Gauting:Bahn übertüncht Landschaftsbilder des Bahnhofsmalers Schiller

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Frisch geweißelt sind die Aufgänge zum Bahnsteig in Gauting. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Alle Motive an den Aufgängen zum Bahnsteig sind bei der Renovierung verschwunden. Der Konzern hat weder den Maler noch die Gemeinde davor gefragt.

Von Michael Berzl, Gauting

Neuschwanstein, Impressionen aus bayerischen Städten wie Würzburg, Augsburg und Nürnberg: überdeckt von weißer Farbe. Ein Bergidyll mit Kirchturm, See und Herbstwald: übertüncht. Einige der bunten Bilder, die der Hobbymaler Johannes Schiller aus Stockdorf in der Bahnhofsunterführung in Gauting hinterlassen hat, sind verschwunden. Seine Motive auf den Seitenwänden an allen Aufgängen zum Bahnsteig sind Sanierungsarbeiten der Bahn zum Opfer gefallen. "Alles hat ein Ende", sagt der 81-Jährige dazu am Sonntag und klingt traurig dabei. Mit ihm habe davor niemand gesprochen. So ging es auch der Gemeinde. "Wir wurden gar nicht gefragt", sagte Bürgermeisterin Brigitte Kössinger (CSU).

Im Rathaus sei vor etwa drei Wochen lediglich ein Schreiben eingegangen, in dem umfangreiche Sanierungsarbeiten angekündigt wurden. Die Gemeinde hat schon lange darauf gedrängt, dass diverse Reparaturen erledigt werden, dank des Coronavirus passiere nun tatsächlich etwas, berichtete Kössinger in der vergangenen Woche im Gemeinderat. Die Gemeinde profitiere von einem Handwerkerprogramm des Bundes zur Sicherung von Arbeitsplätzen. Zu den angekündigten Arbeiten zählen nach ihren Worten die Instandsetzung des Dachs, von dem bei starkem Regen immer wieder Wasser herabgetropft war, die Sanierung der Treppen, die Erneuerung des Bodenbelags und Malerarbeiten in der Unterführung.

Nun sind diese Arbeiten in vollem Gange. Die Decke in der Unterführung ist bereits komplett neu gestrichen, am Boden sind zum Teil neue Platten verlegt; stellenweise liegt dort noch Malervlies. Mit einem provisorischen Bauzaun sind eine Hälfte des Durchgangs und ein Aufgang zum Bahnsteig abgesperrt. Diese Aufgänge, die bisher bunt gestaltet waren, sind nun weiß. Dreieinhalb Jahre ist es her, dass der Bahnhofsmaler Schiller genau hier von Bürgermeisterin Kössinger einen Krug in Empfang genommen hat, als er sich quasi selbst in den Ruhestand verabschiedet hat. Und nun muss er zusehen, wie ein Teil seiner Arbeit, in die er viel Mühe und Zeit investiert hat, wieder verschwindet.

Stunden, halbe Tage hatte der pensionierte Bankdirektor in zugigen Unterführungen im ganzen Würmtal zugebracht, um seine Landschaften in meist naiver bis kindlicher Anmutung zu gestalten, wo zuvor grauer Beton war. Der Gautinger Bahnhof sei für ihn wie zu einem zweiten Wohnzimmer geworden, so oft war er dort. "Ich habe heile Welt hingemalt", sagt er rückblickend. Nicht nur in Gauting, sondern auch in Lochham, Planegg, Krailling und Stockdorf. Seen, Dörfer, Gebirge hat er so in mühevoller Kleinarbeit entstehen lassen, Blumen Blüte für Blüte, Blatt für Blatt hingetüpfelt. In der Unterführung selbst sind die Malereien noch erhalten. Da finden sich an einem Ende die Kirchen in der Gemeinde, am anderen Eiffelturm, Hagia Sophia und andere berühmte Bauwerke aus europäischen Städten. Diese Bilder sind noch da. Ebenso wie eine Stahltüre, der er eine Holzoptik verpasst hat.

Das Überstreichen anderer Motive nimmt Bahnhofsmaler Schiller hin wie eine Entwicklung, die eben nicht aufzuhalten ist: "Dass es die Bahn einfach weißelt, ist ihr gutes Recht." Doch eines ärgert ihn dann doch: Wo seine Bilder sind, habe es kaum Schmierereien gegeben. Die weißen Flächen, die es jetzt wieder gibt, würden Schmierer geradezu anlocken.

© SZ vom 30.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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