Vergewaltigung im Park:"Ich habe mich durch die Polizei mehr traumatisiert gefühlt als von der Tat"

Lesezeit: 5 min

In dem Park am Maximiliansplatz wachte Nina F. auf. (Foto: Stephan Rumpf)

Eine Frau wird nach einem Clubbesuch sexuell missbraucht. Mit DNA-Spuren wird Jahre später ein Verdächtiger ermittelt. Vor Gericht muss er trotzdem nicht.

Von Elisa Britzelmeier

Sie hatte keine Hoffnung mehr, dass der Täter überhaupt gefunden wird. Nina F. war im Gebüsch aufgewacht, nicht weit von dem Club, vor dem sie sich noch von ihren Freunden verabschiedet hatte, so erzählt sie es später. Die Unterhose hing ihr in den Kniekehlen. Sie konnte nicht aufhören zu weinen, sie fühlte sich elend. Was passiert war, daran hatte sie keine Erinnerung. Nach und nach kam ihr der Verdacht: Jemand musste ihr K.o.-Tropfen ins Glas geschüttet haben. Jemand musste sie vergewaltigt haben.

Ihre Schwester brachte Nina F. zur Polizei. Ein Betäubungsmittel konnte nicht mehr nachgewiesen werden. Aber die gerichtsmedizinische Untersuchung stellte Spermaspuren sicher - und damit DNA.

Fast sechs Jahre ist das nun her, und eigentlich hatte Nina F. damit abgeschlossen, so gut es eben ging. Zuzuordnen waren die Spuren zunächst niemandem. Doch dann bekam die heute 36-Jährige Post von der Staatsanwaltschaft: Ein Tatverdächtiger sei festgenommen worden, identifiziert über die DNA. Wenig später kam der nächste Brief: Das Ermittlungsverfahren werde eingestellt.

Sexualisierte Gewalt
:Der Mythos der falschen Beschuldigung

Nach #MeToo, Kavanaugh und Ronaldo haben viele Männer Angst, unschuldig der Vergewaltigung bezichtigt zu werden. Das ist statistisch Unsinn - und deutet auf ein größeres gesellschaftliches Problem.

Von Julian Dörr

Der Mann, dessen Sperma in Nina F.s Körper gefunden wurde, obwohl sie sich an nichts erinnern kann, wird nicht vor Gericht stehen. Die Staatsanwaltschaft München I begründet das auf Anfrage damit, dass "der Tatnachweis letztlich nicht geführt werden konnte". Die DNA stammt zwar zweifelsfrei von dem Tatverdächtigen. Aber es könne nicht nachgewiesen werden, so die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, dass "der oder die Täter eine eventuelle Widerstandsunfähigkeit" ausgenutzt hätte. Genauso wenig könne nachgewiesen werden, dass der Täter Nina F.s entgegenstehenden Willen erkannt habe. Übersetzt bedeutet das: Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es einvernehmlicher Sex war. Der Tatverdächtige äußert sich nicht zu den Vorwürfen. "Anhaltspunkte für Gewalt sind nicht ersichtlich", heißt es von der Staatsanwaltschaft weiter.

Für Nina F. und ihren Anwalt Reinhard Köppe ist das kaum zu fassen. "Das ist eine völlig eindeutige Geschichte", sagt Köppe, "die DNA wurde ja schließlich nicht an ihrem Mantel gefunden". Entscheidend ist aus seiner Sicht vor allem das Ergebnis der gerichtsmedizinischen Untersuchung. Dabei wurden an Nina F.s Körper Blutergüsse und Hautverletzungen festgestellt. Das Gutachten legt nahe, dass sie die Folge von stumpfer Gewalteinwirkung sind. Unter anderem deuteten Spuren am Oberarm darauf hin, dass der Täter Nina F. festhielt. Für die Staatsanwaltschaft reicht das nicht aus, um den Tatverdächtigen vor Gericht zu bringen.

