Wassersport:Der Herr der Winde

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Frank Spöttel erinnert sich gut daran, wie er das "Wunderkind" Robby Naish erstmals schlug. 1979 bei der WM in Griechenland war das. Mittlerweile fährt er in der Altersklasse 60plus - auch das sehr erfolgreich, wie der Titel dieses Jahr bei der WM am Steinhuder Meer belegt. (Foto: privat)

Seit Jahrzehnten steht Frank Spöttel bei Wind auf dem Surfbrett. Der Kraillinger gehört zu den Pionieren der Wassersportart. Inzwischen hat der 64-Jährige sechs Weltmeistertitel gewonnen - und denkt gar nicht ans Aufhören.

Von Carolin Fries, Krailling

Steht man bei Frank Spöttel in der Küche, dann erwartet man, dass gleich seine trainierten Söhne durch die Tür kommen, zum Proteinpulver greifen und sich einen Shake machen. Wer sonst sollte all die Pokale, Medaillen und Urkunden gewonnen haben, die sich rund um den Esstisch verteilen? Doch der 64-Jährige hat keine Kinder, er hat die Titel alle selbst gewonnen. Der Kraillinger ist mehrmaliger Weltmeister im Windsurfen. Und weil das möglichst noch lange so weitergehen soll, hat er verschiedene Nahrungsergänzungsmittel griffbereit in der Küche stehen. "In der Aufbauphase brauch ich das schon", erklärt er. Aktuell vor allem Collagen-Shakes, "für die Gelenke".

Mittwochvormittag, Spöttel hat sich einen Tee gemacht. Kaum, dass der schlanke Mann mit den angegrauten Haaren am Tisch sitzt, greift er sich ans rechte Knie. Vier Wochen erst ist die Operation her, einen "luxierten Korbhenkelriss am Innenmeniskus mit Knorpelschaden" hatten die Ärzte diagnostiziert. Bei der Weltmeisterschaft im Juni am Steinhuder Meer hatte er sich am vorletzten Wettkampftag verletzt, "ich hab' gleich gemerkt, dass was kaputt ist". Den Titel gewann er trotzdem - zu groß war sein Vorsprung.

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Seit Jahren dominiert Spöttel die Raceboard-Klasse in seiner Altersgruppe, ganz gleich, ob 40plus, 50plus oder 60plus. Und auch, wenn das Teilnehmerfeld nicht mehr ganz so breit aufgestellt ist wie zu seinen Anfangsjahren Ende der 1970er-Jahre, geschenkt bekomme er seine Erfolge nicht. "20 sind immer dabei - und das sind alles Leute, die das können."

Spöttel freilich kann es besonders gut, das Surfen. "Sport war immer schon mein Ding." Mit seinen Eltern und einem älteren Bruder wächst er in Planegg auf. Als die Familie 1965 ein Seegrundstück in Seeshaupt mieten kann, ist klar: Es muss ein Wassersport her. Die Buben lernen Segeln, das Windsurfen war schließlich noch gar nicht erfunden. Und dann lag eines Tages plötzlich so ein modernes Brett auf dem Grundstück, ein Bekannter hatte es dort gelagert. Die Brüder probierten es aus. "Ich fand das am Anfang dämlich", erinnert sich Spöttel. Er konnte sich nicht erklären, wie das funktionieren sollte. Doch er hatte schnell raus, wie er das Segel in den Wind halten musste, um auf dem Brett über den Starnberger See zu flitzen.

Bei der WM im Steinhuder Meer erarbeitete sich Frank Spöttel in den ersten Wettfahrten einen großen Vorsprung. So sicherte sich der Kraillinger in der Altersklasse 60plus den Titel. (Foto: privat)
Den letzten Wettkampftag musste er verletzungsbedingt ausfallen lassen. Die Knieverletzung wurde nach seiner Rückkehr in der Gräfelfinger Wolfart-Klinik operiert. (Foto: privat)

Bei seiner ersten Regatta am Pilsensee froren ihm an Ostern schließlich fast die Finger ab, bei der zweiten wurde er verblasen und musste von der Wasserwacht abgeholt werden. Die dritte aber machte ihm Mut auf mehr: Als Newcomer belegte er den achten Platz. Weil es in der Schule nicht lief, beschloss er 1977 zum Halbjahr, die zwölfte Klasse an der FOS zu wiederholen und verabschiedet sich an den Gardasee.

