Junger Jazz:Musikalische Zeitenwende

Lesezeit: 2 min

Svetlana Marinchenko ist in Moskau aufgewachsen und lebt heute in Berlin. (Foto: Ivan Evstigneev)

Romantisch, wild und wütend: Svetlana Marinchenko stellt ihr neues Trio-Album "Between The Times" vor

Von Oliver Hochkeppel

Manchmal bricht sich Talent erst spät Bahn. Die in Moskau aufgewachsene Svetlana Marinchenko beispielsweise begann erst mit 17 Klavier zu spielen, kurioserweise nachdem sie John Coltranes Saxofon-Meilenstein "A Love Supreme" gehört hatte. Bislang eher Pop- und Rockhörerin, verschrieb sie sich jetzt dem Jazz, und schon nach drei Jahren war sie so gut, dass sie von Andrey Kondakov am berühmten Mussorgsky Konservatorium in St. Petersburg aufgenommen wurde. Sie konnte dort - das Verhältnis Russlands zum Westen war damals noch hoffnungsvoll - sogar an einem Meisterkurs von Herbie Hancock teilnehmen.

Schon während ihres ersten Studienjahres entdeckte sie auch ihre Leidenschaft für das Komponieren und gründete ihre erste Band Svetamuzika, mit der sie es sogar ins russische Fernsehen schaffte und 2015 ihr Debütalbum "Present Simple" (beim französischen Label ArtBeat) vorlegte. Dann war es Zeit, weiterzuziehen. So landete sie am Jazz-Institut der Münchner Musikhochschule, wo sie von 2016 an bei Tizian Jost studierte. Auch hier dauerte es nicht lange, bis Marinchenko auffiel. Noch im selben Jahr gewann sie den Steinway Jazz-Förderpreis, 2019 dann den Kurt Maas Jazz Award.

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Aufsehen erregten auch ihr unter dem seitdem aktuellen Bandnamen SVM3 erschienenes Album "Letters To My Little Girl" und ihre Auftritte in der Unterfahrt oder im Studio 2 des BR, weil sie bereits einen unverwechselbaren eigenen Stil vorweisen konnte: Einen funkensprühenden, fein strukturierten Fusion-Jazz, der das Klavier vorsichtig elektronisch erweiterte, spannende Geschichten zu erzählen hatte und doch zugleich von einer melancholischen Seite ihrer "russischen Seele" grundiert war.

Stilistisch schließt Marinchenkos neues SVM3-Album "Between The Times" daran an. Man findet wieder Elemente der Esbjörn-Svensson-Schule, Motive der Neoromantik, Patterns des Postmodern Jazz. Doch ist alles noch komplexer, weltläufiger geworden, und auch ein bisschen wütender. Denn natürlich wirft der Ukraine-Krieg einen Schatten, im wild wogenden Titeltrack und der darauffolgenden Pathos-Hymne "Ne Vzdyhai", wo Marinchenko einen prophetischen Albtraum verarbeitet, ein Menetekel der "Zeitenwende".

Und eine Rolle spielt sicher auch, dass Marinchenko - ein echter Verlust, wie man aus hiesiger Sicht sagen muss - vor einiger Zeit von München nach Berlin weitergezogen ist. Nicht nur, weil das Album mit einem "Berlin Moment" startet, einer sehr großstädtischen, elektronisch umwirbelten Steigerungsnummer, sondern auch, weil ihre Begleiter nun eben hörbar Vertreter der wilden jungen Berliner Szene sind. Auf dem Album sind es Tobias Backhaus und Niklas Lukassen an Bass und Schlagzeug, bei der CD-Präsentation in der Unterfahrt werden es Tom Berkmann und Mathis Grossmann sein. In jedem Fall wird diese Heimkehr an die alte Wirkungsstätte eines der spannendsten Konzerte des jungen Jahres ergeben.

SVM3: "Between The Times" (Bauer Studios/Neuklang Records); live am Fr., 12. Jan., 20.30 Uhr, Unterfahrt, Einsteinstr. 42, www.unterfahrt.de

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