Hilfe für Bedürftige:Die Wohlfahrt steckt in der Krise

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Jörg Straub (mitte) und sein Team vom Sozialkaufhaus in Starnberg. (Foto: Arlet Ulfers)

Corona, der Krieg in der Ukraine, die Inflation - es gibt viele Gründe, warum Angebote der Caritas gerade besonders gefragt sind. Es gibt dabei allerdings ein Problem: Denn mit den Skandalen in der katholischen Kirche hat auch die Spendenbereitschaft der Leute stark abgenommen.

Von Pauline Graf, Starnberg

Heizöl, Tankfüllung, Brot - das ganze Leben wird derzeit teurer. Und wenn die Lebenshaltungskosten höher werden, wird auch die Zahl derer immer größer, die sich nicht mehr alles so wie gehabt leisten können. Wie gehabt, das soll heißen: wie vor der Corona-, der Ukraine-, der Inflationskrise. Und wer bei den Preissteigerungen, die mit dieser Krisenhäufung einhergehen, nicht mehr weiter weiß, der kommt zum Beispiel ins Büro von Ulrich Walleitner.

Walleitner ist Geschäftsführer der Starnberger Caritas mit Sitz in der Leutstettener Straße - und momentan sehr besorgt: "Es werden immer mehr Menschen zu uns kommen. Ich frage mich, ob wir diese Not irgendwann nicht mehr auffangen können." Noch sei diese Sorge reine Theorie, so Walleitner - aber: "Die Praxis kann schon kommen, in ein paar Monaten oder so." Und das auch in einem vergleichsweise sehr wohlhabenden Landkreis wie Starnberg. Was es braucht, damit die Caritas weiterhin wirken kann? Vor allem Spenden.

Ulrich Walleitner ist Chef des Starnberger Caritasverbands. (Foto: Nila Thiel)

Seit 1989 setzt sich die Caritas, der Wohlfahrtsverband der katholischen Kirche, auch in Starnberg für "schwache und bedürftige Menschen" ein, so heißt es auf der Homepage. Mittlerweile zählt die Caritas Starnberg 28 haupt- und 140 ehrenamtliche Mitarbeiter. Unter anderem bieten diese Ausflugsreisen für Senioren zu günstigen Preisen an, als nächstes geht es nach Kufstein und ins Berchtesgadener Land; dazu kommen Beratungsstellen zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit; oder das Sozialkaufhaus im Unter- und Erdgeschoss der Caritas-Zentrale.

Das Sozialkaufhaus, das sind 290 möblierte, vollgestellte, dekorierte Quadratmeter unter weißem Neonlicht. Hier können Spender gebrauchte Kleidung, Sofas, Schränke, Lampen, Lichterketten, Bücher, Gemälde und alles andere hinbringen, was man auch sonst in jedem regulären Kaufhaus finden würde. Nur sozial soll es für die Kunden eben sein, also vor allem preiswert. "Möbel kosten bei uns grob 30 Prozent des Normalpreises", rechnet Ulrich Walleiter vor. Das Sozialkaufhaus erfreue sich derzeit großer Beliebtheit, 1300 Kunden hat es jedes Jahr. Neuerdings zählen auch viele Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine dazu.

"Ist doch super hier. Die Endstation in meinem Leben soll das aber nicht sein."

Das Sozialkaufhaus bietet noch aus einem anderen Grund Chancen. Die Caritas beschäftigt dort acht Mitarbeiter, sechs von ihnen hat der Wohlfahrtsverband aus der Langzeitarbeitslosigkeit geholt. Der für die Caritas tätige Unternehmensberater Jan-Peter Schacht erklärt hierzu: "Über lange Zeit nicht nur arbeits-, sondern auch aufgabenlos zu sein, nagt sehr an einem Menschen." Hier aus dem Kaufhaus würden die Mitarbeiter vielleicht abends ein bisschen erfüllter rausgehen, als sie reingekommen sind: "Sie haben Ansprache und merken dass sie zu etwas Gutem beitragen." Das verbessere das Selbstwertgefühl.

