Justiz in Bayern:Die Technik muss mitspielen

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Papierakten auf einem Tisch. Trotz des Zeitalters des digitalen Umbruchs bleiben sie manchmal sinnvoll. (Foto: Bernd Weißbrod/dpa)

Das Wolfratshauser Amtsgericht hat die elektronische Akte für Zivil- und Familienverfahren eingeführt. Das spart Zeit, doch zum Stromausfall sollte es besser nicht kommen.

Von Benjamin Engel, Wolfratshausen

Geht es in Deutschland um Digitalisierung, stimmen Realität und Wunschvorstellung manchmal kaum überein: So haben die Amtsgerichte in Wolfratshausen und Ebersberg seit 30. Oktober dieses Jahres begonnen, im Zivil- und Familienrecht die elektronische Akte zu nutzen, was der bayerische Justizminister Georg Eisenreich (CSU) sogar per Pressemitteilung ankündigte. Doch zumindest in der Flößerstadt im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen mussten die Mitarbeiter wenig später wieder zumindest vorübergehend zu Papier greifen.

Wenigstens gibt es noch Papierakten. Als der Strom ausfiel, ging mit der E-Akte gar nichts

Der Grund: Am ersten Wochenende, nachdem die E-Akte eingeführt worden war, fiel in Wolfratshausen der Strom aus. Daher konnte fast das gesamte Team des Wolfratshauser Amtsgerichts am folgenden Montag keinen Computer nutzen. "Da wir noch überwiegend Papierakten haben, konnten wir zumindest in den Akten lesen und handschriftliche Arbeiten verrichten", so beschreibt Sprecherin und Familienrichterin Rosemarie Mamisch die damalige Situation. Gleichzeitig versagte das Notstromaggregat am Amtsgericht.

Am Amtsgericht Wolfratshausen versagte das Notstromaggregat. (Foto: Hartmut Pöstges)

Das zeigt anschaulich, warum elektronische Arbeitsmethoden anzuwenden, schnell problematisch werden kann. Von "gemischten Gefühlen" unter dem gesamten Team am Amtsgericht Wolfratshausen gegenüber der Neuerung spricht daher Mamisch. "Wir haben großen Respekt davor, dass wir künftig auf das Funktionieren der Technik angewiesen und dem quasi ausgeliefert sind."

Doch wie sieht es mit dem Ziel der E-Akte aus, Verfahren zu verkürzen und Wartezeiten zu reduzieren? Laut Mamisch müsse das Team am Amtsgericht wenige Wochen nach der Einführung noch mehr Erfahrungswerte sammeln, um das umfassender beurteilen zu können. "Wir sind ja eines der Amtsgerichte, die später dran sind mit der Einführung", so die Sprecherin. Unterhalte sie sich mit Kollegen aus anderen Gerichten, wolle aber keiner die E-Akte missen.

Unzweifelhaft ist es damit möglich, schneller und unkomplizierter zu arbeiten. Die E-Akte erleichtere es, aus dem Homeoffice zu arbeiten. Zudem könnten die Mitarbeiter in der Geschäftsstelle sowie die Richter gleichzeitig auf die Akten zugreifen. Das spare Zeit, weil die Unterlagen nicht mehr physisch von einem Bearbeiter zum nächsten gebracht werden müssten. "Und wenn die E-Akte ordentlich geführt ist, dann kann es in umfangreichen Verfahren auch deutlich übersichtlicher werden, da Suchfunktionen genutzt werden können und man beispielsweise nach Schriftsätzen der Antragsteller- oder der Antragsgegenseite sortieren kann", so Mamisch.

Verhandlungstermine abzustimmen, das geht digital viel schneller

Was eine digitalisierte Justiz zu leisten vermag, zeigt sich beispielhaft, wenn die Familienrichterin mit Verfahrensbeteiligten Verhandlungstermin abstimmt. Wenn sie einen Termin festlege, könne ein Rechtsanwalt mithilfe des besonderen elektronischen Postfachs das unmittelbar sehen und prinzipiell sofort reagieren. Mit dem schriftlichen Briefverkehr von früher habe es eine Woche gedauert, etwa einen Terminverlegungsantrag zu klären.

Das Wolfratshauser Amtsgericht ist laut Mamisch nun technisch neu ausgestattet. Jeder Arbeitsplatz habe zwei Bildschirme, um gleichzeitig lesen und schreiben zu können. "Zudem wurden die Sitzungssäle mit Bildschirmen ausgestattet, damit auch dort die Akten geöffnet und gelesen werden können."

In Zivilsachen setzen bislang laut dem bayerischen Justizministerium alle Land- und Oberlandesgerichte die E-Akte ein. Von den 73 Amtsgerichten plus zwei Zweigstellen im Freistaat arbeiten Stand 27. November 2023 insgesamt 67 damit. Bis Jahresende werde die E-Akte an allen bayerischen Amtsgerichten in Zivil- und Familiensachen eingeführt sein.

Im Familienreferat werden bis dato von 62 Verfahren sieben als E-Akte geführt

Im Wolfratshauser Familienreferat laufen aktuell 62 Verfahren. Davon würden sieben als E-Akte geführt, so Mamisch. "Wir rechnen damit, dass in einem halben Jahr nur noch ein geringer Teil an Papierakten vorhanden sein wird." Die dürften künftig eine Parallelexistenz im Archiv führen. Nachträglich digitalisiert würden keine Akten, so Mamisch. Zudem würden alle Verfahren, die vor dem Stichtag am 30. Oktober 2023 begonnen hätten, in Papierform zu Ende geführt.

Mehr Erfahrung gibt es am Wolfratshauser Amtsgericht seit einigen Jahren mit den Videokonferenzsystemen für Verhandlungen. Das spart Beteiligten etwa von weit her, persönlich anzureisen, so Mamisch. Für einvernehmliche Scheidungen sei das etwa sehr sinnvoll. Denn die dauerten nicht sehr lang. Wohne ein Ehepartner etwa inzwischen Norddeutschland, spare sich dieser den weiten Weg nach Wolfratshausen. Für komplexe, mehrere Stunden dauernde Verfahren eigne sich dieses Mittel aber nicht. Im Video sei immer nur der zu sehen, der spreche. Wenn es etwa um die elterliche Sorge gehe, komme es darauf an, alle Schwingungen im Raum zu spüren. Als Familienrichterin müsse sie beobachten, wie der andere reagiere, wenn der Gegenpart spreche. "Das geht mit dem Videokonferenzsystem verloren", so Mamisch. Daher sei das aus ihrer Sicht nur in der Minderzahl von Verfahren anwendbar.

Völlig auf Papier verzichten wird darüber hinaus das Wolfratshauser Amtsgericht ebenso wenig. "Im Strafrecht sind wir noch weit weg von der E-Akte", schätzt Mamisch ein. Vor 2025 rechne sie mit der offiziellen Einführung nicht.

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