Jeden Tag war er dort auf dem Wasser und machte die Ausbildung zum Surflehrer. Anschließend war er bei sämtlichen nationalen und internationalen Meisterschaften am Start und gewann seine ersten Titel. Der größte Erfolg: der WM-Titel in der Mistral-Klasse 1980 in Sardinien. Er zeigt den kindsgroßen Pokal, der "schon leicht lädiert" ist und ziemlich instabil. Nun, sie hätten damals eben viel Sekt aus dem Kübel getrunken.

Frank Spöttel mit dem WM-Pokal von 1980. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Windsurfen wurde zum Trendsport. Spöttel genoss es, an die Hotspots zu reisen und Teil der Szene um Größen wie Robby Naish und Björn Dunkerbeck zu sein. Der Kraillinger erinnert sich noch gut daran, wie er das "Wunderkind" Naish erstmals schlug. 1979 bei der WM in Griechenland war das: Spöttel wurde Vierter, Naish landete auf Platz fünf. Ebenso gut sind ihm seine Niederlagen im Gedächtnis geblieben. Für die ersten Olympischen Spiele 1984 in der Windglider-Klasse scheiterte er mit Sehnenscheidenentzündung in den Unterarmen beim letzten Vorentscheid.

Den ganzen Winter hatte er sich auf den Wettkampf in Los Angeles vorbereitet. So gewann Stephan Van den Berg aus den Niederlanden vor dem Amerikaner Scott Steel. Bis heute verbinde ihn mit vielen Weggefährten eine Freundschaft, erzählt Spöttel. Die meisten aber hätten ihre aktiven Karrieren inzwischen beendet. Spöttel nicht. "Weil es mir noch Spaß macht", sagt er.

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Spöttel 1989 eine Zwangspause einlegen musste, weil sein Vater starb. Der Wirtschaftsingenieur, der nach seinem Studium einige Sonnenstudios rund um München betrieb, übernahm von heute auf morgen den väterlichen Fernseh- und Pressedienst. "Es war einfach gar keine Zeit", erzählt er. Anstatt selbst aufs Wasser zu gehen, verlagerte er sein Engagement schließlich zunächst in den Verband und betreute als Bundeshonorartrainer die deutsche Damen-Nationalmannschaft sowie einen Jugendkader. Er arbeitete unter anderem mit Amelie Lux, die 2000 bei den Olympischen Spielen in Sydney die Silbermedaille gewann. Erst 2007 legte Spöttel selbst wieder los - in der Raceboard-Klasse.

In Prien am Chiemsee gewann Spöttel im Mai die German Masters. (Foto: privat)
Überall im Haus verteilt finden sich Auszeichnungen. Diese Urkunde gewann Frank Spöttel im Jahr nach seinem Wiedereinstieg. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Mehr als zehn Bretter lagern daheim in der Garage - und noch mehr Segel. Er brauche nicht immer das neueste, sagt er. Der finanzielle Aufwand halte sich darum in Grenzen. Etwa zwei Monate ist er im Jahr unterwegs, immer wieder am Gardasee und auf Teneriffa, wo er eine Wohnung hat. Doch auch daheim an Walchensee und Ammersee trainiert der 64-Jährige regelmäßig. Meistens morgens, wenn der Wind gut bläst. Danach geht es dann ins Home-Office oder der Kraillinger fährt ins Büro. "Das passt ganz gut, weil ich abends gerne länger arbeite."

Neben dem Windsurfing-Club Starnberg ist er inzwischen auch Mitglied beim Regatta-Surfclub Chiemsee. Sieben Mal wurde er dort bereits mit der Mannschaft in der Bundesliga Deutscher Meister. Er würde es gerne noch einmal schaffen, "eine Art Revival". Und auch mit den Einzelwettkämpfen sei er noch nicht durch, obwohl er bereits mehrfach Deutscher Meister wurde und sechs WM-Titel gewonnen hat. Doch ob das Knie mitmacht? "Abwarten", sagt Spöttel. Er zieht sein Fitnessprogramm jedenfalls vorsorglich weiter durch: einmal wöchentlich Krafttraining mit EMS-Technik, regelmäßig Intervallfasten - und hoffentlich bald wieder raus aufs Wasser.

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