Typisch deutsch :Wintersport auf weißen Höckern

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Selbst die Jüngsten sind schon eifrig dabei, wenn es ums Schneeschaufeln geht. (Foto: dpa)

In seiner Heimat Syrien benutzte unser Autor Schaufeln nur in Zeiten starken Regens. In München lernte er ganz andere Anwendungsgebiete kennen.

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Es liegt nun einige Jahre zurück, dass ich zum ersten Mal Schnee sah. Er bedeckte Dächer, Wege und Straßen. Er kam wie ein Dieb in der Nacht, völlig unerwartet. Trotz der Kälte waren die Nachbarn schon vor der Tür und schaufelten den Schnee beiseite. Wenn doch immer wieder neuer Schnee fällt, warum schaufeln sie so fleißig? Wie eine syrische Mutter, die ständig die Wohnung aufräumt und dann die Kinder von draußen kommen und wieder Unordnung schaffen. Ich verzichtete auf eine Teilnahme an der morgendlichen Aktion.

In Syrien gibt es so gut wie nie Schnee, wir benutzen Schaufeln nur in Zeiten starken Regens. Da sich die öffentliche Hand wenig um die Verbesserung der Straßen kümmert, entstehen Löcher und Unebenheiten in den Straßen, sodass das Wasser bei starkem Regen vor den Wohnungseingängen zusammenfließt.

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In Kirchseeon kehrte ich nun von der Arbeit nach Hause zurück und sah, dass alle Nachbarn ihren Hauseingang freigeschaufelt hatten, sodass die Wege begehbar waren. Nur vor meiner Tür hatten sich Kamelhöcker aus Schnee gebildet. Es gab kein Entrinnen. Mein Nachbar drückte mir eine Holzschaufel in die Hand, ein durchaus unhandliches Gerät. Es hilft, wenn man mit weichem Schnee beginnt und sich sachte zum schwereren dichten Schnee vorarbeitet. Das nächste Level erreicht man durch die Erweiterung der Schaufel zur Schneehexe. Voraussetzung ist, dass man durch viele Einsätze im Gestöber Kraft für das Führen einer Schneehexe gesammelt hat. Weniger Kraft braucht die Bedienung der Schneefräse, hier sind jedoch gute Nerven und finanzieller Spielraum gefragt, manche Fräsen sind sehr oft reparaturbedürftig.

Langsam gelang mir dieser Wintersport. Es ist ein atmosphärischer Anblick, die Nachbarn so beim Schneeschippen zu erleben, mit ihrer Winterkleidung und den Schaufeln. Hier in Bayern ist man auf den Schnee vorbereitet, die Menschen besitzen Ausrüstung, im Gegensatz zur Lage im Libanon. Als ich dort war, um Flüchtlingen zu helfen, war die Lage schlimm. Die Zeltbewohner waren eingeschneit und drohten zu erfrieren. Die Kinder bastelten Schuhe aus Coladosen, sodass sie im Schnee gehen konnten.

Hier ist das morgendliche Schneeschaufeln wie ein Sport. Danach trinkt man heißen Tee und ist bereit für den Tag, der idealerweise fortgesetzt wird mit dem süßen Duft von Kaiserschmarrn mit weißem Zuckerschnee.

© SZ vom 11.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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