Das war 2020 im Landkreis Starnberg:Bilanz einer Krankenpflegerin

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Seit Samstag darf Selma Bikić wieder arbeiten. "Nach 30 Minuten in diesem Schutzkittel ist man durchnässt", sagt die Pflegerin. (Foto: privat)

Im Frühjahr versorgt die Pflegefachkraft Selma Bikić ihre ersten Corona-Patienten, zum Jahresende steckt sich die 24-Jährige selbst mit dem Erreger an.

Von Carolin Fries, Gauting

Die Frau war ungefähr 60 Jahre alt und wurde im Frühjahr in die Gautinger Asklepios-Klinik gebracht, Corona-positiv. Für Selma Bikićs ist diese Patientin der erster Kontakt mit einem zu dieser Zeit noch kaum bekannten Virus und einer Krankheit, die erst später den Namen Covid-19 bekommen sollte. Die 24 Jahre alte Pflegefachfrau leitet die Station B2 in der Lungenfachklinik.

"Ich werde sie ewig nicht vergessen", sagt Bikić über diese Patientin. Sie hätten so lange miteinander geredet damals, erinnert sie sich. Es war auch viel Zeit: Die Frau musste auf die Intensivstation verlegt werden, danach war sie wieder bei Bikić auf B2. Entlassen wurde sie mit einem Atemgerät, das ihre Lunge nachts mit Sauerstoff versorgt.

Etwa zehn Monate sind seither vergangen, und jetzt hat es Bikić erwischt: Ein Schnelltest, den sie auf Station zwei- bis dreimal pro Woche machen, war positiv. Die junge Frau musste bis 25. Dezember in Quarantäne. "Es geht mir ganz, ganz, ganz gut", sagt sie und raschelt im Hintergrund mit den Dienstplänen. Sie habe keinerlei Symptome und vermisse ihre Arbeit, erzählt sie. Und ihre Patienten. Alles Covid-Patienten, ihre Station wurde damals in kürzester Zeit umgerüstet.

Anstatt wie üblich auf 17 Pflegefachkräfte kann sie nun für die täglich drei Schichten auf 40 Mitarbeiter in Voll- und Teilzeit zurückgreifen. "Wir sind ein junges Team", sagt sie. Pflegekräfte über 60 oder Mitarbeiter mit Vorerkrankungen arbeiteten auf anderen Stationen.

Wenn Selma Bikić das Jahr 2020 in drei Worte fassen müsste, dann wären das: turbulent, stressig, flexibel."Anstrengend eigentlich nicht", sagt sie. Sie hätten sich alle so schnell daran gewöhnt: an Kittel, Handschuhe, FFP2- oder FFP3-Maske, Visier oder Schutzbrille und Haube. Auch an die roten Abdrücke hinter den Ohren und auf der Nase. "Heute kann ich mir nicht mehr vorstellen, ohne Maske zu arbeiten". Angst sei kein Thema. "Klar macht sich jeder seine Gedanken, alle haben Angehörige zuhause oder Kinder. Aber das habe ich nie gehört, dass jemand Angst hat."

Wenn jemand ängstlich sei, dann die Erkrankten, erzählt die Krankenpflegerin. Mitunter wurden in einer Schicht fünf oder sechs Patienten aufgenommen, viele seien beunruhigt. Das Pflegepersonal führe dann viele Gespräche, müsse "irgendwie trösten" und beiseite stehen. Im Juni, sagt die Stationsleiterin, als alle wieder weg waren, habe sich gedacht, es sei vorbei. Doch als sich die Station im Oktober wieder füllte, wurde ihr klar, dass "uns das Virus noch eine Zeit begleiten wird". Sie selbst hat es inzwischen überstanden haben - für den 26. Dezember hatte sie sich bereits wieder im Dienstplan eingeschrieben. "Quarantäne ist echt anstrengend."

Natürlich, sagt Bikić, seien auch Patienten gestorben. Aber vielen könne man sehr gut helfen. Die 24-Jährige wünscht sich einen größeren Zusammenhat in der Gesellschaft, um die Pandemie gut zu überstehen, "wir schaffen das nur zusammen", sagt sie.

Corona-Leugnern wünscht sie, einen Tag mit ihr auf ihrer Station zu verbringen. Wo sie die Sauerstoffsättigung überwachen, Heißlufttherapie machen oder die acht verfügbaren Monitore verteilen, um die Intensivstation zu entlasten.

© SZ vom 29.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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