Politischer Aschermittwoch in Bad Tölz-Wolfratshausen:Wider den Verbalradikalismus

Lesezeit: 3 min

Der SPD-Kreisvorsitzende Klaus Barthel bei seiner Rede zum politischen Aschermittwoch im proppenvollen Saal. (Foto: Manfred Neubauer)

Der SPD-Kreisverband veranstaltet als einzige Gruppierung einen rhetorischen Schlagabtausch nach Fasching - auch wenn der Fisch den Fluss stört.

Von Claudia Koestler, Bad Tölz-Wolfratshausen

Da mögen die Fragen und Probleme der Politik noch so drängen, etwas anderes konnte absolut nicht warten: "Buntbarsch auf Gemüse?", fragte die Kellnerin mitten in die Reden des SPD-Kreisvorsitzenden Klaus Barthel und der SPD-Landesvorsitzenden Ronja Endres. Den vorherigen Bemühungen der Genossen, Bestellungen, Ansprachen und Essen in eben jener Reihenfolge ablaufen zu lassen, um Störungen zu vermeiden, konnte jedenfalls nicht entsprochen werden. "Der Fisch wartet nicht", hieß es aus der Küche. Endres aber nahm das pragmatisch und unterbrach ihre Rede Dutzende Male, um als Sprachrohr der Kellnerinnen den Empfänger der Speisen im dicht besetzten Saal der Reindlschmiede finden zu helfen - was nahezu einen comedyhaften Charakter annahm.

Die eigentlichen Themen, die die Kreis-SPD in ihrer Aschermittwochs-Veranstaltung - übrigens die einzige im Landkreis - ansprach, ließen indes das Lachen im Halse stecken bleiben. Nicht etwa, weil die Genossen gar zu gallig über ihre politischen Mitbewerber hergezogen wären, nein. Sondern, weil die Lage sowohl im globalen wie im lokalen alles andere als rosig ist. "Wenn wir uns heute über Landkreis-Themen unterhalten, stellen wir fast bei jeder Angelegenheit fest, dass der Blick weit über unsere Zäune hinaus reichen muss", eröffnete Barthel seine Rede. Er entschied sich angesichts dessen für Kritik an einer Doppelmoral. "Weder der Landrat noch Redner der CSU können es sich verkneifen, die 'Ampel' für alles Elend der Welt und alle Probleme im Landkreis verantwortlich zu machen." Barthel zählte auf: Die jetzige Bundesregierung locke die Flüchtlinge und den Wolf nach Deutschland und in den Landkreis, produziere ständig neue Bürokratie, kürze Zuschüsse, schließe Krankenhäuser und weite Sozialausgaben zulasten der Kommunen aus. "Wenn dann Klaus Koch oder ich nur einen zarten Versuch starten, diesen Unfug zurechtzurücken, fällt man uns sofort ins Wort und weist darauf hin, dass 'die Politik' hier nichts zu suchen hätte."

Klassischer Fall: der Wolf. Der Mehrheitsbeschluss des Kreistages zu diesem Thema richtete sich an alle politisch "Verantwortlichen" bis hin zur EU-Kommission. Eine Folge war die bayerische Wolfsverordnung. "Wer ein Musterbeispiel sinnloser Bürokratie sucht, muss dieses Ding lesen. Das kann nur jemand schreiben, der so was nie umsetzen muss. Umsetzen sollen das deshalb ja auch die Landratsämter. Das hat jetzt Landrat Niedermaier auf dem Tisch, der nicht müde wird, die ausufernde Bürokratie zu beklagen." Ein klassischer Bumerang aus Sicht Barthels: "Das Landratsamt ist jetzt für das Wolfsmanagement zuständig. Söder und Aiwanger halten die Wahlreden. Mit der Praxis wollen sie aber nichts zu tun haben." Seit der Landtagswahl habe man deshalb auch nichts mehr über Wölfe und Bären gehört, zumindest von CSU und FW. "Vielleicht sind sie ja doch ausgestorben, zumindest politisch", mutmaßte der SPD-Kreisvorsitzende.