Dieter Matoridlow arbeitet seit einem halben Jahr im Sozialkaufhaus. Seine Stelle hat ihm damals das Jobcenter vermittelt. Er führt durch die engen Gänge des Sozialkaufhauses, mit Kommentaren wie: "Ist doch super hier, oder?" Ihm mache sein Job "großen Spaß", aber er betont auch: "Die Endstation in meinem Leben soll das nicht sein."

Sein Chef, Kaufhausleiter Jörg Straub, scheint mit seinen Mitarbeitern zufrieden zu sein - weniger zufrieden aber ist er mit der "ausbaufähigen" kleinen Kinder-Abteilung ganz am Ende des Ganges im Caritas-Untergeschoss. "Sehr eng haben wir's hier", sagt er. "Hier sieht man, dass es uns an Geld mangelt."

Simone Christenn von der Obdachlosenberatung in Gilching. (Foto: Nila Thiel)

Aber die Caritas ist mehr als das Untergeschoss ihrer Geschäftszentrale - sie ist auch an ihren Außenstellen sehr gefragt, so zum Beispiel bei ihren Beratungsstelle zur Vermeidung von Obdachlosigkeit in Gilching. Dorthin kämen im Jahr durchschnittlich 36 Personen, die über die steigenden Mietpreisen in der Region klagen, so Walleiter. In 80 Prozent der Fälle habe die Caritas ein unmittelbares Eintreten der Wohnungslosigkeit verhindern können, ergänzt die Broschüre. Diejenigen, die schon Nächte auf der Straße verbringen mussten, lädt die Caritas an den Seebahnhof Starnberg ein, wo die "Caritas-Container" stehen - ein Aufenthaltsort für tagsüber. Hier zählt der Wohlfahrtsverband 40 regelmäßige Gäste.

"Die Hemmschwelle, zu uns zu kommen, ist hoch", sagt Caritas-Chef Walleiter

Auch für diese Einrichtung werden Spenden händeringend gesucht. Es falle besonders schwer, Spender für Notbedürftige wie Obdachlose zu finden, erzählt Pfarrer Andreas Jall: "Das ist eine Not, die stinkt", so der promovierte Theologe. Wegzuschauen sei hier leichter verdaulich als Geld zu spenden. Pfarrer Jall selbst findet, ein Gläubiger könne aber gar nicht anders, als zu helfen: "Wer gläubig ist, aber nichts Gutes tut, atmet nur mit einer Lunge."

An der Kundenanzahl im Sozialkaufhaus und dem mal mehr oder mal weniger vollen Terminplaner der Beratungsstelle gegen Wohnungslosigkeit merkt die Caritas recht schnell, wie es um die finanzielle Lage der Menschen steht. Und dabei werde ein großer Teil der Bedürftigen wahrscheinlich vergessen, weil sie sich gar nicht erst aufraffen könnten zu einem Besuch im Kaufhaus oder bei der Beratung: "Die Hemmschwelle, zu uns zu kommen, ist hoch", weiß Ulrich Walleiter. "Aber wir möchten den Menschen zeigen, dass wir ihnen zuhören, dass wir sie nicht verurteilen, sondern, dass wir ihnen helfen wollen, mit kompetentem Fachpersonal." An dieser Kompetenz der Caritas werde aber vermehrt gezweifelt, unter Betroffenen genauso wie unter potentiellen Spendern. Der Grund ist die allseits bekannte Verbindung zwischen der Caritas und der katholischen Kirche: "Dass wir als Glaubensgemeinschaft derzeit einen Image-Verlust erleiden, das ist mir klar", so Pfarrer Andreas Jall. "Aber bitte: Auch wer aus der katholischen Kirche austritt, sollte doch versuchen, die gemeinnützige Arbeit der Caritas weiter anzuerkennen." Die Mitarbeiter des Wohlfahrtsverbands hätten eine "unglaublich hohe intrinsische Motivation", so Jall.

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