Wie geht es weiter mit dem ÖPNV:"Aus der Nummer kommen wir nicht mehr raus"

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Buslinien sollen attraktiver werden. Welche ausgebaut werden, steht im Nahverkehrsplan des Landkreises Bad Tölz-Wolfratshausen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Umsetzung Nahverkehrsplan: Landrat Josef Niedermaier plädiert eindringlich für eine Mobilitätswende und kritisiert Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger.

Von Alexandra Vecchiato, Bad Tölz-Wolfratshausen

Die Mobilitätswende kann nicht nur in Städten, sie muss auch auf dem Land stattfinden. Dazu braucht es einen attraktiveren, besser ausgebauten öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Der Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen hat sich zum Ziel gesetzt, mehr Menschen weg vom privaten Verbrenner und rein in Busse und Bahnen zu bringen - was sehr viel Geld kostet. Doch das schönste Vorhaben kann nicht gelingen, wenn äußere Umstände einen Strich durch die Rechnung machen. Die Umsetzung des sogenannten Nahverkehrsplans für den Landkreis ist abhängig von zwei Großprojekten: der Verlängerung der S 7 von Wolfratshausen nach Geretsried und dem Bau der zweiten Stammstrecke in München. Beide Vorhaben werden später fertig als geplant, was Auswirkungen auf die geplanten Optimierungen der Buslinien zwischen Icking und der Jachenau haben.

"Ich bin erschrocken", sagte Josef Niedermaier (Freie Wähler) in der gemeinsamen Sitzung von Kreis- und Umweltausschuss, "da würde ich massivsten Widerstand leisten." Der Tölzer Landrat bezog sich dabei auf eine Äußerung, die dem bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger, ebenfalls Freie Wähler, zugeschrieben wird, nachdem bekannt wurde, dass die zweite Stammstrecke in der Landeshauptstadt nicht nur fünf Jahre später fertig sein, sondern auch noch um mehrere Milliarden Euro teurer werden soll. Verärgert über diese Nachrichten soll Aiwanger davon gesprochen haben, die "Notbremse" zu ziehen. Ein Ausstieg aus dem Projekt kommt aber für Niedermaier nicht infrage, ist die zweite Stammstrecke doch ein wesentlicher Bestandteil der Verkehrswende - auch für die Außenäste im Oberland. Um den Klimawandel aufzuhalten, brauche es ein Umdenken bei der Mobilität. Der Individualverkehr müsse zurückgedrängt werden. "Aus der Nummer kommen wir nicht mehr raus, dürfen wir auch nicht", betonte Niedermaier.

Eine weitere Hiobsbotschaft hat den Landkreis kalt erwischt. Gerüchte habe es seit Längerem gegeben, erzählte Niedermaier. Der Flurfunk habe sogar verbreitet, dass der Ausbau der S 7 auf der Kippe stehe. Daher habe CSU-Kreisrat und Landtagsabgeordneter Martin Bachhuber nachgehakt. "Zum Glück haben sich die Gerüchte nicht bewahrheitet", so Niedermaier. Von Bahn und Verkehrsministerium gebe es inzwischen die Zusagen, einen "klaren Zeitplan" vorlegen zu wollen. Wenn die Verlängerung nicht käme, "müssten wir neu anfangen", betonte der Landrat, der all jene, die Flugtaxis und Hochbahnen als Alternative in Betracht ziehen, "Fantasten" nannte. "Wir müssen jetzt beginnen, den Nahverkehrsplan umzusetzen. Verschiebungen machen alles nur teurer."

Im Juli 2021 hatte der Kreistag den neuen Nahverkehrsplan beschlossen. Darin sind die verkehrspolitischen Zielvorstellungen des Landkreises formuliert. Berücksichtigt werden muss eine Zweiteilung: Der Nordlandkreis ist MVV-Gebiet, im Süden betreibt die RVO GmbH die Buslinien. Die gemeinwirtschaftlichen Linien im Norden müssen europaweit ausgeschrieben werden, weshalb die politischen Beschlüsse rechtzeitig vorzuliegen haben. Zum Fahrplanwechsel 2024/25 müssen für elf Buslinien Verträge neu vergeben werden. Für fünf Linien sind der Landkreis Starnberg und der Landkreis München zuständig. Bad Tölz-Wolfratshausen beteiligt sich an den Kosten für die Busse, die über die Landkreisgrenzen hinweg verkehren. Die übrigen muss er alleine bezahlen. Weil die Preise für Fahrzeuge und Kraftstoff gestiegen sind wie auch die Löhne hätten die Verkehrsplaner des MVV bei den Ausschreibungen höhere Ansätze berücksichtigt, sagte Matthias Schmid, zuständig im Tölzer Landratsamt für den ÖPNV. Nicht überall soll verdichtet oder optimiert werden. Die Buslinien 337 und 381 etwa, die in den Flächengemeinden Egling und Dietramszell fahren, werden mit dem Status quo neu ausgeschrieben, da sie irgendwann durch ein sogenanntes Bedarfsverkehrsangebot ersetzt werden. Was bedeutet, dort setzt der Landkreis in Zukunft auf Verkehrsmittel on demand (auf Anforderung).

Ein weiterer Baustein für die Umsetzung des Nahverkehrsplans ist die Verbundraumerweiterung. Für den Landkreis bedeutet das konkret, dass der Südlandkreis ebenfalls MVV-Gebiet werden soll. Der Vorteil: ein Tarif, ein Ticket. Inklusive Bad Tölz-Wolfratshausen denken acht Landkreise und zwei kreisfreie Städte an einen Beitritt beim Münchner Verkehrs- und Tarifverbund. Verkehrszählungen und -befragungen - und damit Phase zwei des Erweiterungsprozesses - wurden in den Kreisen Miesbach, Rosenheim, Weilheim-Schongau, Bad Tölz-Wolfratshausen und in der Stadt Rosenheim abgeschlossen. Die politischen Gremien seien nun gefragt, ob sie im Dezember 2023 dem MVV beitreten wollen oder nicht, sagte Schmid. Während man in Miesbach auf einem guten Weg sei, berichtete Niedermaier, sei man in Weilheim-Schongau noch zurückhaltend. Der Nachbarlandkreis sei reines RVO-Gebiet und es drohten hohe Einnahmeverluste bei den Bahnlinien. Er habe dem Verkehrsminister erklärt, dass die Verbunderweiterung, die im Koalitionsvertrag festgeschrieben sei, daran scheitern könnte - außer, der Freistaat trägt diese Millionenbeträge, so Niedermaier.

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