Klinikreform und medizinische Versorgung:"Im Detail könnte das durchdachter sein"

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Was ändert sich in den Kliniken mit der Krankenhausreform - und ist das gut? (Foto: Britta Pedersen/dpa)

Weniger Krankenhäuser, mehr Spezialisierung, bessere Finanzierung: Bund und Länder verhandeln derzeit über eine Reform, wie Kliniken künftig arbeiten sollen. Was die Betroffenen davon halten? Eine Umfrage beim Personal im Starnberger Kliniken-Verbund - von der Pflegekraft bis zur Chefärztin.

Protokolle von Carolin Fries und Viktoria Spinrad, Starnberg

Mehr Qualität statt Quantität - unter diesem Motto plant Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine Reform der Krankenhäuser. Zu Beginn vergangener Woche haben sich Bund und Länder auf Eckpunkte zur Finanzierung und Neustrukturierung geeinigt, im Herbst soll ein Gesetzesentwurf vorliegen und im Januar 2024 in Kraft treten. Aber was wird sich dann ändern? Die SZ hat Mitarbeiter aus verschiedenen Bereichen der Starnberger Klinik nach ihrer Einschätzung gefragt.

Norman Micka, 43, pflegerischer Leiter der Starnberger Intensivstation

Norman Micka begann seine Pflegeausbildung als 18-Jähriger. Seit eineinhalb Jahren arbeitet er nun im Starnberger Klinikum. (Foto: Sabine Jakobs /Starnberger Kliniken)

"Wir sind die größte Gruppe im Gesundheitswesen, haben die Hauptlast in der Coronazeit getragen. In der Krankenhausreform aber kommen wir überhaupt nicht vor. Das ist wirklich enttäuschend. Immerhin: Wenn kleine Krankenhäuser auf dem Land schließen, müssen solche wie unseres möglicherweise weniger um Mitarbeiter ringen. Und mit den geplanten Vorhaltepauschalten müssten unsere Betten nicht immer um jeden Preis ausgelastet werden. Dann hätten die Pfleger auch einmal Gelegenheit zum Durchschnaufen. Vielleicht verändert sich ja auch das Image der Intensivstation als riesiger Kostenblock.

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In jedem Fall muss die Gesellschaft ihren Blick auf die Pflege ändern. Das Bild der fürsorglichen, selbstlosen Pflegekraft geht an der Realität vorbei. Wir sind keine Heiligen, sondern hochqualifizierte professionelle Menschen mit jahrelanger Ausbildung. Solange geklatscht wird, statt unseren Beruf konkret aufzuwerten, werden sich die Fachkräfte weiter abwenden.

"Wir sollen Menschen schützen, aber wer schützt uns?"

Von den 30 Planstellen auf der Intensivstation derzeit sechs nicht besetzt. Im Schnitt müssen wir also drei unserer zwölf Betten sperren und weniger dringliche Operationen wie eine neue Hüfte oder eine große Bauch-OP verschieben. Durch die Pflegepersonaluntergrenze darf eine Pflegekraft in der Tagschicht höchstens zwei Patienten betreuen. Fällt eine Kraft weg, muss ich telefonisch jemanden ausfindig machen, der einspringen kann. Kannst du morgen kommen? Könntest du an deinen Nachtdienst noch einen weiteren dranhängen? Wenn es gar nicht anders geht, müssen wir teure Zeitarbeitskräfte engagieren. Das löst zwar das Problem, bringt aber auch Unruhe mit sich.

Seit mehr als 20 Jahren arbeite ich in verschiedenen Krankenhäusern. Bereits in meiner Ausbildung wurde immer vom Pflegenotstand gesprochen. Seit der Corona-Zeit aber ist es so schwierig wie nie. Um ihrer Verantwortung gerecht zu werden, haben viele Pflegekräfte fast ohne Pause durchgearbeitet. Als die Pandemie für beendet erklärt wurde, waren viele am Ende ihrer Kräfte - und haben als Konsequenz gekündigt. Das ist nur verständlich, schließlich hatte die Politik in dieser Zeit den Personalschlüssel aufgeweicht. Diese Kräfte fehlen uns aber jetzt. Wir sollen Menschen schützen, aber wer schützt uns?"

