Landwirtschaft im Wandel:Wohin mit der Kuh im Winter?

Lesezeit: 4 min

Dass Kühe die Vegetationsperiode auf der Weide verbringen und den Winter im Anbindestall soll auch in Zukunft möglich sein, wenn es nach dem Referentenentwurf aus dem Landwirtschaftsministerium geht. Eine Bedingung ist, dass die Kühe im Winter regelmäßig Auslauf haben. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Weil Anbindehaltung mit Ausnahmen verboten werden soll, sorgen sich die Bauernvertreter um die Zukunft von Kleinbetrieben. Von denen gibt es im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen besonders viele. Andere hoffen auf mehr Tierwohl in der Milchwirtschaft.

Von Veronika Ellecosta, Bad Tölz-Wolfratshausen

Das Almvieh hat sein Sommerdomizil, die kräuterreichen Almwiesen, längst verlassen. Auf den Weiden in den Tälern stehen noch vereinzelt kleine Kuhherden herum und tun sich an dem gütlich, was vom Sommer übrig blieb. Aber bald geht es auch für die letzten von ihnen zurück in den Stall.

In Bayern verbringt die Hälfte der Kühe den Winter dort in Anbindehaltung, die Tiere werden an einem Platz fixiert. Im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen halten laut Bayerischem Bauernverband mindestens 50 Prozent der Milchkuhbetriebe ihre Rinder entweder ganzjährig in Anbindehaltung oder in Kombihaltung, bei der die Tiere ausschließlich im Winter fixiert werden. Mit beiden Haltungsformen soll bald in größten Teilen Schluss sein.

So sieht es ein Referentenentwurf des Landwirtschaftsministeriums über Änderungen im Tierschutzgesetz vor, der ungewollt seinen Weg an die Öffentlichkeit gefunden hat. Demnach soll die Anbindehaltung im Jahr 2028 verboten werden, drei Jahre früher, als die Ampelkoalition im Regierungsvertrag vereinbart hatte. Für die Kombihaltung soll es Ausnahmen geben, die auf kleine Betriebe und eine Generation beschränkt werden.

Wer nicht schon in einen Laufstall investiert hat, werde wohl bald aufgeben

Für diese Ausnahmeregelungen hat sich Karl Bär, Bundestagsabgeordneter der Grünen für den Landkreis, stark gemacht. Das ist besonders im Interesse der hiesigen Landwirtschaft, denn vor allem in Süddeutschland ist die Anbindehaltung noch verbreitet. Ganz anders als in Norddeutschland, in Niedersachsen etwa leben mehr als 90 Prozent der Kühe in Laufställen. Vor allem am Alpenrand gebe es schlichtweg weniger Fläche als im Norden, erklärt Karl Bär, zudem seien die Betriebe hierzulande kleiner strukturiert.

Laut Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Holzkirchen haben von den 677 Milchviehbetrieben im Landkreis 568 weniger als 50 Milchkühe und gelten somit als klein. Deshalb spricht sich der Bayerische Bauernverband gegen ein Verbot der Anbindehaltung aus. Kreisbauer Peter Fichtner hält die ganzjährige Anbindehaltung ohnehin für ein Auslaufmodell. Der Tenor: Wer in den vergangenen Jahren nicht schon in einen Laufstall investiert hat, wird in den kommenden mit großer Wahrscheinlichkeit aufgeben.

Peter Fichtner, Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbands, hält selbst zehn Kühe in winterlicher Anbindehaltung. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Ein größerer Zankapfel als das Verbot der ganzjährigen Anbindehaltung ist im Entwurf die Ausnahmeregelung für die Kombihaltung. Jene also, auf die Karl Bär besonders stolz ist. Für Peter Fichtner steckt der Teufel im Detail: Betriebe, die weniger als 50 Milchkühe besitzen und im Sommer ihr Vieh auf die Weide treiben, könnten im Winter einen Anbindestall unter der Voraussetzung nutzen, dass die Kühe regelmäßig Auslauf bekommen oder einen Laufhof zur Verfügung haben. Diese Ausnahmen gelten, bis der Hof übergeben wird.

"Da zerreißt es mich."

Den Entwurf nennt Peter Fichtner eine "Augenauswischerei", und er zählt Gründe auf, warum der Winterauslauf schwierig sei. Oft fehle es an Platz für Austrieb oder für einen Laufhof. Kühe auf winterlichen Weiden hinterließen Trittschäden, der Bewuchs werde zerstört. Durch Glatteis auf den Wegen könnten sich die Tiere verletzen. Ställe umzubauen bedeute einen großen finanziellen Aufwand. "Das rentiert sich nur für die Stallbaufirmen", fasst er zusammen.

"Wer soll denn die Almen mähen", fragt sich Kreisbäuerin Ursula Fiechtner. "Sollen da die Touristen grasen?" (Foto: Harry Wolfsbauer)

Auch Kreisbäuerin Ursula Fiechtner ist alles andere als begeistert. "Da zerreißt es mich", sagt sie immer wieder. In Garmisch kenne sie einen Bauern, dessen nächster Platz zum Austrieb im Dorf ein Friedhof sei. "Soll der jetzt im Winter seine Tiere über den Friedhof treiben?" Wie Kreisbauer Fichtner bemängelt sie die Frist bis 2028 als zu kurz, das Vorhaben sei für Kleinbetriebe zu teuer. Und wenn ein älterer Landwirt kurz nach der Gesetzesänderung seinen Hof übergebe, erlöschten die Ausnahmeregelungen sofort. Statt der eingeschränkten Kombihaltung schlägt Peter Fichtner ein Weiter wie bisher vor: Anbindehaltung ohne Winterauslauf und ohne Ablaufdatum Hofübergabe.

