Sechs Monate Corona-Krise:"Wir wissen heute nicht, was uns morgen erwartet"

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Die Krankenhäuser im Landkreis - wie hier das Klinikum in Starnberg - haben die Beatmungsplätze aufgestockt - wenn nicht, wären sie Anfang April wohl überlastet gewesen. (Foto: Nila Thiel)

Das Starnberger Gesundheitsamt konnte Ausbrüche wie bei Webasto und Apetito bislang früh eindämmen. Nun hat der Leiter Lorenz Schröfl bei Rückkehrern aus dem Urlaub die ersten Infektionen festgestellt.

Von David Costanzo, Starnberg

Auf einmal war sie wieder da, die Sorge. Flammt das Coronavirus noch einmal im Fünfseenland auf? Wie schon vor einem halben Jahr mit den bundesweit ersten Ansteckungen bei Mitarbeitern des Autozulieferers Webasto in Stockdorf? Wie Anfang März, als Starnberg zu Beginn der Pandemie wochenlang zu den am stärksten betroffenen Landkreisen zählt?

Diese Sorgen kehren zurück, als sich bis Anfang Juli beim Caterer Apetito in Gilching fast die Hälfte der etwa 100 Mitarbeiter infiziert, die das Virus in Starnberg und in ihren Wohnorten in sechs Nachbarlandkreisen hätten verbreiten können. Fünf Flüchtlingsunterkünfte und zwei Schulklassen müssen unter Quarantäne gestellt werden. "Das hätte der Auslöser für eine zweite Welle sein können", sagt der Mediziner und Leiter des Starnberger Gesundheitsamts, Lorenz Schröfl, "doch wir konnten sie mit großem Einsatz bremsen."

Dreimal ist das Virus im Fünfseenland bislang aufgeflammt, dreimal konnte der Infektionsherd gelöscht werden. Nach sechs Monaten Corona-Krise muss der Landkreis Starnberg nicht beatmet werden, er liegt nicht einmal auf der Intensivstation. "Wenngleich jeder Todesfall für die Betroffenen schrecklich ist: Der Landkreis ist bisher mit einem blauen Auge davongekommen", sagt der Kardiologe Florian Krötz vom Klinikum Starnberg als Sprecher der Pandemiebeauftragten der sieben Krankenhäuser im Landkreis - und er betont das "bisher" ganz besonders.

624 Menschen im Landkreis haben sich angesteckt, seitdem am 27. Januar ein Webasto-Mitarbeiter aus dem Landkreis Landsberg und am Tag danach ein Kollege aus dem Landkreis Starnberg positiv getestet wurden. Das entspricht laut Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit 442 Infektionen pro 100 000 Einwohnern. Damit gehört der Landkreis nicht mehr zu den am schlimmsten betroffenen Regionen, von seiner frühen Spitzenposition sank er auf Rang 25 der 96 Städte und Landkreise in Bayern.

Der Pandemiebeauftragte Krötz sagt, das sei besonders dem Gesundheitsamt zu verdanken. Behörden in ganz Deutschland hätten auf die Arbeit von Schröfls Team zur Eindämmung des Ausbruchs bei Webasto geschaut und das Fazit gezogen: "So wie das in Starnberg gemacht wurde, so muss es gemacht werden." Schnelle Reihentests, akribische Ermittlung der Kontaktpersonen, strenge Quarantäne: Das hat bislang auch in Gilching gewirkt. Die Zusammenarbeit von Behörden und Gesundheitswesen in den Krisenstäben hat sich nach Ansicht des Starnberger Klinikarztes ebenfalls bewährt.

Die meisten der Patienten sind längst wieder genesen, zuletzt lag deren Zahl bei 580. Dutzende von ihnen mussten in den Kliniken behandelt, manche sogar auf den Intensivstationen beatmet werden. Hätten die Krisenstäbe nicht vorgesorgt, wäre das Gesundheitssystem wohl zeitweise überlastet worden. Normalerweise können in den Kliniken im Landkreis 37 Patienten beatmet werden. Laut Krötz wurde die Kapazität auf zunächst etwa 50 Intensivbetten erweitert. Während der Hochphase der Pandemie seien diese bis zu 80 Prozent ausgelastet gewesen, also mit etwa 40 Patienten - darunter nicht nur Covid-19-Patienten, andere Erkrankungen verschwinden während einer Pandemie nicht. Im Notfall könnten jedoch weitere Beatmungsgeräte aktiviert werden.

14 Menschen im Alter zwischen 72 und 97 Jahren starben im Landkreis, wovon bei zweien das Landratsamt eine andere Erkrankung als Todesursache führt. Die Ärzte haben ihre Erfahrungen mit der Krankheit gemacht, auch wenn noch kein Wirkstoff dagegen vorliegt, könnten sie vor allem Schwerkranke besser behandeln, sagt der Pandemiebeauftragte: "Man kriegt mehr Leute durch."

Doch das Virus zirkuliert weiter. "Wir wissen heute nicht, was uns morgen erwartet", sagt Gesundheitsamtsleiter Schröfl. Ob es zu einer zweiten Welle komme, lasse sich nicht vorhersagen. Doch mit der Urlaubszeit wachse die Gefahr, schon jetzt habe man zwei bis drei Fälle von infizierten Rückkehrern vom Balkan festgestellt. "Spannend" werde es, wenn die Schule wieder beginnt, sagt der Amtsarzt. Darum appelliert Schröfl, die drei wichtigsten Regeln strikt zu beachten: Abstand halten, Maske tragen, Räume lüften.

© SZ vom 25.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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