Integrative Forstwirtschaft:Mischkulturen gegen den Klimawandel

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Waldspaziergang auf Einladung der Bayerischen Forstverwaltung und der Waldbesitzervereinigung Starnberg im Forstrevier Andechs: Revierförster Luitpold Schneider (li.) und Christian Gick, Forstwirt der Waldbesitzer, führen durchs Gelände nördlich des Biotops Seachtn. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Hat die Fichte noch Zukunft, was sind die Alternativen und wie hat der Krieg in der Ukraine die Holzpreise beeinflusst? Antworten auf diese und andere Fragen liefert ein Waldspaziergang mit dem Andechser Revierleiter.

Von Léonardo Kahn, Andechs

"Die Fichte ist ein super Baum", betont Luitpold Schneider, und das sagt der Andechser Revierleiter nicht bloß, weil er zu diesem Zeitpunkt von unzähligen Fichten umzingelt ist. Er hat nach seinem Abitur eine Schreinerausbildung absolviert, in der er die Holzeigenschaften der Fichte zu schätzen gelernt hat. Heute als Förster weiß der 48-Jährige aber auch, dass der Nadelbaum viele ökologische Vorteile hat. Sprüche wie "Willst du deinen Wald vernichten, pflanze Fichten", findet er daher "unsinnig". Die Baumart sei aus deutschen Wäldern schlicht nicht mehr wegzudenken.

Trotzdem werden immer weniger Fichten gepflanzt - auch in den Wäldern der Gemeinde Andechs. Das Problem liege dabei weniger an der Baumart selbst, sondern mehr an der Art und Weise, wie die Fichten früher angebaut wurden: im Reinbestand. Wenn Nadelbäume nämlich dicht nebeneinander stehen, wachsen sie kerzengerade und produzieren kaum Äste, so dass später im Sägewerk daraus lange, knoten freie Bretter geschnitten werden können.

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Doch diese Anbauweise hat einen Haken: Fichten werden oft auf ungünstigen Standorten gepflanzt, der Revierleiter spricht fachmännisch von einer "falschen Bestockung". Hier im Wald zwischen Erling und Machtlfing wachsen sie auf einer dicken Moosschicht, vereinzelt schaut ein Waldmeister-Halm aus der Decke. Das Moos lässt sich mit der Hacke leicht abschaben, so dass der darunter liegende Boden frei liegt: Es ist feiner Kies.

"Eigentlich mögen die Fichten lieber feuchte Böden", erklärt der Förster, "aber hier rinnt das Regenwasser einfach durch den Kies. Deshalb wachsen die Bäume auch nicht so hoch." Sie knicken außerdem bei stärkeren Windböen wie Streichhölzer um, weil ihre Wurzeln nur knapp einen halben Meter unter der Erde liegen. Dass flach wurzelnde Baumarten bei Stürmen zur Gefahr werden, erlebt man in Deutschland mittlerweile fast jährlich. Auch aufgrund des Klimawandels hätte sich die Bayerische Forstverwaltung von reinen Fichtenbeständen abgewandt, sagt Schneider.

Altbäume haben ein enormes Potenzial, weil sie ihr Saatgut alleine verteilen

Stattdessen setzen Förster heutzutage auf die sogenannte integrative Forstwirtschaft. Die Devise lautet: "Den Wald schützen und nützen." Luitpold Schneider und sein Kollege Christian Gick stiefeln mit Dackelhund Nelly durch das Gehölz. Vor einer kolossalen Weißtanne halten sie abrupt an. Schneider umarmt den Baumstamm, wobei seine Armlänge nicht ausreicht, um ihn komplett zu umschließen. "Das ist unser Baby, unsere Heilige", sagt der Revierleiter und klopft mit der Handfläche auf die Borkenrinde.

"Das ist unser Baby, unsere Heilige", sagt Revierförster Luitpold Schneider, und umarmt eine mächtige Weißtanne - einer der ältesten Bäume im Wald. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Die zur Heiligen ernannte Tanne ist nämlich einer der ältesten Bäume im Wald. "Altbäume haben ein enormes Potenzial, weil sie ihr Saatgut alleine verteilen", erklärt Schneider. Der Westwind pustet seit Jahrzehnten die Samen aus den Zapfenschuppen heraus und weht sie durch den Wald. Deshalb wachsen im Windschatten der Tanne viele junge Nadelbäume. Außerdem fordern Altbäume die Artenvielfalt: In Löchern und in der breiten Baumkrone finden Insekten, Vögel und Fledermäuse Unterschlupf, der Baum schafft dadurch wichtige Biotope. Auch Totholz wird aus demselben Grund nicht weggeräumt, weil darauf zudem Schwammerl gedeihen.

"Diese Tanne ist für mich so etwas wie der letzte Java-Tiger", sagt der Andechser. "Natürlich könnte ich weiterhin Weißtannen pflanzen, wenn die hier abstirbt. Auch in Java könnte man wieder Tiger aussetzen. Aber mir geht es darum, dass die Weißtannen, die hier wachsen, auch wirklich von hier sind." Da die Tanne tiefer wurzelt als die Fichte, wird sie im Sturm auch nicht so leicht umgepustet. Tannen haben im Vergleich zur Fichte keine Nachteile, behauptet der Revierleiter, weshalb auch die Bayerische Forstverwaltung mittlerweile auf die Sorte Abies alba setzt.

Fichten sind Flachwurzler und daher besonders anfällig bei Unwettern - wie hier im Kreuzlinger Forst bei Krailling nach Sturm "Andrea" im Jahr 2012. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Am nördlichen Rand wird der Wald immer lichter. 2018 wütete hier ein Sturm, der alle Fichten "abrasiert" hat. Schneider schätzt den Wertverlust auf 20 000 Euro. Damit so etwas nicht noch einmal passiert, haben sie hier anstelle eines Fichtenreinbestands einen Mischbestand gepflanzt: Wildkirsche, Winterlinde, Stieleiche, Bergahorn, Rotbuche, Lärchen, Fichten und Douglasien - "die ganze Palette eben", so der Revierleiter.

Der Preis für Restholz ist in wenigen Wochen auf das Dreifache angestiegen

Währenddessen zerrt Dackel Nelly an der Leine und vergräbt die Schnauze im Moos. Ist da etwa eine Spitzmaus? Nelly fängt an zu schaufeln, doch die fünfminütige Ausgrabungsaktion endet erfolglos. Nicht schlimm. Unbeeindruckt tapst der Hund durch den Wald, auf der Suche nach weiteren Mäusetunneln. Herrchen Luitpold Schneider erzählt, er habe einmal panisch eine halbe Stunde nach seinem Gefährten suchen müssen, weil der Hund sich wieder von einem Nagetier ablenken ließ, damals von einem Hasen.

Such die Maus: Jagdhund Nelly ist auf der Spur einer Maus im Waldboden. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Die Forstverwaltung ist für Luitpold Schneider "Prinzipiensache", zumal der Wald in erster Linie einen gesellschaftlichen Beitrag leistet und keinen wirtschaftlichen Ertrag erbringt. Sein Kollege Christian Gick erklärt, wie der Holzpreis seit dem Krieg in der Ukraine stark schwankt: "Der Preis für Restholz ist in wenigen Wochen von 300 Euro die Tonne auf das Dreifache angestiegen", weiß der Förster. Grund dafür sei die erhöhte Nachfrage nach Pellets, weil sich viele Bürger im Zuge der Energiekrise im Herbst einen Ofen zugelegt haben.

In Deutschland sind knapp zwei Drittel der Waldflächen in privater Hand

Aber werden Staatswälder deshalb auch anders beförstert? "Auf gar keinen Fall", versichert der Förster. Mag sein, dass man inzwischen besseres Geld verdient, wenn man Stammholz häckselt und in Pellets presst. Aber für Schneider steht das außer Frage: "Mit dem Schnittholz sollen schöne Möbel geschreinert werden, aber doch keine Öfen geheizt werden." Auch das sei für ihn eine Prinzipienfrage.

Pellets, Möbel oder Papier? Entscheidend ist die Qualität. Dabei sind die Holzpreise seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine rapide gestiegen. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Schneider weiß aber auch, dass Waldbesitzer frei für sich entscheiden können. In Deutschland sind knapp zwei Drittel der Waldflächen in privater Hand. Die Eigentümer können selbst entscheiden, wie das Holz verwertet wird, solange sie wöchentlich nach Borkenkäfern schauen und sie beseitigen. Das sei ihre Pflicht, "insbesondere jetzt im Sommer", sagt der Förster.

Neben den Stürmen ist der Borkenkäferbefall nämlich die größte Kalamität für den Wald. So stirbt etwa der Frankenwald leise vor sich hin. "Die letzten drei Jahre hatten wir in Andechs enorm viel Glück", sagt Luitpold Schneider. "Aber das bedeutet nicht, dass das so bleibt."

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