Alkoholsucht:Zurück ins Leben

Lesezeit: 4 min

Torsten und Jürgen in ihrem Wohnzimmer. Einrichtungsleiterin Doris Ihle ist zu Besuch gekommen. (Foto: Georgine Treybal)

Nach einem Entzug trocken zu bleiben, fällt vielen Alkoholabhängigen schwer. Torsten, Jürgen und Damir haben es geschafft dank therapeutischer Angebote, von denen es aber noch immer viel zu wenige gibt.

Von Linus Freymark, Gauting

Früher wäre das undenkbar gewesen, aber heute haben Jürgen und Torsten gebacken. Der Kaffee ist durchgelaufen, auf dem Tisch stehen zwei Kuchen, einmal Früchte, einmal Apfel, und die drei Männer haben Platz genommen. Jürgen, der als Schlosser gearbeitet hat und immer dachte, seine Familie würde nichts von seiner Sauferei mitbekommen. Bis ihm seine Tochter gesagt hat: "Papa, mit dir stimmt was nicht." Torsten, der mal Maler und Lackierer war und schon als Jugendlicher Drogen genommen hat. Bis er mit Ende 20 auf Alkohol umstieg, weil der billiger und leichter zu bekommen ist. Und Damir, der in anderen Zeiten ein eigenes Finanzdienstleistungsunternehmen hatte und vom kalten Entzug so heftige Anfälle bekommen hat, dass er sich ein Stück Zunge abgebissen hat. Aber nach außen hin herrscht Gautinger Frühlingsidylle: Die Sonne scheint herein, im Garten blüht es, durch die offene Tür zum Garten zwitschern die Vögel ins Wohnzimmer.

Jürgen bereitet die Kaffeetafel vor. Den Früchtekuchen hat er selbst gebacken. (Foto: Georgine Treybal)

Drei Männer, alle um die 50, die ihre Geschichten und ein Schicksal verbindet. Alle drei sind über Jahrzehnte nicht losgekommen vom Alkohol. Sie haben Therapie um Therapie gemacht - und sind immer wieder rückfällig geworden. Bis sie es doch geschafft haben. Und damit das so bleibt, wohnen sie zusammen in einer therapeutischen Wohngemeinschaft des Blauen Kreuzes am Ortsrand von Gauting. Die Organisation bietet Jürgen, Torsten, Damir und den Bewohnern vier weiterer WGs in München und Gauting regelmäßige Gespräche an und unterstützt sie dabei, sich nach der Therapie eine neue Existenz aufzubauen: Sie sollen nach der Klinik erstmal ankommen und sich neu orientieren. "Wir helfen den Menschen auf ihrem Weg zurück ins Leben", sagt Einrichtungsleiterin Doris Ihle. Das Ziel: Eine eigene Wohnung und mit dem Geld auskommen, das ihnen zur Verfügung steht. Dabei gibt es eine klare Regel: Wer trinkt, fliegt raus. Damit das nicht passiert, gibt es keinen Alkohol im Haus und Mitbewohner, die einen verstehen, wenn man gerade eine schwere Phase hat und der Gedanke an die Droge doch wieder hochkommt. "Ansonsten leben unsere Klienten hier wie in einem normalen Zuhause", erklärt Sozialarbeiterin Livia Junge.

6,7 Millionen Menschen zwischen 18 und 64 konsumieren in Deutschland Alkohol in riskanter Form

6,7 Millionen Menschen zwischen 18 und 64 konsumieren in Deutschland nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums Alkohol in riskanter Form. 1,6 Millionen gelten als alkoholabhängig. Die Krankheit wird man ein Leben lang nicht los, auch nach jahrelanger Abstinenz. Ein Schluck - schon steckt man wieder in der Sucht. Therapieplätze gibt es, zwar nicht ausreichend, aber immerhin. Doch Angebote für die Betreuung sind noch viel seltener. Die Gefahr eines Rückfalls ist extrem hoch. Damir etwa hat schon sechs Therapien hinter sich. Ohne Angebote wie die Gautinger WG, in denen man auch danach noch Unterstützung bekommt, würde er jetzt wahrscheinlich schon wieder an der Flasche hängen, glaubt er. "Das wäre nicht gegangen."

Damir hat schon sechs Therapien hinter sich. Inzwischen lebt er "zufrieden abstinent". (Foto: Georgine Treybal)

Seit einem knappen Jahr lebt der einstige Unternehmer aus dem "Schwabenländle" nun in der WG, vorgesehen sind etwa zwei Jahre. Wenn jemand noch in Ausbildung ist, können es auch mal drei werden. Jeder hat sein eigenes Zimmer, im Keller gibt es einen Sport- und einen Werkraum. Die Sportgeräte seien vor allem Torstens Ding, erzählt Jürgen, für ihn selbst ist das nichts. "Die stehen da ganz gut", sagt er und lacht.

