Trauer in München:"Bei Charlie gab es Ziele, das ist wahlloses Töten"

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Rot-blaue Herzen, Fahnen auf Halbmast: Die Franzosen in München sind fassungslos - und beschwören die Freiheit. Der bayerische Ministerpräsident fordert dagegen schärfere Kontrollen.

Von Martin Bernstein, Anna Günther und Thomas Schmidt

Zwei Kinder sitzen auf dem Gehweg vor dem französischen Generalkonsulat in München. Mit Kreide malen sie etwas auf den Boden. Es sind Herzen. Die Farben: rot und blau. Es ist der Tag nach den Terroranschlägen in Paris - und auch München trauert.

Die Fahnen wehen auf Halbmast. Vor dem Konsulat flackern Kerzen und Teelichter im kalten Wind, immer wieder legen Menschen Blumensträuße nieder. Manche mit Tränen in den Augen, andere sehen entschlossen aus, fast wütend. "Ich habe viele Freunde und Angehörige in Paris, und ich kenne den Konzertsaal, in dem es passiert ist", sagt Rebecca Delmas. Seit 26 Jahren lebt die Französin in München. "Stellen Sie sich vor, es hätte einen solchen Anschlag in der Muffathalle gegeben!"

Die Freiheit müsse entschlossen verteidigt werden, sagt Jean-Claude Brunet, der französische Generalkonsul. (Foto: Florian Peljak)

Neben ihr steht Bruno Pludermacher, er hat sich eine Anstecknadel mit den französischen Nationalfarben an den Pullover geheftet. "Das ist noch schlimmer als bei Charlie Hebdo", sagt Pludermacher. "Bei Charlie gab es noch Ziele, das jetzt ist wahlloses Töten."

Streifenpolizisten sind vor dem Münchner Generalkonsulat nicht zu sehen, auch keine Soldaten mit Maschinenpistolen wie in Paris. Und trotzdem wachen Sicherheitskräfte über das Gebäude, kaum wahrnehmbar, in zivil. "Wir sind im ständigen Kontakt mit den Behörden", sagt Jean-Claude Brunet, Consul Général. Die Sicherheitsvorkehrungen seien erhöht worden, "es gibt aber keine konkreten Hinweise auf eine Bedrohung".

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Etwa 10 000 Franzosen leben in München - so die offizielle Zahl. "Die Freiheit", sagt Brunet, "muss entschlossen und stark von allen Franzosen verteidigt werden." Die Anschläge seien nicht nur ein Angriff auf Frankreich, sondern auf ganz Europa. "Wir müssen zeigen, dass wir das nicht zulassen, dass wir uns nicht daran gewöhnen. Wir müssen unsere Werte gemeinsam verteidigen." Er spüre viel Solidarität in Deutschland, sagt Brunet, "und wir bedanken uns sehr dafür".

Seehofer beruft Sondersitzung zur Sicherheitslage ein

Auch Oberbürgermeister Dieter Reiter zeigt sich tief bestürzt: "München leidet mit Paris nach diesen feigen und unfassbar menschenverachtenden Anschlägen der letzten Nacht", schreibt der SPD-Politiker auf Facebook. "Unsere Gedanken sind bei den Opfern, ihren Angehörigen und Freunden und allen Menschen in Paris." Auch die Landtagsfraktionen von CSU, SPD und Grünen beteuern tiefes Mitgefühl und Solidarität mit den Franzosen.

Ministerpräsident Horst Seehofer setzte für Sonntagnachmittag eine Sondersitzung des Kabinettsausschusses an. Er will mit den für innere Sicherheit zuständigen Ministern, Justizminister Winfried Bausback, Innenminister Joachim Herrmann und Staatskanzleichef Marcel Huber, über die aktuelle Sicherheitslage im Freistaat sprechen und sich dann mit dem Bund abstimmen.

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Ein Mann, der womöglich mit Waffen nach Frankreich wollte

Denn eine Spur der französischen Ermittler führt offenbar nach Bayern: Die Polizei hatte am 5. November bei einer Schleierfahndung auf der A 8 einen Mann festgenommen, der zum Kreis der Attentäter von Paris gehören könnte. Es gebe die "begründete Annahme, dass es möglicherweise mit der Sache zusammenhängt", sagte Seehofer. Im Auto des aus Montenegro stammenden 51-Jährigen wurden laut Landeskriminalamt acht Kalaschnikows, ein Revolver und zwei Pistolen sowie Handgranaten und Sprengstoff gefunden worden.

"Wir prüfen in Zusammenarbeit mit den französischen Behörden intensiv, ob es einen Zusammenhang mit den Ereignissen von Paris gibt", sagt Innenminister Herrmann. Aufgrund der Daten des Navigationssystems des Mannes und seines Handys gebe es "deutliche Hinweise, dass der Mann nach Frankreich wollte". Für Ministerpräsident Seehofer zeige der Fall die Notwendigkeit, sich einen Überblick zu verschaffen. "Wir müssen wissen, wer bei uns ist und wer durch unser Land fährt." Wenn der Zuzug nicht begrenzt würde, sagte er, sei die Flüchtlingskrise nicht zu bewältigen. Es müssten "wieder Regeln des Rechts und der Ordnung" gelten.

Auch die Münchner Polizei reagierte und erhöhte die Sicherheitsmaßnahmen am französischen Generalkonsulat und im Umfeld weiterer französischer Einrichtungen in der Landeshauptstadt. Außerdem gibt es "weitere aktuelle Sicherheitsmaßnahmen, über die wir aber nichts sagen", wie es Polizeisprecher Werner Kraus formuliert. Wegen der seit geraumer Zeit "abstrakten Terrorgefahr" habe das Polizeipräsidium seine Vorsichtsmaßnahmen ohnehin bereits hochgefahren. Außerdem werde am Wochenende ständig überprüft, welche Veranstaltungen und Einrichtungen zusätzlich geschützt werden müssten. Ob dazu etwa der Auftakt der Jüdischen Kulturtage am Sonntagabend im Gasteig gehört, darüber kann nur spekuliert werden.

Konzert der Eagles of Death Metal entfällt

Blumen vor dem französischen Generalkonsulat München, Heimeranstraße 31 aufgrund der Anschläge in Paris (Foto: Florian Peljak)

Bundesliga-Fußball findet am Wochenende wegen der Länderspielpause auch in München nicht statt. Von Konzertausfällen oder Absagen anderer Großereignisse ist im Polizeipräsidium nichts bekannt.

Ein Konzert in der kommenden Woche wird nicht stattfinden. Die US-Band Eagles of Death Metal, bei deren Konzert in Paris am Freitagabend hundert Menschen von den Attentätern ermordet wurden, sollte am kommenden Donnerstag im Kesselhaus in Freimann auftreten. Am Samstagabend sagte die Band laut der spanischen Tageszeitung El Pais ihre bis Dezember geplante Tour ab.

Am Münchner Hauptbahnhof gilt indes unverändert die "abstrakt erhöhte Gefährdungslage", sagt Bundespolizei-Sprecher Simon Hegewald. Das gehöre schon seit geraumer Zeit zur täglichen Arbeit der Beamten, die für die polizeiliche Gefahrenabwehr im Bereich der Anlagen der Deutschen Bahn und im S-Bahnnetz zuständig sind. Herrenlose Koffer etwa führen immer wieder dazu, dass Teile des Bahnhofs kurzfristig gesperrt und geräumt werden müssten. Bis Samstagmittag gab es seitens des Bundespolizeipräsidiums Potsdam keine speziellen Anweisungen im Zusammenhang mit den Anschlägen von Paris. Das könne sich im Laufe des Wochenendes aber noch ändern, so Hegewald.

"Die Angst ist da"

Vor dem französischen Gneralkonsulat fragen sich die Trauernden, wie es jetzt weitergehen soll. Sicherheit und Freiheit, sagt Bruno Pludermacher, der Mann mit der Anstecknadel, nachdenklich, das sei immer eine schwierige Balance. So schrecklich diese Nacht in Paris auch gewesen sei, "man muss sein Leben leben". Die Gemeinschaft "rückt zusammen".

Viele Franzosen in München hätten sich spontan über Facebook verabredet, um sich vor dem Generalkonsulat zu treffen, um Blumen niederzulegen, um Lichter zu entzünden. "Jeder hier ist mit jedem irgendwie vernetzt", sagt Rebecca Delmas. Es hilft, in solchen Stunden nicht alleine zu sein. Aber "die Angst", sagt Delmas, "die Angst ist da".

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