Stadtrat:Die Rathaus-SPD gibt sich eine Doppelspitze

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Nachdem Alexander Reissl zur CSU übergelaufen ist, führen nun Verena Dietl und Christian Müller die SPD-Stadtratsfraktion. Damit sortiert sich die Partei auf nahezu historische Weise neu.

Von Heiner Effern

Symbolisch hatte die SPD den Machtwechsel schon Stunden vor der Neuwahl der Fraktionsspitze vollzogen. In der Vollversammlung des Stadtrats am Mittwochmorgen war der Stuhl ihres langjährigen Chefs Alexander Reissl, der am Montag zur CSU übergelaufen war, schon wieder besetzt. Verena Dietl hatte in der ersten Reihe ganz vorne links Platz genommen. Von dort aus gibt traditionell der oder nun die Vorsitzende der SPD die Linie der Fraktion vor. Auf den Stuhl neben ihr war Christian Müller nachgerückt. Die beiden bilden nun bis zur Kommunalwahl im März 2020 eine gleichberechtigte Doppelspitze.

Die Wahl der Fraktion in einer Sondersitzung am Mittwochabend zeigte, dass sich die SPD im Rathaus auf nahezu historische Weise neu sortiert. Noch nie war ein Fraktionschef von seinem Platz links vorne zur CSU gewechselt. Noch nie saß auf diesem Stuhl eine Frau. Noch nie hatte die SPD im Rathaus eine Doppelspitze. Dazu kamen noch zwei Phänomene, die der SPD mit Ausnahme der Wahl von Martin Schulz zum Parteichef eher fremd sind: Die neuen Chefs erhielten alle Stimmen der Parteifreunde. Und für die Phasen Schock, Diskutieren und Neuwahl benötigte die Fraktion nur 56 Stunden.

Deutlich ist der Wille zu spüren, den Verlust des alten Chefs, mit dem es zuletzt viele inhaltliche Reibereien gegeben hatte, als Chance für die Zukunft zu nehmen. "Für uns ist diese Woche eine Woche des Aufbruchs", erklärte Dietl. Ihr Kollege Müller denkt schon an den Wahlkampf, in dem die SPD den Trend der für sie alarmierend schlechten Wahlergebnisse drehen muss. "München braucht Verlässlichkeit genauso wie frische Ideen. Wir wollen eine Stadt, die kraftvoll und zukunftsorientiert vorangeht - und in der gleichzeitig niemand auf der Strecke bleibt." Die 39 Jahre alte Dietl und der 52 Jahre alte Müller werden von zwei Stellvertretern unterstützt: Anne Hübner und Christian Vorländer. Dieser hatte auch Ambitionen auf den Chefposten gezeigt, letztlich überwog aber bei allen der Wille zur Geschlossenheit.

Derjenige, der dieses starke Gefühl ausgelöst hatte, verfolgte die Stadtratssitzung aus einer für ihn ebenfalls völlig neuen Perspektive: aus der ersten Reihe auf der rechten Seite. Dort hatte die CSU Alexander Reissl etwas überraschend einen prominenten Platz zugewiesen. In diesem Fall soll allerdings keine Symbolik dahinterstecken, es habe schlicht keiner der anderen CSU-Stadträte seinen Stuhl aufgeben wollen, war aus der CSU zu hören. So saß Reissl zwischen Richard Quaas, mit dem er sich schon heftige Schlagabtausche geliefert hat, und Walter Zöller. Dieser meinte mit Verweis auf Hans Podiuk und Reissl trocken: "Wir bilden nun eine Reihe ehemaliger Fraktionsvorsitzender." Zwei von der CSU, einer von der SPD.

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