Adventskalender für gute Werke:Kinderkino bei Ikea kostet nichts

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So viel Ausstattung gibt es in keinem anderen Raum: Dilan Kazem (Name geändert) beim Lernen mit ihrer Tochter in deren Kinderzimmer. (Foto: Robert Haas)

Dilan Kazem hat nach Jahren im Übergangswohnheim das erste Mal mit ihren vier Kindern in München eine eigene Wohnung bezogen. Es fehlt darin nicht nur an Schreibtischen. Der SZ-Adventskalender für gute Werke unterstützt in diesem Jahr wieder arme Kinder und ihre Familien.

Von Andrea Schlaier

Allein die Diele ist eine Herausforderung: Die Wohnungstür springt auf und hinter der Schwelle ist zunächst: sehr viel Luft. Ganz hinten bei der großen Scheibe zum Hof steht einzig ein Campingtisch, drumherum fünf Stühle. Dilan Kazem bittet den Besuch, am Esstisch der Familie Platz zu nehmen und entschuldigt sich gleich: "Wir haben noch nicht mal Gardinen." Vor ein paar Wochen hat die Irakerin mit ihren vier Kindern über private Kontakte, "reines Glück", die erste eigene Wohnung in München bezogen. 94 Quadratmeter, sechsstöckiges Mehrfamilienhaus. Vorher lebten die fünf in Übergangswohnheimen der Stadt - mit Platz für nichts.

Vorher war auch nur wichtig, ein Dach über dem Kopf zu haben. Damals, nach Dilan Kazems zweiter Flucht. Vor ihrem drogensüchtigen deutschen Ehemann aus Norddeutschland. Jugendamt und Polizei hatten ihr ans Herz gelegt, ihn schleunigst zu verlassen. Kazem ging mit ihren zwei Töchtern nach München, wo Verwandte von ihr lebten. Für die Geschichte tragen die alleinerziehende Mutter und ihre Kinder einen anderen Namen.

Kazems erste Flucht lag da schon Jahre zurück. 2015 war das. Von Bagdad aus machte sich die junge Frau zu Fuß auf den Weg über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Slowenien und Österreich nach Deutschland. Es war die Zeit, als Millionen Irakerinnen und Iraker vor der Gewalt der IS-Kämpfer aus der Heimat flohen. Ihre Tochter Lya, die sie aus einer arrangierten Ehe hatte, trug sie bei sich.

Der Vater der Jungs wohnt im Ausland und besucht die Familie regelmäßig.

Die Frau mit hellgrauer Leggings und anthrazitfarbenem Pulli kommt nicht recht dazu, ausführlicher zu erzählen. Sarah hat sich als Erste angeschlichen, aus einer der Türen, die von der Diele abgehen. Dass sie sich auf Zehenspitzen annähert, ist nicht ihrer Vorsicht geschuldet. Die Siebenjährige kann ihre Fersen nicht aufsetzen und wurde deshalb mehrfach operiert. Die nächste OP steht schon wieder vor der Tür. Noch eine Tür springt auf und barfuß, im gebatikten langen Kleid, kommt Lya, 14, lächelnd auf den Gast zu. Auf ihrer rechten Hüfte hat sie den kleineren der beiden Brüder abgesetzt, Arif, eineinhalb. Jetzt wird's stürmisch, um die Ecke biegt mit Karacho Ilhan, vier. Der Vater der Jungs wohnt im Ausland und besucht die Familie regelmäßig.

Es ist was los, wenn alle fünf hier jeden Abend um halb sechs zusammenkommen. Morgens um 6.30 Uhr startet Dilan Kazem mit den zwei Kleinen auf die andere Seite der Stadt, in der sie bis vor Kurzem im Übergangswohnheim gelebt haben. In der Nähe besuchen die Jungs nach wie vor Krippe und Kindergarten. "Ich bin 50 Minuten unterwegs, bis ich dort bin", sagt ihre Mutter und rollt mit den Augen. Die beiden Mädchen haben schon in die nächstliegende Schule gewechselt und gehen morgens allein los. Sarah hat hier keinen Hortplatz bekommen, deshalb holt Lya die Siebenjährige nach dem Unterricht ab und geht mit ihr heim. Was ihre Älteste angeht, treibt die alleinerziehende Mutter das schlechte Gewissen um: "Sie ist meine rechte Hand und eine große Hilfe." Die 14-Jährige übernimmt viel Verantwortung. Vielleicht zu viel.