Susanne Rogers, 55, Chefärztin der Allgemein- und Viszeralchirurgie an den Kliniken in Starnberg und Penzberg

Susanne Rogers bleibt zugleich Ärztliche Direktorin am Penzberger Klinikum. (Foto: privat)

"Die Krankenhausreform hat bei mir persönlich bereits für Veränderung gesorgt. Seit 1. Juli bin ich auch Chefärztin in Starnberg, weil klar ist, dass ein kleineres Krankenhaus wie Penzberg die onkologische Chirurgie, die mir sehr am Herzen liegt, nicht mehr weiterverfolgen können wird. Die Neuerungen sehen vor, dass spezielle Eingriffe wie zum Beispiel Tumor-Operationen nur noch in spezialisierten Häusern möglich sein sollen. Wir müssen darum konzernweit unsere Kompetenzen bündeln, und so ist es an den Starnberger Kliniken neu, dass es für verschiedene Fachbereiche, beispielsweise die Viszeralchirurgie, eine Gesamtleitung gibt, die verantwortlich für die inhaltliche Ausrichtung aller Häuser ist.

"Die Leute müssen auch regional versorgt werden."

Ich befürworte die Zertifizierung von Zentren, weil die Krankenhäuser dadurch gezwungen werden, strukturelle und personelle Voraussetzungen zu schaffen, um bestimmte Leistungen überhaupt anbieten zu dürfen. Ich finde es auch gut, dass es eine Abkehr von den Fallpauschalen gibt, weil sie zu einer Ökonomisierung der Medizin geführt haben. Was mir Sorgen bereitet, sind die kleineren Krankenhäuser, die ja essentiell sind für die Grund- und Regelversorgung und zudem nicht pauschal schlechtere Medizin anbieten als die großen Kliniken. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jeder Patient bereit ist, eine Stunde zu fahren, um die beste Versorgung zu bekommen. Die Leute müssen auch regional versorgt werden, das darf man nicht vergessen.

Wir sollten aber auch hier offenlegen, welche Qualität die Behandlung hat. Wenn diese kleinen Krankenhäuser verloren gehen, ist die Reform für mich gescheitert. Was ich mir noch wünschen würde? Dass die Reform die Aus-und Weiterbildung der Fachärzte regelt. Da ist bislang leider nichts vorgeschrieben."

Martin Endres, 38, Pflegedirektor an der Klinik in Starnberg

Pflegedirektor Martin Endres sagt, er betrachte "solche Dinge möglichst sachlich". (Foto: Sabine Jakobs/Starnberger Kliniken)

"Wenn es weniger Kliniken gibt, dann bedeutet das, dass personelle Ressourcen gegebenenfalls gebündelt werden können. Wenn wir es im Konzern schaffen, uns gut aufzustellen, können wir eine tragende Rolle in der Region spielen. Das neue Vergütungssystem wird etwas Druck rausnehmen, die Anforderungen an die Kliniken sind hoch. Etablierte Versorgungsstrukturen, aber auch Kooperationen zum Beispiel im Bereich der Ausbildung, sind gefährdet.

"Negativfolgen der Reform müssten im Vorfeld konkreter bewertet werden."

Überhaupt müssten mögliche Negativfolgen der Reform meiner Meinung nach im Vorfeld konkreter bewertet werden. Und mir fehlt eine kurzfristige finanzielle Unterstützung und Reglementierung beim Thema Zeitarbeit: Das wäre wirklich hilfreich. Die lokalen Besonderheiten dürfen bei der durchaus sinnvollen Bündelung und Spezialisierung nicht verloren gehen. Im Detail könnte das durchdachter sein."

Kathrin Streimer, 30, Praxisanleiterin und Pflegerin auf der Palliativstation des Starnberger Klinikums

Kathrin Streimer ist es wichtig, nahe bei den Patienten zu sein - ein Anliegen, das im vollgepackten Krankenhausalltag zeitweise schnell zum Luxus wird. (Foto: Sabine Jakobs/Starnberger Kliniken)

"Die Krankenhausreform könnte dazu führen, dass kleinere Häuser wahrscheinlich schließen müssen. Das bedeutet, dass in Notfällen großräumig Betten gesucht werden müssten, die jetzt ohnehin schon knapp sind. Patienten werden dann weiter vom Wohnort entfernt behandelt, die meist berufstätigen Angehörigen können nicht so häufig zu Besuch kommen.

Dies wiederum würde bedeuten, dass für uns als Pflegekräfte mit aktuell schon bestehendem Pflegenotstand noch mehr Arbeit anfällt. Besonders für sehr pflegeaufwendige Patienten und solche mit Demenz sind vertraute Personen eine unerlässliche Stütze. Dadurch denke ich, dass noch mehr Pflegekräfte den Dienst am Bett quittieren. Das würde die aktuelle Situation noch verschlimmern.

Diese Entwicklung bereitet mir vor allem mit Blick auf den demografischen Wandel sehr große Sorge. Ich möchte meine Angehörigen, vor allem auch meine Eltern, auch in 30 Jahren in einer wohnortnahen guten pflegerischen und medizinischen Betreuung wissen. Auch ist es mir persönlich als Mutter von zwei Kindern sehr wichtig, dass mein Arbeitsplatz wohnortnah liegt.

"Pflegepersonal darf nicht als Kostenfaktor gesehen werden."

Es ist entsprechend schade, dass die Profession der Pflege in dem Eckpunktepapier kaum eine Rolle spielt. Dabei ist sie im Gesundheitswesen die größte Berufsgruppe. Das Pflegebudget soll mit den Vorhaltekosten verrechnet werden. Dies sehe ich als sehr kritisch. Meiner Meinung nach darf der Grundstein, nämlich das Pflegepersonal, nicht als "Kostenfaktor" gesehen werden. Gute Pflege ist ja auch essentiell für eine gute Medizin. Gute Pflege kann aber nur mit ausreichend Pflegepersonal gewährleistet werden.

Ich finde schon, dass eine Krankenhausreform notwendig ist. Dabei sollte der Fokus aber klar auf das Wohl des Patienten gerichtet sein. Ich würde mir wünschen, dass sich die Pflegerinnen und Pfleger zusammenschließen, um endlich eine Lobby zu bekommen. Sie sollten bei wichtigen Entscheidungen wie der Krankenhausreform mit einbezogen werden. Und die Zwei-Klassen-Medizin sollte abgeschafft werden: Jeder ist wertvoll, egal ob privat oder gesetzlich versichert. Dazu bräuchte es natürlich bessere Arbeitsbedingungen - also einen angemessenen Personalschlüssel."

Thomas Weiler, 60, Geschäftsführer der Starnberger Kliniken mit Krankenhäusern in Starnberg, Penzberg, Seefeld und Herrsching mit insgesamt etwa 640 Betten:

Thomas Weiler leitet die Geschäfte der Starnberger Kliniken GmbH. (Foto: privat)

"Die Notwendigkeit einer Reform ist unbestritten und beim Thema Finanzierung sind wir auch auf dem richtigen Weg. Dass Karl Lauterbach, der die Fallpauschalen als alleiniges Finanzierungsmodul zu 100 Prozent einst entgegen jeglichen Rates durchgedrückt hat, sich nun für die Abschaffung als Segensbringer feiern lässt, steht auf einem anderen Papier.

"Ein bewährtes System sollten wir nicht einfach so über den Haufen schmeißen."

Er macht aber einen neuen Fehler, weil er davon ausgeht, dass in großen Kliniken bessere Medizin stattfindet als in kleineren. Ja, es gibt Erkrankungen, dafür braucht es große Häuser, aber 80 Prozent der Erkrankungen müssen auch in kleineren Krankenhäusern behandelt werden können. Brustkrebs-Patientinnen zum Beispiel stehen aktuell im südlichen Oberbayern 13 Krankenhäuser für eine Behandlung zur Verfügung. Mit der Reform wären es künftig nur noch zwei zertifizierte Zentren, in Starnberg und Rosenheim. Wie sollen wir das denn personell schaffen? Und woher die Betten nehmen?

Die Idee, mehr zu sortieren und zu spezialisieren, ist gut, aber so im Flächenstaat Bayern nicht praktikabel. Und wenn der Minister meint, das Personal kann von den Kliniken, die die Reform nicht überleben werden, übernommen werden, dann täuscht er sich. Die Leute wollen nicht länger als 15 Kilometer zum Arbeitsplatz pendeln, erst recht nicht im Schichtdienst. Die Krankenhausplanung in Bayern ist ein durchaus bewährtes System. Das sollten wir nicht einfach so über den Haufen schmeißen."

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