Tierpark Hellabrunn:Der Elefanten-Flüsterer

Lesezeit: 4 min

Bis zur Geburt des Babys trainiert Navin Adami täglich mit der Elefantenkuh. (Foto: Hellabrunn)

Für ein Praktikum kam Architekturstudent Navi Adami 2002 in den Tierpark Hellabrunn - und blieb als Elefantenpfleger. Nun bereitet er einen seiner Schützlinge auf ein großes Ereignis bevor: Elefantenkuh Temi bekommt bald Nachwuchs.

Von Philipp Crone

Temi rüsselt nicht. Die schwangere Elefantenkuh steht hinter dicken weißen Gitterstäben und schaut herunter auf Navin Adami. Der 47-jährige Pfleger ist winzig im Vergleich zu dem grauen Koloss. Und trotzdem spielt das Tier keine Spielchen an diesem Donnerstagmorgen Anfang September um 8.30 Uhr. Adami hat einen jungen Kollegen dabei, der die Elefanten noch nicht so gut kennt wie er selbst nach 18 Jahren. Adami sagt: "Die Tiere versuchen gerne, einen mit dem Rüssel zu erwischen." Und wenn man unerfahren ist, dann wird man auch mal getroffen.

Das ist meistens nicht sehr schmerzhaft, aber es geht um etwas anderes: das Verhältnis zwischen Mensch und Tier, zwischen Pfleger und Elefant. Die Hierarchie muss klar sein und bleiben, "das Tier muss verstehen, dass man cleverer ist". Gerade jetzt zwischen Adami und Temi, dem Mann mit den dunklen Augen und schwarzen Haaren, der einen Stab in der Hand hält und kurze Kommandos sagt. Und dem 20-jährigen Elefanten, der im November ein Jungtier zur Welt bringen soll. So sehr sich alle auf dieses Ereignis freuen, so unsicher ist es.

Tierpark Hellabrunn
:Zoo-Jahreskarten gelten länger

Zuletzt hatte es Kritik gegeben, weil Dauerkartenbesitzer durch die begrenzte Zahl der zugelassenen Besucher den Tierpark nicht wie sonst besuchen konnten.

Das letzte Mal, vor zehn Jahren, als Temi ein Elefantenjunges zur Welt brachte, waren die Pfleger noch im direkten Kontakt mit den Tieren. Heute spricht man vom geschützten Kontakt: Mensch und Tier sind immer voneinander getrennt, mindestens eine Rüssellänge, das ist im Hof des Elefantenhauses sogar auf den Boden gezeichnet. Wie eine Corona-Abstandslinie sieht das aus. Adami wird also sehr wahrscheinlich erst einmal gar nichts tun können, wenn der Nachwuchs auf die Welt kommt. Wichtig ist aber zum Beispiel, was er vorher getan hat.

Adami hält Brotstücke in der Hand und wirft immer dann ein Stück vor Temis Rüssel, wenn das Tier eine Anweisung befolgt hat. Mit der rechten Seite ans Gitter stellen, mit der Linken, das Ohr zeigen. Adami redet auf das Tier ein, schaut nie weg, und der junge Kollege spritzt die Elefantenhaut mit einem Wasserstrahl ab, den die Polizei problemlos gegen Demonstranten einsetzen könnte. Elefantenwasserhärte.

Temi ist im 19. Monat schwanger. In etwa drei Monaten kommt das Elefantenbaby zur Welt. (Foto: Hellabrunn)

Es sind noch knapp drei Monate bis zur Geburt. Wenig bei einer Tragezeit von insgesamt 22 Monaten. Würden die Pfleger den Tieren nicht regelmäßig Blut abnehmen und Urin auswerten, wüsste man erst spät, was da passiert. "Ein erstes äußerliches Zeichen sind angeschwollene Brüste", sagt Adami. "Die sieht man aber erst nach 16 Monaten."

Was Elefantengeburten angeht, hat Adami Erfahrung, auch wenn die neun Jahre her ist. Bei der Geburt von Ludwig war er dabei, die Elefantenpfleger hatten schon Wochen vorher ein Schichtsystem eingeführt, bei dem immer zwei Pfleger rund um die Uhr beim Elefantenhaus waren. Denn sobald es Signale für einen Beginn der Geburt gibt, muss die trächtige Mutter in eine eigene Box bugsiert werden. Die Box ist für die Geburt mit Sand ausgelegt. "Wenn das Jungtier auf die Welt kommt, ist es sehr glitschig, soll aber möglichst gleich aufstehen und auf den eigenen Beinen stehen." Das ist einfacher, wenn der Boden griffig ist.

In der Gruppe fühlt die Elefantenkuh sich wohl

Die Pfleger lassen das trächtige Tier in der Gruppe, so lange es geht, was bei den sozialen Elefanten wichtig ist, damit sich die werdende Mutter wohl fühlt. Würde aber das Jungtier draußen im Freigehege auf die Welt kommen, wären die Gefahren groß, dass ihm gleich etwas passiert. Er könnte in den Wassergraben fallen oder sich an den Spielgegenständen verletzen. Und in dem Fall könnten die Pfleger nicht eingreifen, weil es eben heute ein geschützter Kontakt ist, also einer mit Barriere.

Adami beendet das Training. Am Ende gibt es noch den "Jackpot" für Temi, einen Waschzuber voll mit Früchten und Gemüse. Dann geht Adami zurück in das Pfleger-Büro, in dem er seit 18 Jahren mittags Brotzeit macht. Seit er als Architekturstudent im Zoo ein Praktikum machte, weil er sich für die zoologischen Gebäude interessierte.

Der Tierpfleger simuliert durch Berühren der Brust das Saugen des Jungtiers. (Foto: Hellabrunn)

"Ich wollte eigentlich Architekt werden, hatte in Trier studiert." Schon in seiner Kindheit in Frankfurt ging er gerne in den Zoo, zunächst wollte er dann Studium und Interesse verbinden. Aber bei dem Praktikum in München habe ihn dieser Beruf auf einmal fasziniert. "Das Klima hier, das Arbeitsumfeld, die Atmosphäre."Pfleger sind nicht zu ersetzen, Tiere sind ganz unmittelbar in ihrem Verhalten. Einen Elefanten näher kennen lernen oder sich als Architekt jahrzehntelang durch Wettbewerbe quälen? Adami entschied sich schnell, auch weil gerade eine Ausbildungsstelle frei war. Und so kam er zu den Elefanten, vielleicht einer Art Königsdisziplin im Zoo. Warum Elefanten?

"Ich war schon 30, als ich hier anfing." Also jemand, der "keine Flausen mehr im Kopf" hatte. Für Elefanten gilt noch einmal mehr, was ohnehin für jede Tierart gilt: Man muss immer konzentriert sein, zuverlässig, souverän. Diese grauen Experten für Soziales merken sofort, wenn jemand nicht bei der Sache ist, unsicher ist, schlecht gelaunt ist, schlecht geschlafen hat. Und dann wird vielleicht mal kurz gerüsselt. Adami kam wegen seines Alters zu den Elefanten und ist geblieben.

Adami sieht von Weitem, wie die Stimmung bei den Elefanten ist

Auf dem Weg in das Gemeinschaftsbüro neben dem Elefantenhaus, das auch Brotzeitraum ist, geht Adami am Futterraum vorbei, grüßt eine Kollegin, ehe er am Schreibtisch auf die Monitore schaut, auf denen man aus elf Perspektiven das Außengehege und das Elefantenhaus im Blick hat.

Das Training beinhaltet unter anderem Klick- und Klopfsignale. (Foto: Hellabrunn)

Adami sieht heute von Weitem, wie die Stimmung bei einem Tier ist. Kommt es gleich zu ihm oder bleibt es erst einmal weg und schaut nicht zu ihm. Dann muss er die Verbindung herstellen, "mit Belohnungen arbeiten und dem Tier keinen Stress machen". Bei Temi ganz besonders, die schwangere Elefantenkuh war schon immer "launisch und unberechenbar".

Es geht immer um die Rangfolge bei den Elefanten, und Temi ist die rangniedrigste. Also versucht sie besonders, die Pfleger unter sich in der Hackordnung zu platzieren. Wenn die Geburt ansteht, wird Temi aber von allen anderen Elefanten unterstützt. "Normalerweise hilft immer die Leitkuh", sagt Adami. Dem Jungtier beim Aufstehen zum Beispiel. Oder sie schützt das Jungtier, falls ein anderes Tier aus der Herde auf das frisch Geborene losgeht.

"Beim Hinlegen tut sie sich schon etwas schwer", sagt Adami. Er fasst Temi an die Brustwarzen, um sie an das Gefühl zu gewöhnen, dass da bald jemand dran ziehen wird. Wenn der Elefant zu brüllen anfängt, sich separiert oder sich die Blutwerte verändern, wissen die Pfleger, dass es bald soweit ist. Meistens passiert es nachts, weil in der freien Natur dann weniger Fressfeinde drohen. Das Jungtier fällt dann aus geringer Höhe auf den Boden, die Vorderbeine zuerst, die Nabelschnur reißt und alle hoffen, dass das Tier zügig aufsteht.

Adami wird demnächst einige Nächte im Zoo verbringen. Er wird hoffen, er wird nicht eingreifen, selbst wenn die Mutter ihr etwa 100 Kilo schweres Baby angehen sollte. Das Erste, was er machen wird, wenn alles gut läuft: "Temi am nächsten Tag einmal waschen."

© SZ vom 09.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusTierpark Hellabrunn
:Von den Tieren lernen

Rasem Baban erlebt den Münchner Tierpark derzeit so wahrhaftig wie noch nie: Das Panzernashorn vermittelt Ruhe, die Elefanten halten zusammen und ein Gorilla sucht die Nähe. Das alles hilft dem Zoo-Chef in der Krise.

Von Philipp Crone

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: