Klassik:Musikalischer Wandertag

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Im Inninger Ortsteil Schlagenhofen bringt die Violinistin Franziska Strohmayr bei der Ammerseerenade in der Kapelle St. Michael eine Uraufführung zu Gehör. (Foto: Franz Xaver Fuchs/Franz Xaver Fuchs)

Der Kapellentag bei der "Ammerseerenade" lockt trotz schlechten Wetters Kunstfreunde in Kirchenräume nach Schlagenhofen und Breitbrunn.

Von Reinhard Palmer, Herrsching

Selten ist ein Festival auf Anhieb erfolgreich. Meistens verklingt die Anfangseuphorie recht schnell, bis sich so ein Unternehmen nach ein paar Jahren frustrierender Mühen doch etabliert, oder bis es eben untergeht. Die Ammerseerenade war als Sommerlochfüller von Anfang an durchaus ein Erfolgsunternehmen - wohl weil inhaltlich flexibel, der Ammerseeregion auf den Leib geschneidert und finanziell von der lokalen Wirtschaft unterstützt.

Aber auch hier mussten die Macher Doris M. Pospischil und Hans-Joachim Scholz ihre kühnen Anfangsträume einer opulenten Klassikreihe dahinziehen lassen. Geblieben ist ein hochrangiges und inhaltlich bedeutsames Liberation Concert in St. Ottilien (am 16. September) sowie ein stets beliebter Kapellentag, der nun am vergangenen Sonntag zum neunten Mal die Ammerseeregion auf Wanderschaft zu Haus- und Hofkapellen sowie einigen Dorfkirchen schickte. Die den vier Himmelsrichtungen entsprechenden Touren rund um den Ammersee hätten mit dem Fahrrad erwandert werden können, so mitunter die ursprüngliche Idee, sofern das Wetter mitmacht.

Diesmal fiel das Radwandern ins Wasser, dennoch reichte die Begeisterung für diese Veranstaltung, um selbst die großen Kirchenräume gänzlich zu füllen. Draußen vor der Tür zu lauschen, wurde geduldig in Kauf genommen, um noch irgendwie dabei zu sein.

Gelebte Heimatpflege

Der Kapellentag ist eine Art gelebte Heimatpflege, steht aber auch in Verbindung zu dem, was auf der Internetseite der Ammerseerenade unter dem Begriff "Lebensgefühl Ammersee" zu lesen ist. Auf den Punkt gebracht: die Schnittmenge zwischen Landschaft und Kultur, "wo die Freiheit zu Hause ist". Und das mobilisiert ein sehr gemischtes Publikum, ja im Prinzip jeden Anrainer des Ammersees und darüber hinaus. Hierin erkannten die Veranstalter die Chance, mit einem weitgefächerten Programm geradezu die breite Masse anzusprechen.

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Wer hier also von Kapelle zur Kapelle zieht, erlebt eine außergewöhnliche kulturelle Vielfalt, die von Folklore und Weltmusik über Jazz und Schlager bis hin zu Klassik und Literarischem reicht, wobei es auch spannenden Grenzgänger gibt. Etwa das Evergreen-Konzert mit Lesung in der barockisierten Kirche aus dem 13. Jahrhundert St. Johannes der Täufer im Herrschinger Ortsteil Breitbrunn. Marlene Dietrich war hier die Protagonistin, deren künstlerische Vita die in Schondorf beheimatete Reiseschriftstellerin Carmen Rohrbach mit Zitaten aus der Biographie der Dietrich-Tochter Maria Riva skizzierte. Nachdem sie selbst kurzfristig als Vortragende absagen musste, stand überraschend Stefan Wilkening an ihrer Stelle und machte Marlene Dietrich präsent, wie es nur Wenige zu tun vermögen.

Mit all der Tragik, die vor allem darin bestand, dass die Schauspielerin, Sängerin und Stilikone für eine Szene berühmt wurde, die sie hasste: Sich auf einem Fass räkelnd sang sie dieses für sie alberne Lied "Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt". Auch wenn Siso Hagen, am E-Piano begleitet von Gerald Süttinger, mit ihrer tiefen Stimme versuchte, dem Lied eine pfiffige Dramaturgie zu verleihen: An der Melodramatik des Lebens der Frau, die der Damenhose Hoffähigkeit verschaffte, konnte dies nichts ändern.

Im Herrschinger Ortsteil Breitbrunn musizieren und spielen die Sängerin Siso Hagen, Gerald Süttinger am Klavier und der Schauspieler Stefan Wilkening in der Kirche St. Johannes Baptist. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Aber gar so tragisch ging es hier nicht zu, denn Wilkening vermochte den Humor im Text mit wirkungsvollen Pointen und entsprechender Süffisanz in der Stimme - etwa das Spötteln, mit dem der Geliebte, der Schriftsteller Erich Maria Remarque, Dietrich belustigte - mehr in den Mittelpunkt zu rücken. Aber auch Hagen vermochte mit Liedern vom berühmten Friedrich Holländer wie "Eine kleine Sehnsucht", "Wenn ich mir was wünschen dürfte" oder "Circe" Unterhaltsameres ins Spiel zu bringen.

Gleich quasi nebenan in der Kapelle St. Michael von 1680 im Inninger Ortsteil Schlagenhofen ein völlig anderes Bild: Die Geigerin Franziska Strohmayr widmete ihr Programm der Neuen Musik, inklusive Uraufführung. Den von Geburt an blinden Kirchenmusiker und Komponisten Johannes Gierlichs (geb. 1995) aus Salzburg präsentierte sie gleich live dazu, nachdem sie drei Sätze aus dessen "Suite Orientale" mit Klangmalerei und Sinnenfreuden zelebriert hatte.

Intensives Musikerlebnis

Bei "Sehnsucht" von Marina Razumovskaja (geb. 1987) nach einem Gedicht von Maria Johanna Sedlmair dialogisierte sie mit geräuschhafter Tonzuspielung, die dem solistischen Vortrag eine größere Ausdrucksbandbreite ermöglichte. In "Teresa" von Anita Biebl (geb. 1984) übernahm der Sampler diese Rolle. Gewandt spielte Strohmayr ihre Begleitstimmen sukzessive ein, um schließlich geradezu mit einer symphonischen Dichtung eine zum Teil höchst bewegte Narration darzubieten. Ein intensives Musikerlebnis, das in der Enge der Kapelle an Kraft beachtlich zulegte.

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