Der Sportraum im Keller ist vor allem Thorstens (links) Revier. Jürgen schaut lieber zu. (Foto: Georgine Treybal)

Dafür kümmert Jürgen sich um den Garten: Die Beete sind schon vorbereitet, bunt soll es werden. In einer anderen Ecke arbeiten sie gerade an einem Gartenhäuschen, und auf der Terrasse steht der Grill bereit. Früher habe er sich "bei solchen Abenden immer so weggeknallt", dass ihn irgendwann kaum noch jemand eingeladen hat, erzählt Damir. Er denkt oft daran zurück, wenn das Fleisch auf dem Rost vor sich hin brutzelt. Aber anstatt zu trinken, ist er jetzt "zufrieden abstinent".

Manche Alkoholabhängige schaffen es über Jahre hinweg, die Fassade aufrechtzuerhalten

Im Garten bauen sie gerade ein Häuschen. Sozialarbeiterin Livia Junge (rechts) begutachtet die Fortschritte. (Foto: Georgine Treybal)

Die Sucht bringt viele Probleme mit sich. Manche Abhängige schaffen es zwar über Jahre hinweg, die Fassade aufrechtzuerhalten. Sie arbeiten, haben Familie und Freunde. Aber irgendwann bricht das Gebilde aus Lügen und Versprechungen fast zwangsläufig in sich zusammen. Jürgen begann seine Eltern zu bestehlen, weil das Geld nicht mehr fürs normale Leben und den Stoff reichte. Damirs Frau trennte sich. Das nahm er zum Anlass dafür, noch mehr zu trinken. Jetzt hatte er ja sogar einen Grund zum Saufen, viele reagierten erstmal mit Verständnis darauf. Torsten verlor seinen Job, ebenso wie Jürgen und Damir. Jetzt sind sie auf der Suche nach ihrem Platz in der Gesellschaft und sind dennoch gezeichnet vom Alkohol. Wieder auf ein Gerüst zu klettern, geht bei Torsten nicht mehr. Jürgen dagegen will Suchtberater werden. Er will Menschen helfen, weg vom Alkohol zu kommen - so wie andere ihm geholfen haben. "Ich glaube, ich kann das ganz gut", sagt er. Die notwendige Authentizität bringe er schließlich mit.

Jürgen möchte Suchtberater werden. Dafür hat er sich einiges an Unterlagen besorgt. (Foto: Georgine Treybal)

Die Vermittlung sei oft schwierig - besonders in Regionen wie Starnberg, sagt Einrichtungsleiterin Ihle. "Hier gibt es zu wenige Möglichkeiten auf dem zweiten Arbeitsmarkt." Gemeint sind geförderte Tätigkeiten, deren Sinn nicht darin besteht, Wert im kapitalistischen Verständnis zu schöpfen. Vielmehr geht es darum, Menschen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance haben, eine bezahlte Beschäftigung zu ermöglichen. Neben einem strukturierten Tagesablauf fördert dies auch das Selbstbewusstsein der Arbeitnehmer, in ihrer Aufgabe werden sie schließlich gebraucht. Überhaupt weist die Region Besonderheiten im Umgang mit der Sucht auf: Livia Junge glaubt, dass die Wahrnehmung anderer für viele hier eine größere Rolle spielt als anderswo. Sie stelle immer wieder fest, dass Menschen auf keinen Fall etwas mit den WG-Bewohnern zu tun haben wollen. "Das bestärkt Vorurteile", sagt sie. Dabei gebe es davon doch eigentlich schon genug. Zudem erschweren es die hohen Mieten in der Region, finanzierbaren Wohnraum für weitere WGs zu finden. Der Bedarf sei definitiv da, sagt Ihle.

"Man müsste schon in den Schulen viel mehr Präventionsarbeit leisten"

Jährlich sterben in Deutschland rund 74 000 Menschen in Folge von Alkohol oder Tabak und Alkohol. Organisationen wie das Blaue Kreuz wollen durch Aktionen wie die nun zu Ende gehende Aktionswoche Alkohol auf die Risiken aufmerksam machen. Doch viele Appelle verhallen ungehört. "Man müsste schon in den Schulen viel mehr Präventionsarbeit leisten", findet Junge. Zudem müsse Alkoholabhängigkeit als Krankheit angesehen werden wie Depressionen oder Burn-Out. Auch Damir sieht den gesellschaftlichen Umgang mit Alkohol kritisch. "Alkohol wird oft verherrlicht", sagt er. Natürlich würden nicht alle Menschen in die Sucht abrutschen, da gehören ja viele Faktoren dazu. Beim Blauen Kreuz melden sich zum Beispiel viele Männer, die sexuell missbraucht wurden, ein Thema, das die Öffentlichkeit kaum auf dem Schirm hat. "Das gibt es viel öfter als man denkt", sagt Ihle.

Auch Jürgen beschäftigt sich mit den Ursachen für seine Sucht. Früher hat er sich damit nicht beschäftigt, trinken war die einfachere Lösung. Er weiß, dass das ein langer Prozess werden wird, dass es Zeit braucht, bis das alles aufgearbeitet sein wird. "Aber ich arbeite daran", sagt er, und trinkt seinen Kaffee aus.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Rosneft
:Schröders überraschende Wende

Seit Langem wird der frühere Bundeskanzler für seine engen Beziehungen zu Russlands Präsident Putin hart kritisiert - und nun auch sanktioniert. Sein Rückzug aus dem russischen Energiekonzern Rosneft wird daran wohl nichts ändern.

Von Nico Fried

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: