende des Chores niemanden wirklich überrascht. Nicht nur, weil der verdiente Chorleiter mit 86 Jahren beschloss, dass es an der Zeit sei, aufzuhören, auch wenn das Niveau bis zum Schluss beachtlich geblieben ist. Denn was bis vor einigen Jahren noch selbstverständlich war, wird seltener. Das Chorsingen in den kirchlichen Ensembles verliert augenscheinlich an Reiz.

Mark Ehlert, Leiter des Kirchenchores Sankt Andreas Wolfratshausen, bei der Probe. (Foto: Hartmut Pöstges)

Mark Ehlert, Kirchenmusiker in Wolfratshausen, sieht es weniger drastisch: "Es ist eigentlich kein Chorsterben, es sind einzelne Chöre, die sterben." Seine Gruppe, der Chor der katholischen Stadtkirche Sankt Andreas, besteht aus 40 Sängerinnen und Sängern, der Altersdurchschnitt liegt bei 46 Jahren. Das überrascht. "Ja, ein Junger versaut den Schnitt", schmunzelt Ehlert. Gleichwohl hat der Chor keine nennenswerten Nachwuchsprobleme, obwohl die Rahmenbedingungen speziell sind: Wer hier singt, weiß, dass er gerade an den Feiertagen gefordert ist. Dafür bekommt er Stimmtraining und die Aufnahme in eine gute, loyale Gemeinschaft, wie Ehlert betont.

Eine loyale Gemeinschaft: der Kirchenchor Sankt Andreas Wolfratshausen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Sein evangelischer Amtskollege Andreas Schierlinger-Langeheinecke sieht das ähnlich. Der Kirchenchor ist zwar mit 15 Mitgliedern etwas kleiner, doch auch hier stehe das "Gemeinschaftserlebnis" im Vordergrund, so der Kantor. Die Bedingungen, die das Format Kirchenchor stellt, müssten aber akzeptiert werden. Dazu gehört das Repertoire: "Wir müssen das Proprium einhalten", sagt er, also die wechselnden Elemente der Liturgie. Klassiker stehen folglich im Zentrum, das geistliche Lied. Es müsse zudem klar sein, dass ein Mitsingen nur möglich ist, wenn man regelmäßig teilnimmt. Darin sieht der Kirchenmusiker die Schwierigkeit: "Sich an den Chor zu binden, ist das Problem. Das Freizeitverhalten hat sich einfach geändert."

Der Kirchenchor Sankt Michael Wolfratshausen unter der Leitung von Andreas Schierlinger-Langeheinecke (re.) bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem Chor der Bethlehemskirche München. (Foto: Hartmut Pöstges)

Wenige hätten den Mut, sich zu verpflichten, jeden Dienstagabend in den Gemeindesaal zu kommen. Ausnahmen bestätigten die Regel. Eine Sängerin habe den Chor zwar wegen eines Auslandsaufenthalts verlassen, stieg aber nach der Rückkehr wieder ein. Derart Entschlossene würden profitieren: "Die Leute gehen nach der Probe beschwingt nach Hause", so Schierlinger-Langeheinecke.

Der Leiter des Basilikachores Benediktbeuern Hans Peljak. (Foto: Veranstalter/oh)

Und gesünder, würde Hans Peljak ergänzen. Peljak, der den Kirchenchor Benediktbeuern leitet, verweist wie seine Kollegen auf das Gemeinschaftsgefühl, doch es gebe auch gesundheitliche Vorteile des Singens: Die Immunabwehr würde gestärkt, der Kreislauf in Schwung gebracht. Als Argument mag das allerdings wenige Leute zum Mitsingen animieren. Peljak sieht die Zukunft der Kirchenchöre daher pessimistisch. "Noch haben wir viele Chöre, doch das wird sich ändern", sagt er. "Die Notwendigkeit sehen viele nicht mehr." Wo früher der Chor eine der wenigen Möglichkeiten war, überhaupt mit Musik in Kontakt zu kommen, gibt es heute eine Vielzahl an Optionen. Streamen, Herunterladen, Tonträger kaufen, Musik ist heute omnipräsent.

Abstriche möchten die Wolfratshauser und der Benediktbeurer Chorleiter nicht machen, weder beim Repertoire noch beim Probenrhythmus.

Heutzutage sind die Möglichkeiten, Musik zu erleben, vielfältiger denn je. Doch das Singen im Chor hat gesellschaftlichen Mehrwert. (Foto: Robert Haas)

Christoph Heuberger hat dazu eine andere Meinung. Seit 35 Jahren gestaltet Heuberger in Bad Tölz die Kirchenmusik, hat also eine weite Perspektive aufs Thema. Früher sei das Kirchenchorsingen ganz klaren Regeln gefolgt. Man probt einmal pro Woche, gestaltet dann die Messe mit und einmal im Jahr gibt es ein Konzert. Dieses Modell werde immer brüchiger, die Leute möchten flexibler sein. Doch wo andere Chorleiter auf Konstanz im Proben bestehen, ist Heuberger anderen Lösungen gegenüber offen: "Wir müssen das Ganze anders anpacken", sagt er. Das Stichwort laute "projektbezogenes Arbeiten". Aus einem Pool an Vokalisten suche man sich Interessierte zusammen, die für ein bestimmtes Event gewonnen werden können.

Probe des Tölzer Kirchenchores mit Christoph Heuberger (re.) im Pfarrsaal Bad Tölz. (Foto: Manfred Neubauer)

Das sei viel mehr Arbeit für den Chorleiter: "Organisieren, anrufen, sich um Aushilfen bemühen. Ich merke, wie anstrengend das ist", sagt Heuberger, der sich mit Beginn seines Ruhestands im kommenden Jahr davon erholen kann. Ein Stück weit müsse man den Leuten aber eben entgegenkommen. Die These vom Chorsterben hält Heuberger für übertrieben. Es komme nur darauf an, die Bedürfnisse der Sängerinnen und Sänger aufzugreifen. Schließlich sei man froh um jeden, der das Repertoire liebt und selbst gemerkt hat, "was die geistliche Musik für ein Schatz ist".

Ein leerer Probenraum - aber nur pausenbedingt. Der Präsident des bayerischen Sängerbunds sieht kein Chorsterben, doch seien Veränderungen wichtig. (Foto: Florian Peljak)

Alexander Seebacher, Präsident des bayerischen Sängerbunds, verneint die Annahme vom Chorsterben vehement. Zwar ist der Sängerbund nicht vorrangig für Kirchenchöre zuständig, doch die Tendenzen zeichnen sich auch in den dort vertretenen Chören ab: Corona hat vielen Chören zugesetzt, Leute wollen ihre Zeit frei ausfüllen können, ohne Verpflichtungen. Seebacher sieht auch die Lösung in der Projektarbeit. Das Endergebnis habe dieselbe Qualität, egal, ob sich ein Chor monatelang jede Woche getroffen habe oder zu ein paar intensiven Probewochenenden. Ein spezifisches Problem gebe es auf dem Land. Kleiner werdende Dorfgemeinschaften führten zu schrumpfenden Chören. Hier appelliert Seebacher daran, über den Schatten zu springen: "Wenn ich zwei kaum überlebensfähige Chöre in Nachbardörfern habe, da muss ich doch sagen 'Leute, schließt euch zusammen!' Das scheitert aber oft."

Die Mixed Voices sind ein gemischter A-cappella-Chor aus Geretsried unter der Leitung von Roland Hammerschmied. Spezialisiertere Chöre verbuchen derzeit mehr Erfolg als klassische Kirchenchöre. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Wird die heilige Nacht also in der Tat bald eine stille Nacht sein? Die demografische Entwicklung, das Ideal der spontanen Freizeitgestaltung und die in der allgemeinen Wahrnehmung gesunkene Attraktivität der Kirchen scheinen darauf hinzudeuten. Indes, es gibt Hoffnungsschimmer. Nicht nur, weil die postpandemische Phase zu Nachholeffekten in den Chören geführt hat, wie Seebacher sagt - die Leute wollen einfach wieder mehr singen. Sondern auch, weil spezialisiertere Chöre Erfolge verbuchen. Gospel, A cappella, Jazz, das Angebot ist groß. Darunter leiden die Generalisten, die Kirchenchöre. Wie diese sich behaupten können? Durch größere Beweglichkeit im Proben, aber Treue dem Stammgenre gegenüber. Was bei Ursula Neumeister vor 25 Jahren funktioniert hat, kann auch heute noch klappen: Sich von den Klängen eines Chores während der Messe bezaubern zu lassen.

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