Starnberger See:Wer hat Schuld an Leos Tod?

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Seit dem Tod von Leo trägt Magda-Lia Bloos nur noch schwarz und immer ein Medaillon mit dem Foto ihres verstorbenen Sohnes um den Hals. (Foto: Georgine Treybal)

Eine Familie will aufklären, warum ihr 13 Jahre alter Sohn beim Rudertraining im Starnberger See ertrank. Doch ob es zum Prozess kommt, ist fraglich.

Von Christian Deussing, Starnberg/München

Magda-Lia Bloos sitzt auf einer Bank am Ufer neben dem Münchener Ruder-Club (MRC) und blickt auf das glitzernde Wasser des Starnberger Sees. Dort draußen ist ihr einziges Kind, der 13-jährige Leo, bei einem Rudertraining seines Münchner Wilhelmsgymnasiums beim MRC am 19. April 2015 im acht Grad kalten Wasser ertrunken. Seit dem Tod ihres Sohnes ist die Dolmetscherin immer schwarz gekleidet, trägt ein Medaillon mit dem Bild ihres Sohnes um den Hals und dessen Armbanduhr am Handgelenk.

Der Ruder-Anfänger saß damals als einziger der 20-köpfigen Schülergruppe in einem Einerboot und trieb bei starkem Nordostwind ohne Handy und Rettungsweste weit ab. "Die beiden angeklagten Übungsleiter haben ihre Aufsichtspflicht auf grobe Weise verletzt und eklatant gegen gültige Sicherheitsvorschriften verstoßen", sagt die 49-jährige Mutter, bei der sich Trauer und Wut vermischen. Sie ist in dem Verfahren um das Ruderunglück vor vier Jahren mit ihrem Mann Nebenklägerin. Das Unglück sei absolut vermeidbar gewesen, betonen die Eltern von Leo. Auch deswegen hatte die Staatsanwaltschaft München II bereits ein halbes Jahr nach dem Unglück die beiden Übungsleiter - einen heute 53-jährigen Medizin-Professor und einen 70 Jahre alten Privatdozenten - wegen "fahrlässiger Tötung durch Unterlassen" vor dem Landgericht München II angeklagt.

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Zudem belasten zwei Gutachten die beiden Betreuer der Schülertrainings-AG schwer. Denn auch das Boot sei für Leo absolut ungeeignet gewesen, der allein etwa hundert Meter vor dem Vereinsgelände ohne Gruppe und Sichtweite seine Kreise ziehen sollte - und damit "völlig überfordert gewesen" sei, wie Bernd Fleischmann erläutert, der für die Nebenkläger ein 116-seitiges Gutachten verfasst hat. Die Ausbilder hätten demnach "zahlreiche Sorgfaltspflichten und Vorschriften" wie etwa den ständigen Sichtkontakt missachtet. Auch sei wegen der Wellen und des böigen Windes das Training auf dem See nicht ratsam gewesen, betont Gutachter Fleischmann.

Doch ob es zu einem Prozess kommt, ist fraglich. Denn das Starnberger Amtsgericht, das sich inzwischen mit dem tödlichen Ruderunglück befassen muss, will das Verfahren womöglich gegen Geldauflagen von 50 000 Euro und 12 000 Euro einstellen. "Das wäre unfassbar und ein schwerer Schlag für uns", klagt die Mutter. Die wahren Schuldigen an der Tragödie müssten in öffentlicher Verhandlung klar benannt werden, weil der Tod von Leo weder Zufall, noch Schicksal oder eigenes Verschulden gewesen sei. Davon sind die Eltern überzeugt. Daher müsse der Fall juristisch konsequent aufgearbeitet werden, damit im Rudersport mit Schülern nie wieder so eine Tragödie passiere.

So sollten deren Eltern beispielsweise anhand von Faltblättern des Deutschen Ruderverbandes vor Anmeldungen zu Trainingseinheiten über die Gefahren und Sicherheitsregeln in diesem Sport künftig genau informiert werden, verlangt Bloos. Für deren Anwältin Annette von Stetten wäre die Einstellung des Verfahrens bei diesen schwerwiegenden Vorwürfen, eindeutigen Gutachten und angesichts der längst erhobenen Anklage der Staatsanwaltschaft ein "fatales Signal und ein Justizskandal".

Es gebe derzeit verschiedene Überlegungen, wie der Fall am besten gelöst werden könne, sagt Karin Jung, die zuständige Staatsanwältin. Dazu gehöre auch die Absicht, das Verfahren wegen der überlangen Dauer und nach Paragraf 153a einzustellen. Hierbei würden noch alle Aspekte geprüft, auch, ob die Rechtslage dafür angemessen sei, erklärt die Staatsanwältin auf Anfrage. Es gebe jedenfalls Gespräche über das weitere Verfahren, bestätigt Franz von Hunoltstein, Sprecher des Starnberger Amtsgerichts. Allerdings verweist er darauf, dass die zuständige Richterin in ihrer Entscheidung, die vielleicht in einigen Wochen getroffen wird, unabhängig sei.

Eben diese Entscheidung müsse erst abgewartet werden, sagt Thilo Pfordte, der den Privatdozenten als einen der angeklagten Übungsleiter verteidigt. Der Anwalt betont, dass in den Gutachten "nicht alles so richtig zutreffend" sei. Zum Beispiel wisse man nur, dass der Ruderer ertrunken ist - aber nicht, warum und auf welche Weise das wirklich geschehen sei. "Diese Sachlage ist unklar", so Pfordte. Der Verteidiger des zweiten Übungsleiters war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Das Unglück vom April 2015 ist auch im traditionsreichen Münchener Ruder-Club in Starnberg unvergessen. "Es ist schrecklich, was passiert ist, vor allem für die Eltern", sagt der MRC-Vorsitzende Eler von Bockelmann. Auch das lange juristische Verfahren ohne Abschluss sei belastend und sehr befremdlich, bedauert der Präsident, der selbst Jurist ist. Aber auch die beschuldigten Betreuer würden darunter leiden. Dass nun das Verfahren eventuell eingestellt werden könnte, sei für die betroffene Familie sicher "absolut unbefriedigend", erklärt von Bockelmann. Aber auch eine Geldauflage sei in gewisser Weise eine Strafe und "kein Freispruch zweiter Klasse".

Am 19. April 2015 ertrank Leo im Starnberger See. Die Wasserschutzpolizei suchte tagelang nach ihm, bis man seine Leiche 1350 Meter vom Ruderclub entfernt entdeckte. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Doch dieses juristische Ende würde die Eltern von Leo erzürnen. Denn aus ihrer Sicht sei eine öffentliche Aufarbeitung und die Wahrheitsfindung vor Gericht nach mehr als vier Jahren überfällig. Und dies nicht nur wegen Leo, dem als kindliches Opfer sein künftiges Leben und Wirken entrissen worden sei, sagt die Münchnerin. Ihr Sohn sei ein beliebter, aufgeweckter und fröhlicher Junge gewesen und habe viele Zukunftspläne gehabt. So wollte der 13-jährige Gymnasiast US-Comics übersetzen und später "etwas mit Regie und Spezialeffekten" studieren. Seine ehemaligen Klassenkameraden halten Leo in der Erinnerung lebendig. Bei jedem Jahresfoto halten sie ein Foto von ihrem verstorbenen Mitschüler in die Kamera.

Die Mutter schaut wieder auf den See, wo ihr Leo nach sechs Tagen etwa 1350 Meter vom Ruderclub-Ufer entfernt entdeckt und aus 35 Metern Tiefe geborgen wurde. Ein Ruderer legt mit seinem Boot am Steg des MRC an - dort, wo Leos Vater nach dem Training vergebens auf ihn gewartet hatte.

© SZ vom 17.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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