SZ-Serie: Alles im Griff, Folge 5:"Je später die Jahreszeit, desto gröber das Material"

Lesezeit: 4 min

Florist Thomas Gebhardt vor seinem Stand am Münchner Viktualienmarkt. (Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)

Putzen, schnalzen, hüpfen: Florist Thomas Gebhardt betreibt einen Stand auf dem Viktualienmarkt. Es ist eine Blumenhöhle, deren Bewohner er jeden Tag bändigen muss

Von Sabine Buchwald

Lieblingsblumen? Thomas Gebhardt zieht die Schultern hoch, dann sagt er: "Im Moment verarbeite ich gerne Himbeergrün." Im Hochsommer gibt es viel davon. Die Blätter sind oval bis herzförmig, ihre Ränder ausgezackt, sehr dekorativ. Gebhardt hat einen Buschen davon in einem Kübel stehen. Er wuschelt mit der Hand durch das linde Grün. Was seine Finger dabei empfinden, muss dieses Gefühl sein, das er sich nicht nehmen lassen will durch Handschuhe.

Nur selten ziehe er welche über, sagt Gebhardt. Er brauche dieses Gefühl zum Material, damit meint er all die Blumen und Zweige, die unter seinen Händen zu Sträußen und Gestecken werden. Ist der Sommer groß, zeigt sich das in den Blüten und Farben der Gewächse, die er dazu verwendet. Weiße Hortensien, lila Lavendel, wilde Rosen in Dunkelrosé, gefüllte Chrysanthemen in Gelb und Lachs. Gebhardt deutet auf einzelne Blumensorten um sich herum. Es scheinen unendlich viele zu sein. Sein Geschäft am Viktualienmarkt ist eine Blumenhöhle, in der im Inneren gebändigt wird, was draußen wächst.

Die Hände von Thomas Gebhardt, Hände, die sich seit vielen Jahren um Blumen kümmern, die sie binden und pflegen können. Die Tattoos sind sein Markenzeichen. (Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)

An einem Donnerstagmorgen um neun Uhr Ende Juli ist Gebhardt schon seit drei Stunden am Werkeln. Die Töpfe stehen bereits draußen und die ersten Sträuße sind auch schon gebunden, die bestellten und ein paar von denen, die als Mitbringsel schnell über den Ladentisch gehen. Gebhardt gehört der auffallend üppig dekorierte Stand am südlichen Rand des Marktes, direkt an der Frauenstraße. Immergrün und immer da sind hier die Birken in den großen Trögen. Jetzt im Sommer rankt Hopfen am Eingang, dessen Dolden wie große Tropfen herunterhängen. Lange Gräser wiegen sich im Wind. An der Tür steht eine flammendrote Echinacea, von deren Farbe Gebhardt selbst entzückt ist.

Auch nach Jahrzehnten hat die Begeisterung für das blühende Material bei ihm nicht nachgelassen. Topf an Topf reihen sich an diesem Tag entlang der Außenwand gelbe Strohblumen, lila Ziersalbei, rosarotes Löwenmaul, lila Zelosien, Rudbeckias, Dahlien, Anemonen und noch sehr viel mehr. Sobald sich der Markt mit Flaneuren, Touristen und geschäftigen Münchnern füllt, wird Gebhardts Stand zum Fotomotiv. "Blütenrein" heißt er, den Namen aber dürften nur die wenigsten kennen. Bekannt ist er als der mit den vielen Pflanzen vornedran.

Ab 70 Stielen wird es kritisch. (Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)

Eine Stunde etwa braucht Gebhardt am Morgen, bis - bei schönem Wetter - alles Blühende draußen steht, und abends ebenso lang, bis alles wieder im Inneren verstaut ist. Die Nacht verbringen die meisten Pflanzen dicht an dicht unterm Dach. Diese zwei Stunden des Rumräumens nimmt sich der Florist, denn das macht ihn sichtbar für die Kunden. Etwa ein Drittel Laufkundschaft habe sein Marktstand, ein Drittel der Aufträge komme von Hotels, der Gastronomie, von Kanzleien und Praxen. Und ein Drittel des Umsatzes bescheren ihm die Stammkunden. Von denen weiß Gebhardt dann schon oft, was sie für bestimmte Vasen brauchen, welche Farben sie bevorzugen.

