Pöcking:Wie eine offene Wunde im Gedächtnis

Pöcking: Enthüllung der Erinnerungstafel und des neuen Straßenschildes in Pöcking mit (v.li. vorne) Professorin Marita Krauss, Kulturreferent Albert Luppart, Bürgermeister Rainer Schnitzler und Mitgliedern des Gemeinderates.

Enthüllung der Erinnerungstafel und des neuen Straßenschildes in Pöcking mit (v.li. vorne) Professorin Marita Krauss, Kulturreferent Albert Luppart, Bürgermeister Rainer Schnitzler und Mitgliedern des Gemeinderates.

(Foto: Arlet Ulfers)

Der "Weihbischof-Defregger-Weg" ist nach langer Debatte und wissenschaftlicher Aufarbeitung unbenannt: Der "Filetto-Weg" erinnert an das Kriegsverbrechen eines Mannes, der später im Erzbistum München-Freising eine fromme Karriere machte.

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Pöcking

Der ehemalige Weihbischof Matthias Defregger, der von 1969 bis 1995 in Pöcking lebte, war beliebt und hochgeachtet im Dorf. Nur ein Jahr nach seinem Tod wurde ihm daher ein Weg gewidmet. Doch es gab noch eine zweite dunkle Seite an diesem frommen Mann: Als Berufsoffizier und Wehrmachtshauptmann im Zweiten Weltkrieg hatte Defregger am 7. Juni 1944 den Befehl seines Divisionskommandeurs General Boelsen weitergegeben, wonach 17 männliche Geiseln des italienischen Abruzzen-Dorfes Filetto di Camarda als Vergeltungsmaßnahme nach einem Partisanenüberfall erschossen wurden.

Der Bürgermeister war Ministrant bei dem Weihbischof

Nach einer Recherche, mit der die Gemeinde die Historikerin Professor Maritta Krauss beauftragt hatte, ist das Andenken an den Weihbischof nun schwer beschädigt. Als Konsequenz hat die Gemeinde den Weihbischof-Defregger-Weg umbenannt in Filetto-Weg. Am Donnerstag enthüllten Bürgermeister Rainer Schnitzler und Maritta Krauss im Beisein zahlreicher Gemeinderäte eine Erinnerungstafel mit ausführlicher Erklärung, die anstelle des früheren Straßenschildes angebracht wurde.

"Zur Erinnerung an den Schrecken des Krieges, die Verantwortung des Einzelnen und das Leid der Opfer wurde der Weg 2023 von Weihbischof-Defregger-Weg in Filetto-Weg umbenannt", heißt es auf der Gedenktafel. Wie der Rathauschef in seiner Ansprache erklärte, hatten die Pöckinger zwar gewusst, dass Defregger an der Erschießung beteiligt gewesen sei. "Aber es wurde so erzählt: Hätte er es nicht gemacht, dann wäre er selbst erschossen worden und ein anderer hätte den Befehl ausgeführt." Zudem sei er juristisch freigesprochen worden. Schnitzler selbst, der als Bub Ministrant bei dem Weihbischof war, wenn dieser im Wohnort Messen zelebrierte, hatte Defregger als christlichen Menschen, charismatischen Prediger und zugewandten Gesprächspartner kennengelernt.

Der Generalvikar der Erzdiözese könnte auch in Missbrauchsfälle verwickelt gewesen sein.

Doch es sei unverständlich, warum Defregger als katholischer Priester und Bischof das Dorf Filetto spätestens nach der Einstellung des italienischen Verfahrens gegen ihn nie besucht habe. Er hätte mit den Bewohnern beispielsweise im Rahmen einer Messe der Opfer gedenken können, erklärte Schnitzler. Was Defregger unterlassen hatte, hat eine Gemeinderatsdelegation im vergangenen Jahr nachgeholt und in Filetto einen Kranz zum Gedenken an die damaligen Opfer niedergelegt. Dabei habe er gespürt, dass dieses Ereignis "wie eine offene Wunde im Gedächtnis der Menschen weiterbesteht", sagte der Rathauschef. Die Geste der Pöckinger sei aber von den Nachfahren der Opfer mit großer Dankbarkeit aufgenommen und die Predigt des dortigen Pfarrers Don Domenico von Versöhnung geprägt gewesen. "So eine Predigt hätte ich Matthias Defregger ebenfalls zugetraut", betonte Schnitzler.

Pöcking: Generalvikar Matthias Defregger (1915 - 1995) wurde 1968 zum Weihbischof im Erzbistum München und Freising ernannt.

Generalvikar Matthias Defregger (1915 - 1995) wurde 1968 zum Weihbischof im Erzbistum München und Freising ernannt.

(Foto: Neuwirth, Fritz)

Nach den Recherchen der Historikerin zeigten die damaligen Verfahren zu den Kriegsverbrechen "eine erschütternde Blutspur der Deutschen in Italien sowie die Schwierigkeiten und den Unwillen der Nachkriegsjustiz, persönliche Verantwortungen der beteiligten deutschen Täter zu formulieren." Krauss kritisierte auch mit deutlichen Worten die Strategie der katholischen Kirche, die damals und noch heute bei den Missbrauchsvorwürfen die Täter schütze. Krauss brachte in diesem Zusammenhang ein öffentliches Gutachten ins Spiel, wonach Defregger als Generalvikar der Erzdiözese München-Freising auch in Missbrauchsfälle verwickelt gewesen sei. Zwar habe Defregger auch nicht mehr Schuld auf sich geladen als die meisten anderen katholischen Würdenträger, betonte sie. Aber auch hier habe Defregger sich schützend und empathisch vor seine Leute gestellt - "hier nicht seine Soldaten, sondern Priester", sagte Krauss, "und er hatte keinen Blick und keine Worte für die Opfer". Daher freue sie sich, dass die Besucher aus Filetto, die im Juli erwartetet werden, nicht mehr durch einen "Weihbischof-Defregger-Weg" gehen müssten.

Ein Einwurf des Pöckingers Alfred Huber sorgte während der Veranstaltung jedoch für Unruhe: Es sei in jedem Krieg bis heute "leider, leider" generell gängige Praxis von Armeen, nach einem Partisanenüberfall Zivilisten zu erschießen. "Im Nachhinein kann man alles hinbiegen", sagte er, "ich glaube, da sind wir auf einem ganz schmalen Weg". Er kritisierte die Beurteilung des 1995 verstorbenen Weihbischofs nach heutigen Maßstäben und verließ die Veranstaltung.

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