Gegenbeispiel: Das Walchenseekraftwerk. "Wir haben gefordert, der Landkreis soll sich dafür einsetzen und einen eigenen Beitrag leisten, dass diese Gelddruckmaschine wieder in öffentliches Eigentum kommt, bevor der Uniper-Konzern reprivatisiert wird. Hierfür sind wir aber angeblich nicht zuständig. Dabei hat der Kreistag sogar eine Arbeitsgruppe 'Wasserrechte'."

Die Walchenseekraftanlage mit ihren markanten Fallrohren gehört zu Uniper. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Barthels Appell: Staatliche Investitionen müssten den Weg in die Zukunft eröffnen. "Bahn und Post, Telekommunikation und Internet, Gesundheitsversorgung und Bildung, Energie und Straßen, all das steht heute nur deshalb allen Menschen im Land zur Verfügung, weil der Staat es erst eingeführt und dann für alle gewährleistet hat. In anderen Teilen der Welt kann man sehen, was es heißt, wenn dem nicht so ist." Deshalb sei die SPD auch "so empfindlich", was die Handlungsfähigkeit des Staates, zum Beispiel bei der "Daseinsvorsorge" betreffe. "Es kann uns eben nicht egal sein, wenn nach und nach eine Bank, Postfiliale, eine Post-Zustellung, ein Lebensmittelgeschäft und eine Fahrkartenverkaufsstelle auf den Dörfern verschwindet."

Ein konkretes Beispiel für eine solche Daseinsvorsorge gebe es im Landkreis auch im Krankenhaus-Sektor. Die Mehrheit im Kreistag sei gerade dabei, mit Asklepios einem privaten Konzern ein Monopol im Landkreis zu verschaffen. "Andererseits lässt der Landkreis unsere Kreisklinik im Regen stehen, indem die Kooperation und Arbeitsteilung zwischen den beiden Häusern ungeregelt bleibt", kritisierte Barthel.

Ins Gericht ging der Kreisvorsitzende durchaus auch mit der eigenen Partei: "Aschermittwoch: Asche auf unser Haupt. Es hätte nie passieren dürfen, dass sich am rechten Rand sozialer Protest sammeln kann. Daran trägt auch die SPD ein gewisses Maß an Verantwortung. Daraus muss unsere Partei insgesamt Konsequenzen in ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik ziehen." Scharf kritisierte er aber all jene, die "in einen Wettbewerb des Verbalradikalismus eingetreten sind". Er forderte dazu auf, den Ukraine-Krieg möglichst schnell durch Verhandlungen zu beenden, anstatt zu glauben, dass das militärisch durch immer neue Lieferungen von Geld und Waffen zu lösen ist. "Auch bei uns hier gibt es unterschiedliche Meinungen dazu", gab Barthel zu. Aber aus seiner Sicht sei die SPD die einzige etablierte Partei, die denjenigen, die unter "nie wieder" auch und gerade "nie wieder Krieg" meinen, überhaupt eine politische Heimat biete. Und aus aktuellem Anlass betonte er: "Eine atomare Bewaffnung der EU kommt für uns nicht infrage. Das wäre eine Perversion der europäischen Idee als Kontinent des Friedens und genau die falsche Antwort auf Trump."

Ronja Endres, SPD-Landesvorsitzende, sprach ebenfalls in Bad Heilbrunn - und ließ sich von der Fisch-Serviererei während ihrer Rede nicht kirre machen, sondern half einfach fröhlich mit. (Foto: Manfred Neubauer)

Nur zu dem "irrlichternden Eierwanger" wollte er nichts mehr sagen: "Er steht inzwischen außerhalb dessen, was man noch kommentieren kann." Das übernahm dann Endres. Zwischen ihren ehrenamtlichen Kellnerinnen-Diensten, Fisch und Esser zusammenzubringen, dichtete sie "die gar traurige Geschichte mit dem Feuerzeug" aus dem Struwwelpeter um und legte Aiwanger in den Mund: "Ich zünd'mir die Gesellschaft an/ wie's ja mein Bruder schon getan."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: