Funkkaserne:"Die Regierung muss hier sofort einschreiten"

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Kaserniert hinter Gittern: Die Geflüchteten in der Funkkaserne leben unter menschenunwürdigen Umständen. (Foto: Stephan Rumpf)

Schimmel in Gemeinschaftsbädern, Wasserschaden im Arztzimmer, Familien auf engstem Raum: Die prekäre Unterbringung von Flüchtlingen in der ehemaligen Funkkaserne soll nun auch den Bundestag beschäftigen.

Von Thomas Anlauf, München

Schimmel wuchert in den Gemeinschaftsbädern, direkt daneben hausen Kinder auf engstem Raum mit ihren Eltern. Babynahrung wird in einer ehemaligen Männer-Toilette aufbewahrt. Zwei kleine Mädchen sitzen im Flur auf dem nackten Steinboden, dort findet aus Platzmangel die Kinder-Kunst-Gruppe statt. Der Behandlungsraum der freiwillig in der Kaserne helfenden Ärzte ist seit Wochen geschlossen - wegen eines Wasserschadens.

Was Gülseren Demirel in der Flüchtlingsunterkunft der ehemaligen Funkkaserne sieht, schockt die Landtagsabgeordnete der Grünen. "Die Regierung muss hier sofort einschreiten und die Gefahr für Leib und Leben überprüfen", sagt sie nach der Besichtigung der "Anker-Dependance" am Frankfurter Ring. Der SPD-Abgeordnete Florian Ritter, der sich am Montagnachmittag mit seiner Parteikollegin Ruth Waldmann ebenfalls ein Bild von den Zuständen in der Funkkaserne machte, kommt zu dem Fazit: "Für mich steht fest: Familien mit Kindern gehören nicht in ein Ankerzentrum." Sie seien "menschenunwürdig und gehören abgeschafft".

Funkkaserne
:Die Schaffung der Ankerzentren war ein Fehler

Dass die Regierung von Oberbayern die Zustände für die Asylbewerber in der Funkkaserne verbessern will, ist löblich. Das grundsätzliche Problem aber wird so nicht gelöst.

Kommentar von Thomas Anlauf

Die prekäre Unterbringung von mehr als 200 Geflüchteten mit derzeit 49 Babys, 17 Kleinkindern und 36 Kindern über drei Jahren steht seit Wochen in der Kritik. Nach einem SZ-Bericht besuchte Regierungspräsidentin Maria Els, die für die "Ankerzentren" in Oberbayern zuständig ist, am 15. März die Unterkunft. Zwar seien daraufhin "in den letzten Tagen" mehrere Familien, die dort mit anderen Familien in jeweils einem Zimmer untergebracht waren, in andere "Anker-Dependancen" verlegt worden, wie der stellvertretende Chef des Münchner Sozialreferats, Sebastian Groth, am Dienstag im Stadtrat sagte.

An den hygienischen Zuständen hat sich aber offensichtlich nicht viel geändert. "Einstürzende Waschbecken, brüchige Wände, Wasserschaden im Ärztezimmer, schäbige Ausstattung der Gemeinschaftsräume gefährden vor allem die vielen Babys und Kleinkinder", so Demirel. Die Abgeordnete ist Sprecherin für Integration, Asyl und Flucht der Landtags-Grünen und besucht derzeit sämtliche "Anker-Einrichtungen" in Bayern. "Ich habe keinen Raum gesehen, der irgendeine Freundlichkeit ausstrahlt", sagt sie. Derartiges habe sie in bislang keiner staatlichen Massenunterkunft erlebt.

Mittlerweile hat Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) in einem Brief an den Bundesinnenminister appelliert, "die Ankereinrichtungen abzuschaffen und für eine dezentrale Unterbringung und Versorgung von Menschen mit Fluchthintergrund auch während der Aufenthaltsprüfung" zu sorgen. "Ein humanitärer Umgang mit dieser Zielgruppe lindert das Leid der Betroffenen", so Reiter in seinem Schreiben vom 15. März. Auch das Münchner Sozialreferat hat sich nun in einer 14-seitigen Stellungnahme klar gegen "Ankerzentren" ausgesprochen.

"Die konkrete Unterbringung in der Funkkaserne wird durch das Sozialreferat sehr kritisch beurteilt", heißt es in dem Papier, das am Dienstag dem Kinder- und Jugendhilfeausschuss vorgelegt wurde. "Diese Unterbringungsform" werde den "Bedürfnissen der geflüchteten Menschen nicht gerecht". Die Umstände dort förderten "in einigen Fällen die individuellen Kindeswohlgefährdungen". Doch das Problem ist: Die Regierung von Oberbayern legt dem Sozialreferat bislang keine Listen vor, wer und wie viele Menschen dort überhaupt untergebracht sind. Nicht einmal Stadträte können sich ein Bild der Lage machen, weil sie bislang nicht eingelassen werden. Daher seien "die Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten der Landeshauptstadt München beschränkt".

Bürgermeisterin Strobl ist "mit einer derartigen Unterbringung nicht einverstanden"

Empört reagierte am Dienstag der Kinder- und Jugendhilfeausschuss auf die geschilderte Situation in der Funkkaserne. "Man versucht hier, möglichst unmenschliche Zustände zu schaffen", sagte der sozialpolitische Sprecher der SPD, Christian Müller. Ankerzentren seien de facto "exterritoriale Gebiete, aber das geht in München nicht". Für seine Fraktion würden die Ankerzentren "gegen die Menschenrechte verstoßen", das sei "ganz klar nicht zulässig".

Auch Bürgermeisterin Christine Strobl (SPD), die die Sitzung am Dienstag leitete, betonte, dass "wir mit einer derartigen Unterbringung nicht einverstanden sind". In der Vergangenheit lebten sogar anerkannte Flüchtlinge in der Kaserne. Allein von September bis November kamen 22 alleinstehende, schwangere oder alleinerziehende Frauen von dort in die Frauenunterkunft in der Nailastraße, weil keine regulären Wohnungen für sie gefunden werden konnten - ein Problem, das viele Flüchtlinge betrifft.

Die Bundestagsabgeordnete Margarete Bause wird das Thema nun bald im Bundestag zur Sprache bringen. "Wir werden eine parlamentarische Anfrage auch konkret zur Funkkaserne stellen", sagte die Sprecherin für Menschenrechte und humanitäre Hilfe der Grünen-Fraktion. Sie war am Montag auch in der Münchner Unterkunft. Der Besuch habe "leider all unsere Befürchtungen bestätigt", sagte Bause. "Diese Lebensbedingungen sind unvereinbar mit einem menschenwürdigen Umgang mit Geflüchteten."

© SZ vom 27.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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