Flüchtlingsunterkünfte:Sechs Menschen, ein Zimmer, 3000 Euro

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Familie Sheikh Mohamad lebt seit zwei Jahren in München in einer Notunterkunft - wie viele Geflüchtete auf engstem Raum. Doch für die winzigen Zimmer zahlt die Stadt horrende Preise.

Von Sara Maria Behbehani

Die Sheikh Mohamads leben in einem einzigen Zimmer. Ein Tisch steht dort, ein Schrank und eigentlich sechs Betten, für jedes Familienmitglied eines. Anders ist die Situation bei den Stühlen, denn davon haben die Sheikh Mohamads nur zwei erhalten. Von den beiden Backöfen funktioniert einer nicht, von acht Herdplatten wird nur die Hälfte warm.

Zwei Monate lang kam aus den Hähnen im Gemeinschaftsbad nur kaltes Wasser. Ein Regal für Geschirr oder Lebensmittel fehlt. Aus dem Lattenrost seines Bettes hat Vater Abdullah Sheikh Mohamad notdürftig einen weiteren Tisch gebaut, damit die Sachen nicht auf dem Boden liegen. Er und seine Frau schlafen dafür nun auf Matratzen auf dem Boden. In diesem Zimmer in einer Unterkunft für Wohnungslose an der Dachauer Straße leben die Sheikh Mohamads nun schon seit zwei Jahren. Dafür bezahlt die Stadt 3000 Euro. Im Monat.

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Das Schicksal der Familie, die 2012 aus Aleppo in die Türkei und 2017 weiter nach Deutschland geflohen ist, zeigt ein sehr grundsätzliches Problem in München. Wohnraum ist knapp in Deutschlands teuerster Großstadt, die Mieten sind hoch. Auf dem angespannten Wohnungsmarkt finden schon Normalverdiener nur schwer eine neue Bleibe.

Für eine Flüchtlingsfamilie mit vier Kindern ist das nahezu aussichtslos. Fast genauso schwer tut sich auch die Stadt damit, geeignete Notunterkünfte zu finden. Oft muss sie einfach nehmen, was ihr angeboten wird - zu deutlich überteuerten Preisen. Dieses System ist umstritten, wurde immer wieder kritisiert - geändert hat sich bislang aber nichts.

Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl spricht von einer "unheiligen Allianz" zwischen Betreibern von Unterkünften und Kommunen. Es ist nicht gerade günstig, was die Behörden für einen Platz investieren müssen: "Im Durchschnitt zahlt die Stadt 500 Euro pro Person", erklärt Richard Schlickenrieder vom Amt für Wohnen und Migration. Die Kosten für die Beherbergungsbetriebe seien aus mehreren Gründen höher als die Preise auf dem regulären Wohnungsmarkt. "Das liegt am Personaleinsatz, am laufenden Bauunterhalt und an dem Risiko, das ein Betreiber eingeht, da wir nur die belegten Plätze zahlen", sagt Schlickenrieder.

Vor allem ehrenamtliche Flüchtlingshelfer kämpfen dafür, dass sich die Zustände in den Unterkünften verbessern. Die Sheikh Mohamads haben in Irmela Strohhacker und Nazime Sayli zwei Fürsprecherinnen gefunden. Doch auch die beiden Frauen konnten bisher wenig bewegen. Denn selbst erfahrene Helfer verlieren sich schnell im Dschungel der Vorschriften, die ein selbstbestimmtes Leben der Geflüchteten sehr schwierig machen.

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Der Familie wurde etwa vom Hausmeister der Wasserkocher genommen und ein gespendetes Regal musste wieder weg - unter anderem aus Brandschutzgründen. "Als Betreiber muss ich doch froh sein, wenn eine Familie Ordnung schaffen will", sagt Strohhacker. Sie habe das Gefühl, dass das Unternehmen - Puls M - gar nichts verändern wolle, sagt Nazime Sayli. Dass es sich an Richtlinien festhalte, in denen es nicht um das Wohl der Menschen gehe. "Deswegen müssen wir die Missstände sichtbar machen."

Puls M weist die Vorwürfe der Ehrenamtlichen und der geflüchteten Familie indes zurück. "Alle Bewohner befinden sich in einer schwierigen Situation", sagt Sprecher Sirtan Zaefferer. Dem Betreiber seien aber die Hände gebunden. Sperrige Möbel dürften nun mal wegen Brandschutzauflagen nicht aufgestellt werden. Puls M vergebe überdies die Zimmer nicht selbst, so Zaefferer, die Zuteilung werde über die Bettenzentrale der Stadt geregelt. Und eine Mindestwohnfläche pro Person sei seit August 2017 in Bayern gesetzlich nicht mehr vorgesehen, anders als in anderen Bundesländern.

Dem widerspricht Schlickenrieder vom Amt für Wohnen und Migration. "Bayern hat das abgeschafft, allerdings nur für den freien Wohnungsmarkt", erklärt er. "Wir haben Mindeststandards. Diese regeln die Raumgröße, die Ausstattung, die Einrichtung der Sanitäranlagen." Demnach stehen jeder Person zehn Quadratmeter zu. Hat die Familie mehr als drei Mitglieder, so sind es sieben Quadratmeter pro Person, Sanitäreinrichtung und Kochgelegenheit nicht eingeschlossen. Das Zimmer der Sheikh Mohamads müsste demnach 42 Quadratmeter groß sein - aber in Wahrheit sind es weniger als 35.

Doch was passiert, wenn die Notunterkunft zur Dauerlösung wird? "Wir möchten, dass die Menschen so schnell wie möglich in normale Mietverhältnisse finden, und daran arbeiten wir nach Kräften", sagt Richard Schlickenrieder. "Notunterkünfte sind, wie der Name schon sagt, als eine Art Reparaturbetrieb gedacht und nicht als Dauereinrichtung konzipiert." Dennoch wird die Notlösung immer häufiger zum Normalfall: Knapp 9000 Menschen, darunter etwa 1700 Kinder, sind derzeit davon betroffen. Seit 2014 hat sich diese Zahl nahezu verdoppelt. 74 Prozent sind Menschen mit Migrationshintergrund, 39 Prozent Flüchtlinge.

Puls M hat mittlerweile reagiert. Als Mitarbeiter der Behörde zu einem Ortstermin kamen, waren bereits sämtliche Beanstandungen behoben, erklärt Edith Petry, Sprecherin des Sozialreferats. Die Herdplatten waren repariert, die Familie bekam einen Tisch und einen weiteren Schrank. Das Treffen sollte die Situation der Familie verbessern, aber Vater Sheikh Mohamad empfand es als beängstigend, berichtet er. Ihm sei gedroht worden, ihn vor Gericht zu bringen, sollte er die Beschwerden nicht zurückziehen.

Wohl fühlen sich die Sheikh Mohamads in der Notunterkunft nicht - wie so viele andere Familien. Mit Irmela Strohhacker und Nazime Sayli suchen die sechs noch immer nach einer Wohnung. "Die Kinder sollen hier eine gute Ausbildung genießen, meine Frau und ich sollen arbeiten und ein gutes Leben haben dürfen", sagt Abdullah Sheikh Mohamad. Dann fügt er leise hinzu: "Denn in Syrien ist das leider nicht mehr möglich."

© SZ vom 27.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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