In den ersten Morgenstunden, wenn es noch ruhig ist, wird die frische Schnittblumenlieferung "geputzt". Die unteren Blätter am Stängel werden entfernt und die Stiele angeschnitten. Gebhardt verwendet dazu ein kleines Messer. Dessen roter Griff verschwindet fast völlig in seiner Handfläche. "Immer zu sich hin schneiden", sagt er. Als Kind hat man das mal anders beigebracht bekommen. Aber Gebhardt weiß, was er tut. Er hat fünf lange Jahre Grundausbildung hinter sich: drei Jahre bis zum Gärtner, danach zwei Jahre Floristik. Von der Oma und der Tante kommt das Interesse für die Flora, erzählt Gebhardt. Er ist in Mittelfranken aufgewachsen, in Steinensittenbach. Seit 1996 lebt er in München.

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Während man mit ihm spricht, macht er einen frisch angelieferten großen Bund orangeroter Rosen aus Ecuador fertig für den Verkauf. Er schnalzt die Dornen weg, das Grün fliegt auf den Blätterhaufen am Boden. Die Hündin Lola liegt daneben und schaut ohne Mucks zu, wie Gebhardt arbeitet. Er spürt, wie man auf seine Hände schaut. "Je später die Jahreszeit, desto gröber wird das Material", sagt er, "und desto schlimmer sehen die Finger aus."

Im Oktober, November, Dezember hat er viele Zypressenzweige, pieksenden Wacholder und Tannengrün in den Fingern. Dass er nicht mit Papier und Stift arbeitet, sieht man seinen Händen an. Die Feuchtigkeit der Pflanzen und das viele Gießwasser quellen die Haut etwas auf, ähnlich wie bei einem langen Vollbad. Das Auffallende an Gebhardts Händen aber sind seine Tattoos: An der linken Hand sind es Kreise, die auch den Arm bedecken, an der rechten sind es Zacken, die in eine fast monochrome Fläche münden bis über den Ellenbogen hinaus.

Gebhardt bindet einen Strauß gemischte Blumen und hüpft dafür von Eimer zu Eimer, sammelt Stiele zusammen und legt sie vor sich auf den Arbeitstisch. Mit einem Stängel roten Löwenmauls fängt er an, es folgen Himbeergrün und weiße Scharfgarbe. Konzentriert schaut Gebhardt auf die Blüten, fast mechanisch rupft er die Blätter ab. Die Stiele stecken fest zwischen Daumen und Zeigefinger seiner linken Hand. Mit der rechten fügt er immer mehr dazu, dreht den Strauß, sortiert die Blumen nach Farben. So 50 bis 60 sind es wohl am Ende, angeschnitten und mit einem Band zusammengehalten. Um die sechs Minuten braucht Gebhardt dafür. Ein Sommerblumentraum. "Nicht jeder Florist kann gute Sträuße binden, so wie nicht jeder Koch gut kochen kann", sagt Gebhardt und grinst.

Mit dem Messer in Richtung Körper schneiden, so entfernt man Dornen und Blätter richtig. (Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)

So ab 70 Blumen in der Hand wird es für ihn kritisch, jedenfalls bei Rosen. Für solche Mengen sei ziemlich viel Kraft nötig und er müsse manchmal zwischenbinden, sagt er. Aber machbar ist alles. Ein Mann habe mal 600 Rosen bei ihm bestellt. Gebhardt hat sie geputzt und ausgeliefert. "Die kamen alle zurück", erzählt er. Die Angebetete wollte weder die Blumen noch den Mann. Bezahlen aber musste er sie trotzdem.

"Blumen sind ein Luxusartikel", sagt Gebhardt. Hier am Viktualienmarkt funktioniere das Geschäft schon ganz gut, er sucht aber dringend eine Floristin oder einen Floristen. Im Moment hat "Blütenrein" wegen Personalmangels montags und dienstags geschlossen, was nicht gut für die Blumen ist.

Jede(r) braucht in seinem Beruf den Kopf zum Arbeiten. Manche benötigen darüber hinaus aber auch noch eine sehr spezielle Fingerfertigkeit. In unserer Serie stellen wir in loser Folge Menschen in München vor, die einer besonderen Hand-Arbeit nachgehen.

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