Dieser Elfmeter ist im Internet leicht zu finden und unzweifelhaft wurde nie ein Elfmeter so verschossen wie dieser. So läppisch und doch mit größter Überzeugung, so hoch übers Tor, eine Sensation. Aber: Hätte Roberto Baggio damals, im Elfmeterschießen der Fußball-WM 1994, diesen Elfmeter nicht verschossen, wäre also Italien Weltmeister geworden, es gäbe dieses Theaterstück nicht. Das Theater liebt die Tragik. Baggio war, als er noch spielte, einer der meistbewunderten Stürmer seiner Zeit, gewonnen hat er fast nichts - Italien hatte er 1994 im Alleingang ins Finale geschossen, doch den WM-Titel gab's nicht. Aber jetzt trägt ein Stück seinen Namen, "Roberto Baggio" von Davide Enia.
Enia ist ein Zauberer, ein Flaneur in den fantasievollen Gefilden des Geistes, ein unglaublicher Charmeur. Also glaubt man ihm alles. Auch die Geschichte von Roberto Baggio, dem Anästhesisten, der in Kriegsgebieten arbeitet. In Afghanistan muss ein junger Chirurg einen Jungen operieren, dessen Leib von einer Mine zerfetzt ist, der Chirurg ist kurz davor aufzugeben. Also erzählt ihm Baggio von Baggio, wieder WM 1994, Spiel Italien gegen Nigeria, Italien liegt hinten. Aussichtslos. Bis Roberto Baggio, der Fußballspieler, auf einmal in einer Lücke auftaucht, die eigentlich gar nicht da ist, den Ball erhält und ihn ins Tor streichelt. Bei Enia dauert das alles länger und sollte nie aufhören, weil er Szenen eines Fußballspiels beschreiben kann, als würde man daran teilnehmen wie an einem Drama. Der Chirurg versteht anhand der Geschichte von Baggios Tor die Gewalt der Zärtlichkeit. Der Junge wird gerettet.
Großartige Fußballszenen und harte Erlebnisse
Ja, Drama. In der Black Box im ehemaligen Gasteig ist Robert Dölle allein mit zwei Stühlen und spielt und erzählt, auf die einzig großartige Art, dass da jemand ist, der dir etwas mitteilen muss. Egal, welche Figuren Davide Enia in diesem Text erfindet, alle Stimmen sind Dölle, und an allen klebt man. Die Ausweglosigkeit aus dieser Dölle-Unmittelbarkeit eröffnet den Raum für viele großartige Fußballszenen - und für viele ganz harte Erlebnisse, die der andere Baggio, der Arzt, aus seinen Kriegen zu erzählen hat. Vergewaltigte Kinder im Sudan, zerrissene Körper. Fußball? Taugt der noch als Gegenüber, als Metapher? Ah, nein, Unsinn, will man aufschreien, wenn man Fußball selbst überhaupt nicht wichtig nimmt. Aber Baggio, der Fußballer, hatte einen vielgeschundenen Leib aus Glas, war oft verletzt, er kannte die Tränen des Schicksals.
Gino Strada, der 2021 gestorbene Chirurg, Friedensaktivist und Gründer einer Hilfsorganisation, passierte die Grenze zwischen Kurdistan und Irak in einem dieser verdammten Kriege, als alle anderen aufgehalten wurden, Geld zahlen mussten, der Willkür des Krieges unterworfen waren, weil er ein Foto dabei hatte. Es zeigte ihn mit Roberto Baggio. Dem Fußballer. Die Passage war frei. Kann Fußball Leben retten? Ja. Fußball und Fußballer können das.