Oft sind die beiden auch in der Mittagspause bei ihrer Mama "in der Schule" und machen dort ihre Hausaufgaben. "Ich will sie nicht allein lassen", sagt die 30-Jährige. Im Irak hatte sie als Altenpflegerin gearbeitet, "der Abschluss wird hier nicht anerkannt". Deshalb macht die vierfache Mutter zurzeit eine Ausbildung zur Schwesternhelferin, der Kurs geht täglich von 8.30 bis 15.45 Uhr, Ende Juli ist sie fertig. Sie verdient noch nichts.

"Ich will unbedingt arbeiten, dann schaffe ich es allein."

Die Familie lebt von Bürgergeld. Nach Abzug aller Rechnungen bleiben den Kazems etwa 1100 Euro zum Leben. "Das reicht nicht", sagt die Frau, die das lange hellbraune Haar offen trägt. Manchmal leihe sie sich Geld von ihrer Mutter, die noch in Bagdad lebe. "Deshalb will ich unbedingt arbeiten, dann schaffe ich es allein."

Vor allem die Schulausstattung der Kinder verschlinge viel Geld. Nach dem Umzug innerhalb des Schuljahres musste für die Mädchen einiges neu angeschafft werden. Der Zuschuss des städtischen Bildungspakets von 174 Euro pro Schuljahr und Kind sei bei der Erstanschaffung schon verbraucht worden. Viele von Lyas Mitschülerinnen in der Mittelschule arbeiteten mit Tablet. Das ist nicht drin. Ein Fahrrad für die 14-Jährige und ihre kleine Schwester Sarah, damit sie auch ihre neue Wohngegend erkunden können, auch nicht. Ihre Kleider sind gebraucht. Es macht den Mädchen zu schaffen, dass sie bei vielem nicht mithalten können, sagt die Betreuerin im städtischen Amt für Wohnen und Migration, die die Familie begleitet. "Frau Kazem kämpft sehr hart dafür, ihren Kindern eine gute Kindheit und eine gute Zukunft geben zu können."

Schaufenster-Shoppen ist auch umsonst

In den neuen Zimmern der eigenen Wohnung hat die 30-Jährige ein Bett nach dem anderen selbst aufgebaut. Sarah ist mittlerweile in ihr Zimmer zurück getänzelt und setzt sich auf ihren ganzen Stolz, den mit der dünnen Matratze. Das Gestell wackelt. Das große Fenster im Zimmer, das sie sich mit ihrer Schwester teilt, ist mit einem Stoffbild verhüllt. Davor steht Plastik-Spielzeug. Auf dem Boden liegt ein Straßenteppich für Kinder. So viel Ausstattung gibt es in keinem anderen Raum. Schreibtische auch nicht. Wo anfangen mit Sehnen?

Dilan Kazem hat ein kleines Auto, mit dem sie die Jungs immer in Kita und Krippe fährt. Am Wochenende haben sich alle vier gewünscht, zu Ikea zu fahren. Da können sie spielen und sich was im Kinderkino anschauen. Das kostet nichts. Lya trifft sich gern auch mit den Freundinnen aus der alten Schule am Marienplatz. "Wir laufen dann so rum", sagt die 14-Jährige. Schaufenster-Shoppen ist auch umsonst. Macht aber Appetit. Die 14-Jährige will nicht drüber reden. Lieber darüber, wovon sie sonst träumt: "Ich will Hebamme im Dritten Orden werden, da ist mein kleiner Bruder geboren."

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