Bundestagswahl in Bad Tölz-Wolfratshausen:Konsens als Kompass

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Der CSU-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Bad Tölz-Wolfratshausen und Miesbach Alexander Radwan (Foto: Claudia Koestler/oh)

Alexander Radwan stellt sich zum dritten Mal als Bundestagskandidat für die CSU zur Wahl. Das Wichtigste in der Demokratie ist für ihn, miteinander zu reden. Den Wahlkampf erlebt er diesmal wegen Corona und volatiler Themen jedoch als besonders schwierig.

Von Claudia Koestler

Es ist ein wenig wie bei den sprichwörtlichen Königskindern, will man Alexander Radwan dieser Tage treffen. Einen Termin zu finden ist nicht leicht, mehrere Verschiebungen kommen dazwischen, und auch die Wahl des Lieblingsortes will erst nicht gelingen. Der Reutberg ist schon vergeben, also wird erst über- und dann verlegt, am Ende an den Tegernsee. Der mag zwar nicht im Landkreis, immerhin aber im Wahlkreis liegen, außerdem hat Radwan hier sein Büro - und das liegt auch noch ganz nahe an einem anderen Lieblingsort, nämlich dem Kühzagl. Dort in den Bergen tanke er Kraft und komme zur Ruhe auf Spaziergängen, sagt der 57-Jährige, der seit 2013 für die CSU Mitglied des Deutschen Bundestages ist und nun erneut kandidiert.

Ruhe strahlt auch er selbst aus, als er in sein Büro führt: Einbauschränke, Einbauküche, ein runder Besprechungstisch aus Marmor, ein Schreibtisch hinter einer Art Theke, Wahlplakate an der Wand. Die sehr kurzen Haare blitzen inzwischen weiß, der Sommer-Janker sitzt. Wer sich Alexander Radwan nähern will, kommt um eine Frage nicht herum: die nach seiner Abstammung. Denn so bayerisch er auch wirken mag, sei er eigentlich "gebürtiger Ägypter", sagt er. Und lässt diese beiden Worte fast kokett wirken. Zwar sei er in München auf die Welt gekommen, 1964 war das. Aber zu dieser Zeit habe die Staatsbürgerschaft des Vaters auch für das Kind gegolten, egal wo es geboren wurde. Und sein Vater kam aus dem nordafrikanischen Land, seine Mutter hingegen ist "bayerisch-katholische Lehrerin".

Fürs Leben habe ihm dies "eine genetisch bedingte Horizonterweiterung" gebracht, sagt Radwan. Durch Reisen und bei Verwandtenbesuchen habe er einen anderen Kulturkreis kennen gelernt, naturgemäß auf einer ganz anderen Ebene als für einen Touristen. Allerdings spreche er kein Arabisch. "Leider", fügt er an. Dass der Vater Ägypter war, sei in seiner Kindheit und Jugend kein Thema gewesen. "Er war's. Punkt."

Doch als sich Radwan später immer mehr mit den Themen Islam und Flüchtlinge beschäftigte, sei ihm diese Verbindung zugute gekommen. "Das gibt mir die Möglichkeit, einen realistischeren Blick zu haben, und ich kann in manchen Dingen auch ein Stückweit direkter formulieren." Denn: "Integration ist keine Einbahnstraße". Damit meine er nicht, dass er erwarte, jeder Geflüchtete müsse hierzulande Schweinsbraten essen und Bier trinken. Nein, ihm gehe es um Toleranz, Respekt und Liberalität, die von beiden Seiten kommen müsse.

Radwan hat erlebt, wie sich sein Vater auf das neue Land einstellte: Er konvertierte, um heiraten zu können, er erkämpfte sich auf dem Rechtsweg seine deutsche Staatsbürgerschaft und trat in die CSU ein. Und schon ist man knietief in einem der Kernthemen des CSU-Parlamentariers, der schließlich nicht nur Mitglied im Finanz-, sondern auch im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags ist.

Doch der Reihe nach: Geboren wurde Radwan also in München, er wuchs im Landkreis München und im Tegernseer Tal auf, wo er bis heute daheim ist. Mit im Haus lebt die heute 88-jährige Mutter, sein Vater ist vor wenigen Jahren gestorben. Zur Familie gehört zudem Hund Clara. Und er hat eine Lebensgefährtin. Auf sie deutet auch ein Ring hin, den Radwan neuerdings trägt, doch viel mehr will er nicht preisgeben. "Privat ist privat", sagt er und lächelt weitere Fragen weg.

Also dann eben zum Beruf: Nach Abschluss eines Flugzeugbaustudiums als Diplom-Ingenieur studierte Radwan Jura. Er arbeitete in einem internationalen Konzern der Informations- und Telekommunikationsbranche. Seine politische Laufbahn begann er 1988 als Kreisvorsitzender der Jungen Union Miesbach. Von 1999 bis 2008 war er Mitglied des Europäischen Parlaments, dann zog er in den Bayerischen Landtag als Abgeordneter ein. Und als Ilse Aigner 2013 wieder nach Bayern wechselte, vertrat Radwan fortan den Wahlkreis in Berlin.

Über verschiedene Themen sei er zur Politik gekommen, sagt er - "Stück für Stück." Zu einer Zeit, als unter anderem der Nato-Doppelbeschluss ein großes Thema war. Damals merkte er, dass er der Union näher stand, auch wenn er damit in der Schule in der Minderheit war. Und dann war da ja auch Franz-Josef Strauß, den er bis heute als Leitfigur sieht: "Es gibt von ihm Sätze, die ich mir angenommen habe." Zum Beispiel: In der Welt zuhause, in Bayern daheim. Denn "um gute Politik zu machen, muss man die Welt begreifen". Und das sei aktueller denn je, angesichts des chinesischen Vormarsches und Staatenlenker wie Putin oder Erdogan. "Und was passiert, wenn sich Trump wiederholt?" fragt er. Das treibe ihn um.

Zum Thema Politik, Demokratie und die Welt muss er noch schnell etwas anmerken: Von den Praktikanten, die er im Bundestag als internationale Parlamentsstipendiaten aus aller Welt und vor allem aus der arabischen Welt erlebe, habe ihm noch kein junger Mensch aus Ägypten eine Frage richtig beantworten können: "Was ist das Wichtigste in einer Demokratie?"

Doch bei allem globalen Denken sieht Radwan das lokale Handeln als Kern seiner Arbeit, und hier schließt sich der Kreis zu seinem Wahlkreis. Da habe er seit seinem Einzug in den Bundestag 2013 und dem Direktmandat 2017 einiges mit anschieben können, etwa bei den großen Verkehrsprojekten wie der Tölzer Nordspange, der Elektrifizierung der BOB oder der Verlängerung der S-Bahn nach Geretsried. Da sei der Bund zwar nicht der Planer, könne aber Rahmen setzen, etwa über Planungsrecht und Finanzierungen. Und manchmal gehe Politik auch ganz direkt: "Ein Bürgermeister hat mich zum Beispiel einmal kontaktiert wegen Lärmschutz." Er versuche dann, zu vermitteln oder anzuschieben, was geht. Doch gerade das Verkehrsrecht sei komplex, zum Beispiel, was den Neubau von Radwegen angehe. "Wie da inzwischen die Naturschutzvorgaben sind, da ist man schon manchmal am Verzweifeln." Den Ruf nach Vereinfachungen würden stets 100 Prozent unterschreiben. Wenn man dann aber ans Recht gehe, werde stets von einigen Interessensgruppen reflexartig geschrien. Ein Paradebeispiel sei auch Corona: "Es ist doch abstrus, dass man Grundrechte einschränken kann, aber bei den Apps der Datenschutz über dem Gesundheitsschutz steht", so Radwan. In vielen Bereichen sei heute vorrangig, wie man sich absichern könne, und weniger ein "Jetzt machen wir mal". Das "Verliebtsein" ins Gelingen - "das fehlt uns manchmal etwas", sagt er.

Die Frage, worauf er stolz sei, kontert er: "Ich neige nicht zu Stolz." Aber ihn freue, wenn er ganz direkt helfen könne. Zum Beispiel hätten ihn etliche Leute kontaktiert, weil die Corona-Hilfen nicht griffen oder kamen. "Da konnte ich dann was anstoßen." Ähnlich verhielt es sich auch bei der Sanierung des Südarkadentrakts im Kloster Benediktbeuern - ein für Radwan wichtiges Projekt, für dessen Realisierung er die Weichen auf politischer Ebene zu stellen versuchte. "Jetzt sind die Millionengelder von Bund und Land da, und die Sanierung läuft. Architektur und Historie dieses Kulturdenkmals bleiben erhalten, und alle sind glücklich. Schön!"

Er sei nicht "der harte Abgrenzer zu anderen Parteien", sagt Radwan. Aber wenn er - um ein Beispiel zu nennen - bei einem Termin zum Thema Almwirtschaft und Wolf höre, die Almwirtschaft müsse eben enden, wenn man sich nicht mit dem Wolf arrangieren könne - "da hat's mich g'rissn". Fundamentalpositionen dürften nicht überhand nehmen, meint er. Nötig sei Konsens, in der Politik wie in der Gesellschaft. "Früher hat man vielleicht nicht zu 100 Prozent gewonnen, aber wir haben was erreicht." Heute gehe es viel zu oft um Sieg oder Niederlage. Und dann kommt er zu dem zentralen Schlagwort seines Wahlkampfes: Gemeinsinn. "Wir erleben eine Spaltung der Gesellschaft", befürchtet er. Die großen Herausforderungen der Zukunft spielten in der Welt genauso wie direkt vor der Haustüre: Digitalisierung, Klimawandel, Wohnen. "Die Welt verändert sich, und die einzige Konstante ist der Wandel. Ich setze mich dafür ein, den Wandel verträglich für unsere Heimat zu gestalten." Der Klimawandel sei nicht zu bestreiten, und der Mensch trage dazu bei, so Radwan. Der große Unterschied der CSU zu den Grünen sei jedoch, dass es nicht alleine um das Aufhalten gehen dürfe, sondern auch Strategien erforderlich seien, um mit Veränderungen zu leben, um sich darauf vorzubereiten, etwa durch Innovationen und Technologien.

Eine große Herausforderung im Wahlkreis und der Region werde zudem weiter der Siedlungsdruck sein. "Es müssten folglich Weichen gestellt werden für neue Wohnformen, die nicht mit neuem Flächenverbrauch einhergehen." Bereits erreicht sei die Reform der Grundsteuer, denn es dürfe nicht sein, dass jemand die Steuern für sein Elternhaus nicht mehr aufbringen könne. In der kommenden Legislaturperiode stehe dann die Reform der Erbschaftssteuer auf der Agenda.

Zwei Mal hat er es schon in Bundestag geschafft. Ist die Wahl nun also eine gmahde Wiesn? "Nein, so sehe ich das gewiss nicht." Es sei ein schwieriger Wahlkampf in diesem Jahr, einerseits wegen der Corona-Beschränkungen, andererseits wegen volatiler Themen. Etwa, wie die Wählerinnen und Wähler den Umgang mit dem Hochwasser bewerten. Oder Afghanistan.

Ach ja, und was sieht Radwan nun als das Wichtigste in einer Demokratie? Auf diese Frage, die ägyptische Praktikanten für ihn noch nie richtig beantwortet, antwortet Radwan schlicht: "Miteinander reden." Das will er auch vorleben. Und wenn es nach ihm geht, auch künftig im Wahlkreis mit den Bürgern und im Bundestag in Berlin.

© SZ vom 11.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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