Münchner Kammerspiele:Spielen, um zu begreifen

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Auf der Suche nach Austausch: In der preisgekrönten Produktion "Kiinalik" setzen sich die Inuk-Künstlerin Laakkuluk Williamson Bathory (im Bild) und die Theatermacherin und Musikerin Evalyn Parry mit ihren Vorurteilen auseinander. (Foto: Jeremy Mimnagh)

Muss die Umwelt immer ausgebeutet werden? Parallel zum Weltklimagipfel zeigen die Kammerspiele Performances von Indigenen aus Kanada und damit einen anderen Zugang zur Natur und zur Geschichte ihres Landes.

Von Yvonne Poppek

Anfangs ist nur Waawaate Fobisters Rücken zu sehen, die kleinen Glitzerpunkte auf seinem hauchdünnen Trikot. Seine Schultermuskeln bewegen sich, unterlegt von knackenden, knirschenden Geräuschen als bräche eine krustige Erdoberfläche auf. Fobister braucht nicht viel, um Assoziationen zur Natur zu wecken, zu einer bedrohten wohlgemerkt. Quecksilber ist das Thema seines Tanzsolos "Omaagomaan", das die Münchner Kammerspiele zu ihrem kleinen Festival "Water, Earth and I" aus Kanada eingeladen haben. Es wirft schlaglichtartig einen Blick auf den zerstörerischen Umgang mit der Natur und die Missachtung der indigenen Gemeinschaft von Grassy Narrows.

Vier Performances aus Kanada sind bei "Water, Earth and I" zu Gast und - im Sinne des Austauschs - eine weitere aus Deutschland. Kuratiert haben das Festival, das noch bis Sonntag, 13. November, läuft, Kammerspiel-Dramaturgin Olivia Ebert und die indigene kanadische Autorin und Regisseurin Émiie Monnet, die auch mit einer eigenen Arbeit anreist. Selbst wenn gerade viel los ist an den Theatern, erscheint der Zeitpunkt parallel zur Weltklimakonferenz plausibel. Kontrapunktisch zu dem auf dem Wachstumsgedanken beruhenden Umgang der westlichen Welt mit den Ressourcen der Natur, sollen die Überlegungen von Indigenen und queeren Gruppen gestellt werden. Blickt man auf das Solo von Fobister, ist das ein überzeugender Ansatz.

Tanz gegen das Vergessen: Waawaate Fobisters Solo "Omaagomaan". (Foto: Omaagomaan)

In den Sechzigerjahren leitete eine Papierfabrik mit Erlaubnis der Regierung quecksilberverseuchtes Wasser in einen Fluss im Gebiet der Grassy Narrows. Die dort lebende indigene Gemeinschaft leidet immer noch unter den Folgen der Vergiftung, wogegen die kanadische Regierung trotz einer Zusage bisher nichts unternommen hat. Fobister verbindet in seinem Solo nun rituelle Tanz- und Klangelemente mit immer verzweifelnder wachsenden Gesten der Abwehr, Wut, mechanischer Unterordnung und des Aufbegehrens. Naturverbundene Lebensweise trifft auf Industrie, Fischerei auf Gift, Geburt auf Kindstod. Gestische Assoziationsfetzen liefert Fobister, gespeist von der Kraft eines Kampfes gegen das an Menschen und Natur begangene Unrecht. Hinter "Omaagomaan" steht ein echtes Anliegen, eine Haltung, fernab jeder Ich-Betrachtung, was dem Abend eine besondere Dringlichkeit verleiht.

Die Ko-Kuratorin und indigene kanadische Autorin und Regisseurin Émiie Monnet kommt mit ihrer Produktion "Okinum" in die Kammerspiele. (Foto: Valérie Remise)

Grundsätzlich lässt sich das Festival "Water, Earth and I" als eine seltene Gelegenheit verstehen, in andere Empfindungs-, Lebens- und Gedankenwelten einzutauchen, Impulse aus Kolonialgeschichte, indigener Kulturgeschichte und eine sich dem Publikum sehr öffnenden Theaterhaltung aufzunehmen. Die kann bisweilen auch sehr ruppig sein, die Zuschauer in unbequeme Beteiligungen zwingen wie in B. Solomons Solostück "Thunderbird's Transformation". Aber sie steht in spannendem Kontrast zu dem artifiziellen, deutschen Beitrag "Woman with Stone" von Caroline Creutzburg und ihrer Umkehrung vom menschlichen Verhältnis zur Natur.

Die beiden größten und mit Preisen ausgezeichneten Produktionen des Festivals sind nun am Abschlusswochenende zu sehen. Zum einen zeigt Kuratorin Monnet ihr multimediales Solostück "Okinum" (11. und 12.11.). Ausgangspunkt ist eine Krankheit und der Traum von einem großen Biber, der sie in der Sprache ihrer indigenen Vorfahren anspricht. Beides führt sie zu einer Auseinandersetzung mit ihren Wurzeln. Die zweite Produktion, "Kiinalik: These Sharp Tools" (12. und 13.11.) ist eine Mischung aus Konzert und Gespräch. Darin erzählen die Inuk-Künstlerin Laakkuluk Williamson Bathory und die queere Theatermacherin und Musikerin Evalyn Parry von ihrer Begegnung, von ihren unterschiedlichen Vorurteilen und Prägungen. Es ist die zarte Auseinandersetzung zwischen zwei Menschen, deren Vorfahren auf den entgegengesetzten Seiten der Kolonisation standen.

Water, Earth and I, Theater, Tanz und Performance aus Turtle Island (Kanada) und Deutschland , bis So., 13. November, Münchner Kammerspiele

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