Passiert war die Tat in der Grünanlage am Maximiliansplatz. Wie oft bei Sexualdelikten gibt es keine Zeugen. Nina F. kennt den Tatverdächtigen nicht, es gibt es keine Beziehung, aus der sich weitere Indizien herleiten ließen. Die Ermittler versuchten, Videoaufzeichnungen der "Nullachtneun Bar" und des "Pacha", wo Nina F. feiern war, auszuwerten. Bei einem der beiden Clubs gab es einen technischen Defekt, die anderen Aufzeichnungen brachten laut Staatsanwaltschaft keine weiterführenden Erkenntnisse.

SZ PlusGleichberechtigung
:Weibliche Justiz

Noch nie gab es so viele Richterinnen und Staatsanwältinnen wie heute. Unterscheidet sich die Art ihrer Rechtsprechung von der männlicher Richter?

Von Gianna Niewel, Fotos von Markus Burke

Rechtsanwalt Köppe sagt, es gehe vor allem um die Frage der Widerstandsunfähigkeit. Ermittelt wurde nach Paragraf 179 des Strafgesetzbuchs, "sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen". Heute, nach der Reform des Sexualstrafrechts, würde der Fall wohl unter Paragraf 177 "Vergewaltigung" fallen. Das Problem ist, dass es für die möglichen K.o.-Tropfen bei Nina F. keinen Beleg gibt. Die unterschiedlichen Mittel können nur über kurze Zeitspannen nachgewiesen werden, zum Teil nur vier bis sechs Stunden. Noch dazu kommt eine große Anzahl verschiedener betäubender Substanzen in Frage. Dass K.o.-Mittel nicht nachgewiesen werden können, erlebt Köppe häufig - aber er kennt Fälle, in denen es trotzdem zu einer Verurteilung kam.

Es geht ihr längst nicht mehr nur darum, dass der Täter bestraft wird

Viele K.o.-Mittel-Verdachtsfälle stellen sich als Alkoholisierung heraus - wobei auch Alkohol zur Widerstandsunfähigkeit führen kann, wie der Anwalt betont. "Sie kann sich betrinken, wie sie will, das darf trotzdem niemand ausnutzen." Die rechtsmedizinische Untersuchung bei Nina F. fand etwa 14 Stunden nach der Tat statt. Der Alkoholgehalt in ihrem Blut war da immer noch erhöht.

Nina F. geht es längst nicht mehr nur darum, dass der Täter bestraft wird, sondern auch darum, wie nach der Tat mit ihr umgegangen wurde. Sie erzählt von persönlichen Gesprächen mit der zuständigen Staatsanwältin und dass ihr diese erst noch Mut gemacht habe. Bei der Einstellung des Verfahrens dann aber sei ihr unter anderem entgegnet worden, dass es ja nicht auszuschließen sei, dass sie in der Tatnacht auch mit anderen Männern Sex hatte. Nina F. sagt: "Mal abgesehen davon, dass es Unsinn ist - was spielt das überhaupt für eine Rolle?" Ihr Anwalt spricht von einem "unglaublichen Widerspruch" in der Argumentation der Staatsanwaltschaft.

Als besonders heftig hat Nina F. ihre Anzeige bei der Polizei in Erinnerung. Für sie fühlte es sich an, als würde sie als Lügnerin dargestellt. Fälle von K.o.-Tropfen gäbe es kaum, das sei von den Medien aufgebauscht - solche Sätze habe sie sich auf dem auf Sexualdelikte spezialisierten Kommissariat anhören müssen. Die Polizei kann zu dieser Vernehmung heute nichts mehr sagen. Der Verdacht auf K.o.-Tropfen sei aber "kein Nischenthema", sagt ein Sprecher, "wir sind sensibilisiert". Nach Möglichkeit führten weibliche Beamte die Befragungen durch, es sei auch "Standardprogramm", auf Hilfsangebote hinzuweisen. Nina F. sagt, dass das bei ihr nicht passiert ist. Das Gespräch auf dem Revier habe ein Mann geführt. "Ich habe mich durch die Polizei mehr traumatisiert gefühlt als von der Tat", sagt sie.

Gruppenvergewaltigung in Freiburg
:Ein gefährlicher Satz

Zum Schutz vor sexualisierter Gewalt rät der Freiburger Polizeipräsident: "Macht euch nicht wehrlos mit Alkohol oder Drogen". Das verkennt und verharmlost die Realität.

Kommentar von Julian Dörr

Andrea Hölzel vom Weißen Ring kennt viele solcher Erzählungen. Sie berät Frauen nach Vergewaltigungen. Natürlich ist es die Aufgabe von Polizisten, zuallererst herauszufinden, was wirklich passiert ist, sagt sie. Dass genau nachgefragt wird: verständlich. Gleichzeitig wünscht sie sich mehr Sensibilität gegenüber Opfern sexueller Gewalt - und eine bessere Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen wie ihrer. Dass Nina F.s Fall nicht vor Gericht kommen soll, empört sie. Sie kennt ähnliche Fälle, den einer Frau etwa, die von vier Männern vergewaltigt wurde - trotz zahlreicher Beweise habe es auch da keine Anklage gegeben. "So etwas lässt mich an unserem Rechtssystem zweifeln", sagt Hölzel.

In Bremen, wo es eine Auswertung derartiger Anzeigen gab, wurden etwa 80 Prozent der Verfahren wegen Vergewaltigung eingestellt. Das muss nicht heißen, dass die Taten nicht so passiert sind. Es kann auch sein, dass sie schwer nachgewiesen werden können und ein Freispruch zu wahrscheinlich ist. Ein Grund für die Einstellung kann auch sein, dass man einen womöglich unschuldigen Täter nicht der Öffentlichkeit aussetzen will - oder dem Opfer die Aussage ersparen. So hat Nina F. das auch von der Staatsanwaltschaft gehört: manche Verfahren stelle man aus Opferschutz ein. Sie versteht das Argument nicht. Schließlich habe sie sich ja extra einen Anwalt genommen und sei in Nebenklage gegangen. "Und ich kann immer noch selbst entscheiden, ob ich bei einem Prozess aussage oder nicht!"

Rechtsanwalt Köppe hat Beschwerde gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens eingelegt. Ob die Beweise für eine Verurteilung des Täters ausreichten, sei eine andere Frage. "Aber darüber muss ein Gericht entscheiden - nicht die Staatsanwaltschaft", sagt er.

Möglichen Opfern kann er nur raten, bei einer Anzeige bei der Polizei auf einer rechtsmedizinischen Untersuchung zu bestehen - so schnell wie möglich. Oder sich gleich direkt an die Rechtsmedizin zu wenden, um keine Zeit zu verlieren, und parallel bei der Polizei anzurufen. Der Weiße Ring empfiehlt darüber hinaus, Gläser und Flaschen im Club nie unbeobachtet zu lassen, bei Unsicherheit ein Getränk lieber nicht auszutrinken und auf Freunde zu achten. Der Frauennotruf München weist darauf hin, dass es ein Recht auf psychosoziale Prozessbegleitung gibt - deren Hilfe man schon vor der Anzeige anfragen kann. Dabei werden Opfer über die Kultur des Justizsystems aufgeklärt und auf Aussagen vorbereitet, um mögliche Irritationen zu vermeiden.

Nicht nur wegen der Nachweisbarkeit möglicher K.o.-Mittel ist die Rechtsmedizin entscheidend, auch um wie bei Nina F. DNA-Spuren sicherzustellen. Eine Garantie für einen Prozess gegen den Täter sind diese aber nicht.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ Plus"Incel"-Bewegung
:Frust ohne Grenzen

Brutale Gewalt gegen Frauen wird oft als Einzelfall gesehen. Dabei wird Frauenhass längst im Netz organisiert. Einblick in eine düstere Weltsicht.

Von Jan Stremmel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: