Musiker und Sammler:"Ich kann Klänge aus der Zukunft spielen"

Lesezeit: 4 min

Peter Pichler vor seinen Instrumenten. (Foto: Robert Haas)

Peter Pichler ist der letzte Musiker, der das Trautonium beherrscht. Das ungewöhnliche Instrument gilt als Vorläufer der Synthesizer. Zur Zeit sind die beiden in den Kammerspielen zu erleben - eine Sensation.

Von Sabine Buchwald

Dieses Stück ist eine Schau, ganz sicher auch wegen Peter Pichler. Eine Schau, so sagt man gemeinhin auf Bairisch, wenn kein Adjektiv dazu ausreicht, Anerkennung auszudrücken. Für das Zwei-Personen-Stück "Als lebten wir in einem barmherzigen Land", seit Ende Januar in den Kammerspielen zu sehen, passt dieser aus den Tiefen der Mundart geholte Ausdruck insofern gut, weil Pichler ein Dialekt sprechender Münchner ist. Außerdem bietet die Inszenierung beglückend geglückt zwei Stunden lang fast an den Wahnsinn grenzend viel zu schauen. Es wird ohne Tempolimit geredet, gesungen, geweint und (Achtung: Spoiler) gekotzt auf höchstem Schau-Spielniveau. In der erstmaligen Umsetzung von Alison Louise Kennedys gleichnamigem Roman setzen Wiebke Puls und Edmund Telgenkämper Maßstäbe. Mit wenigen Requisiten - einem großen, kokoonartigen Weidenkorb und einem durchsichtigen, begehbaren Zylinder - ausgestattet, spielt sich alles auf der Vorbühne ab. Die Kulisse lässt sich schnell auf- und abbauen. Allerdings gehört dazu noch am rechten Bühnenrand ein Musiker und ein Instrument, mit dem er Melodien anreißt und wundersam klingende, gequetschte und krächzende Töne erzeugt: Peter Pichler und sein Trautonium.

Dieses Duo ist ein Erlebnis und das aus mehrerlei Gründen: Das elektronische Trautonium war bislang noch nie als musikalische Unterstützung eines Theaterstücks auf der Bühne zu sehen. Überhaupt ist es nur selten live zu hören, ab und zu etwa als Musikbegleitung von Stummfilmen wie Metropolis. Der hölzerne Kasten sieht wundersam altmodisch aus. Er erinnert an die Zeit der Groß- oder sogar Urgroßeltern und auf den ersten Blick an eine kleine Orgel. Wären da nicht so viele Knöpfe und Schalter, an denen Pichler während des Spiels unentwegt dreht und drückt.

Das Trautonium gilt als der Vorläufer der Synthesizer. Es hat keine Tasten im klassischen Sinn, sondern Metallstreifen, auf denen die Finger hin- und hertanzen, mal schleifen, mal springen. Benannt ist es nach seinem Erfinder Friedrich Trautwein, der es 1930 erstmals öffentlich vorstellte. Er hat es zusammen mit dem Komponisten und Musiker Oskar Sala entwickelt, der nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Vertonung von Spielfilmen und Werbung Geld verdiente. Pichler gilt als der einzige verbliebene Trautoniumspieler. Er sagt über sich: "Ich bin der letzte, ich kann Klänge aus der Zukunft spielen."

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Aber muss er wirklich der letzte bleiben? Pichler, schlank und agil, ist wahrscheinlich noch eine ganze Weile in der Lage, dieses Instrument zu bedienen und wohl auch sein Können weiterzuvermitteln, so wie er Gitarrenunterricht gibt. Sein genaues Alter will er nicht nennen, warum aber sollte seine Begeisterung kein Feuer bei jungen Musikern entfachen? "Es ist elektronische Musik, die so wärmend ist wie eine Zentralheizung", sagt er über das Trautonium. Können solche Sätze kaltlassen? In einem Youtube-Video erklärt Pichler ausführlich, wie das Instrument funktioniert, wie Glyzerin unter der Metallschiene für Dynamik sorgt und der "Subharmonische Generator" Töne dazu ermöglicht. "Das Trautonium kann lauter und tiefer spielen als jedes andere Instrument", schwärmt Pichler bei einem Besuch in seinem Atelier. Es ist ein angenehm temperierter Altbau-Raum, wo zwei der Instrumente stehen, die keine "wohltemperierten Klänge" hervorbringen, wie Pichler immer wieder sagt.

Peter Pichlers Atelier ist die Welt eines Sammlers. (Foto: Robert Haas)

Man dringt in ein Refugium eines Sammlers ein, das voller Erinnerungsstücke ist. Überall Bilder, Bücher, CDs, Platten, Figürchen in und auf Regalen. Ein geblümtes Mädchenkleid hängt von der Decke. "Mein Kinderzimmer", sagt Pichler. Er weiß auf überraschte Gesichter zu reagieren. An einer Wand türmen sich an die 30 Gitarren in Koffern und Hüllen. Gegenüber steht ein Klavier, auf der Notenablage sind ein Buch von Franz Xaver Kroetz und ein Päckchen Niespulver drapiert. Daneben in einer Ecke stehen ein kleineres und ein größeres Trautonium, so wie es in den Kammerspielen zu sehen ist. Auf dem kleinen, Volkstrautonium genannt, kaum breiter als ein Nachtkästchen, lassen sich auch richtige Melodien spielen. Es ist von Telefunken, sollte mit einem Radio verbunden die breite Bevölkerung zum Musikmachen animieren. Das größere, ein "Mixtur-Trautonium", hat Jürgen Hiller nachgebaut. "Ein Elektrofreak", sagt Pichler über den Berliner. Er selbst habe relativ wenig Ahnung von diesen Bauplänen. Dafür hat er sich ins Spielen reingefuchst. Wahnsinnig viel üben müsse er, es sei ziemlich kompliziert. Seit etwa neun Jahren spielt er nun schon auf Konzertniveau, er sieht sich schon nicht mehr als Gitarrist.

Dass sich die Ideen rund um das zu seiner Zeit avantgardistische nstrument nicht richtig durchsetzen konnten, hat mit der dunklen Geschichte des Landes zu tun. Das Trautonium sollte in Radioshows live gespielt über den Äther gehen. Dazu gab es in Berlin eine Rundfunkversuchsstelle, die 1933 die Nationalsozialisten übernahmen. "Die Nazis haben die Entwicklung des Trautoniums gestoppt", sagt Pichler. "Sie wollten Sprecher, keine Musik."

Es ist spekulativ, das zu behaupten, aber vielleicht reizt Pichler gerade dieser früh verhinderte Aufstieg des Instruments. Telefunken habe damals viel investiert, erzählt er. Dennoch sei die Geschichte des Trautoniums eine Geschichte des Scheiterns. Es fehlten die großen Kompositionen dafür. Die wichtigsten stammen von Paul Hindemith und Oskar Sala, Bela Bartok hatte wohl einen Auftrag und starb, bevor er ihn erfüllen konnte. Es ärgert Pichler, dass Leute wie Sala vieles rund um das Instrument für sich behalten haben. Er hat das bedrohlich klingende Flattern in Alfred Hitchcocks Film "Die Vögel" aus dem Trautonium geholt und es damit wieder bekannter gemacht. Motorenbrummen, die Rotorblätter eines Hubschraubers, alles ist möglich. In den Kammerspielen lässt Pichler Schuberts Es-Dur-Trio anklingen. In einem Video, das er ins Netz gestellt hat, hört man ihn tanzbare Beats unterfüttern. Das Trautonium kann offensichtlich viel. Es gibt Tasten für klassische Musik, stufenlos spielbar. "Eine völlig andere Art zu spielen. Man kann Akkorde und Klänge verändern. Ich habe 100 Töne in einer Oktave. Unglaublich spannend."

Das Trautonium ist ein elektronisches Instrument, entsprechend auch verkabelt. (Foto: Robert Haas)

Auf einem Fenstersims in Pichlers Arbeitsraum steht eine hüfthohe Nachbildung des Münchner Fernsehturms. Pichler ist im Olympiazentraum aufgewachsen. Angefangen hat er als Punkmusiker, spielte bei den Condoms und hatte damals, wie sich das gehört, auch Ärger mit der Polizei. Dann hat er am Mozarteum in Salzburg studiert, am Leopold-Mozart-Konservatorium in Augsburg und an der Musikhochschule in Karlsruhe.

Das alles liegt hinter ihm, ein wenig Rebell ist Pichler aber noch im Herzen. "Die Inhalte sind das Entscheidende, deshalb bin ich Punk geworden", sagt er und schwärmt von Künstlerkollegen wie Stephan Zinner, Hans Söllner und Funny van Dannen, die auch mal nein sagten oder den Mund hielten. Regisseurin Sandra Strunz, wiederum sagt, wie glücklich sie ist, dass Pichler sich auf die Zusammenarbeit eingelassen hat. "Ich bin Hochgeschwindigkeit, Peter ist das eher nicht." Denn: "Das Trautonium ist für diesen Abend das absolut richtige Instrument."

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