Und Karl Bär? Der kann die Bauernvertreter in puncto Generationen-Regelung verstehen: "Es ist bis zu einem gewissen Grad unfair, wenn jemand die Hofübergabe gerade gemacht hat oder ein über 60-jähriger Betriebsleiter gerade einen Nachfolger sucht", lenkt er ein. Wenn aber heute jemand keinen Laufstall finanzieren könne, werde er das auch in 15 Jahren nicht können. "Entweder die Ausnahme bleibt also bis in die ferne Zukunft begründet", sagt er, oder die Regelungen müssten mit staatlichen Fördermitteln abgefedert werden. Bei Umbauten für einen Laufhof schlägt er vor, 80 bis 90 Prozent der Investitionen zu fördern.

Abweichungen von der Regelung sind für den Abgeordneten im Einzelnen zulässig. "In den meisten Fällen wird es möglich sein, dass die Tiere im Winter Auslauf bekommen. Wenn einer gut begründen kann, warum das nicht geht, sperre ich mich nicht gegen eine Ausnahme in der Ausnahme", sagt er. Aber allgemein gelte: "Wir müssen immer abwägen, ein gutes Tierschutzniveau zu erreichen, und möglichst viele kleine Betriebe zu erhalten, weil sie einen großen kulturellen und ökologischen Wert haben." Es sei also eine Abwägung, dass die Tiere im Winter angebunden werden. "Wenn ich in der Ausnahme aber Tierschutzaspekte runterschraube, kriege ich Probleme, die Ausnahme zu begründen. Es macht einfach Sinn, die Kühe im Winter rauszulassen."

Karl Bär hat sich im Bundeslandwirtschaftsministerium für Ausnahmeregelungen für die Kombihaltung eingesetzt. (Foto: Manfred Neubauer)

Auch die Kritik am vorgezogenen Datum kann Bär nicht nachvollziehen. "Es heißt seit 30 Jahren, dass sich die Anbindehaltung selbst abschafft. Dass man jetzt eine Grenze setzt, halte ich für sinnvoll." Und er betont, dass es heute schon Betriebe gebe, die die Tiere im Winter ohne Vorschrift ins Freie lassen.

Ein Ort, an dem es den Kühen schon lange nicht mehr an Auslauf fehlt, ist der Stollhof in Deining. Sebastian Köglsperger stellte in den 70er-Jahren als einer der ersten Landwirte deutschlandweit auf organisch-biologischen Landbau um. 2005 übernahmen Thomas und Miriam Köglsperger den Hof. Nach verschiedenen Versuchen ist der Kuhstall heute in drei Zonen unterteilt, sodass die etwa 50 Kühe zwischen Schlafstall, Futterbereich und Laufhof hin und her wechseln können. Im Sommer werden sie zudem auf die Weide geführt. "Die können sich bewegen, sich auch mal abregnen lassen oder in die Sonne stellen. Das Konzept hat sich bewährt", sagt Thomas Köglsperger.

Kleine Betriebe in den Bergen haben wenig Spielraum

Trotzdem sieht er ein striktes Verbot der Kombihaltung kritisch: Dann würden kleine Betriebe in den Bergen aufgeben, die wenig Platz und finanziellen Spielraum hätten. "Da müssen wir uns fragen, was wir als Gesellschaft bereit sind, als Kompromiss einzugehen", sagt er. Die Tiere im Winter anzubinden, und ihnen aber regelmäßig Auslauf zu gewähren, hält er für eine vertretbare Lösung.

Die Freude ist bei den Kühen vom Stollhof groß, wenn es im Frühling wieder auf die Weide geht. (Foto: Hartmut Pöstges)

Wie wird es also weitergehen? Peter Fichtner sieht mit den neuen Änderungen keine Zukunft für Kleinbetriebe im Alpenraum. Wenn diese aufgäben, würden auch die Almen darunter leiden und zuwachsen, zeigt sich auch Ursula Fiechtner pessimistisch. Das wiederum hätte Folgen für die Artenvielfalt. "Wer soll denn die Almen mähen, wenn nicht Schafe, Ziegen und Kühe? Sollen da die Touristen grasen?", fragt sie.

Karl Bär hingegen gibt sich gelassener. "Man muss irgendwann einen Punkt machen. Die Anbindehaltung ist nun mal nicht tiergerecht." Er betont, dass der Entwurf sich derzeit in Ressortabstimmung befinde, erst nachher könnten Länder und Verbände sich beteiligen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Biodiversität an der Isar
:Mehr Platz für tierische Landschaftspfleger

Die Murnau-Werdenfelser Rinder haben den Kiefernwald in der Pupplinger Au bewahrt. Nun werden ihre Weideflächen nochmal vergrößert.

Von Veronika Ellecosta

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: