Tanz in München:Nicht heilsam, aber attraktiv

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Nach der Premiere in Köln kam "Made Two Walking / Made All Walking" von Richard Siegal / Ballet of Difference nun nach München. (Foto: Thomas Schermer)

Richard Siegal entfaltet mit "Made Two Walking / Made All Walking" in der Muffathalle einen rhythmischen Sog, dem man sich nicht entziehen kann.

Von Sabine Leucht, München

Rhythmus verbindet. Keine Frage! Zum Beispiel den nimmermüden Muskel in unserer Brust mit den knallenden Stiefelabsätzen auf der Bühne. Als Richard Siegals "Made For Walking" 2018 in der Muffathalle Premiere hatte, knallte das auch. 20 Minuten Adrenalin, ausgehend von vier Tänzern und ihren vertrackten, polyrhythmischen Stampf- und Klatsch-Exerzitien. Mittlerweile hat der in München optionsgeförderte US-Choreograf, der sich mit seinem Ballet of Difference (BoD) dem Schauspiel Köln angeschlossen hat, die damalige Grundidee ausgebaut und schaute ein halbes Jahr nach der Kölner "Weltpremiere" mit "Made Two Walking / Made All Walking" mal wieder in der Muffathalle vorbei. Und erneut kann man sich dem Sog des Rhythmus' kaum entziehen.

Im ersten Teil muss man die Grandezza bewundern, mit der Nicolás Martínez und vor allem die BoD-Stammkraft Margarida Neto die mathematischen Nüsse knacken, die die Choreografie ihnen vorsetzt: Die Füße hacken und klicken einen anderen Beat in den Boden als die sich vorne, hinten und über Kreuz treffenden Hände. Wobei Neto noch Gelegenheit findet, mit einem gen Himmel gestreckten Bein auf Cancan zu machen und aufwärts der Taille die Verführungskraft lateinamerikanischer Tänze herbeizuzitieren. Ganz ähnlich wie beim Ur-"Made For", nur mit weniger Personal.

Dafür ist der Percussionist Njamy Sitson neu dabei, ein Augsburger Schamane mit afrikanischen Wurzeln, der ganz andere Dinge über die Heilkraft und Universalität des Rhythmus' weiß als es sich westliche Bewegungs-Puzzler träumen lassen. Doch der Mann, dessen Trommelworkshop den Anstoß für dieses Geh-Doppel gegeben hat, hat darin eine merkwürdige Rolle zwischen musikalischem Satelliten und Beobachter inne. Was er sieht und mit archaischen Gesängen und Conga-Wirbeln ergänzt, ist ein Musterbeispiel des Wiederverwertens von scheinbar unvereinbarem künstlerischem Material. Musikalisch steuert, wie oft bei Siegal, Lorenzo Bianchi Hoesch elektronische Sounds bei, der Tanz ist ein technisch hochgejazzter globaler Stilmix, in dem einige Hand-Gesten an Pharaonenbilder erinnern.

Mit seinem ethnografischen Interesse, der Exzellenz klassisch gebildeter Tänzer und zeitgenössischer Erfindungslust hat Siegal über die Jahre eine Bewegungssprache entwickelt, die so wuchtig wie brüchig, so speziell wie massenkompatibel ist (aber auch mächtig baden gehen kann, wenn sie zu viel erzählen will). Wen würde es wundern, wenn man dem ehemaligen Aushängeschild der freien Münchner Tanzszene demnächst ein internationales Eröffnungsspektakel anvertraute? "Made All Walking" gibt einen Vorgeschmack darauf, wie das aussehen könnte. Zwölf Tänzer des BoD, dessen Diversität nach etlichen Ab- und Neuzugängen fast Reißbrettcharakter hat, tragen sexy Stay-ups und nude-grundige Kostüme (Flora Miranda), von denen keines dem anderen gleicht. Imposant trainierte Beine takten sich in eine Maschinerie ein, deren Grundrauschen eine Kombination simpler Sidesteps ist. Und die auch Ausbrüche erlaubt - aus der Linie, der Gruppe, dem vermeintlich unverbrüchlichen Zusammenhang zwischen Sound und Bewegung ins fast frei floatende Individuelle, das - meist, bevor es beliebig wirkt - wieder eingefangen wird vom unterschwellig mittickenden, kalkuliert stolpernden Puls. Halt finden in der Gemeinschaft? Heilung? Vergiss es! Aber attraktiv ist das schon. Auf eine beinahe aggressive Weise.

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