Parteitag:Wie die SPD an ihrem neuen Image bastelt

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Nach der Landtagswahl ist vor der Kommunalwahl: Die Sozialdemokraten wollen sich in München als moderne Großstadtpartei neu erfinden - mit 61 Anträgen und einem umfangreichen Thesenpapier.

Von Dominik Hutter

Geht es nach den Genossen in Berg am Laim, müssen demnächst mehrere Parteifreunde ihre Berliner Ministerbüros räumen. "Austritt aus der Großen Koalition in der Bundesregierung", lautet der Antrag, den der Ortsverein an diesem Samstag beim Jahresparteitag der Münchner SPD beschließen lassen will. "Fünf nach zwölf" sei es, finden die Berg am Laimer, die fällige Erneuerung der Partei sei ohne einen solchen Schritt nicht mehr möglich. Mal ganz abgesehen davon, ob die Bundes-SPD von einem solchen Votum beeindruckt wäre: Die Formulierung zeigt, wie dramatisch die Münchner Genossen die eigene Situation einschätzen.

Erneuerung. Es gibt einen eigenen Arbeitskreis zu diesem Thema, der an diesem Samstag selbst diverse Anträge durchbringen will. Das Hinschmeißen in Berlin zählt nicht dazu, dafür soll die SPD intern basisdemokratischer (Abschaffung des Delegiertenprinzips, öffentliche Sitzungen des bisher hinter verschlossenen Türen tagenden Parteirats) und politisch entschiedener auftreten. Solidarität soll zum Leitthema der Kommunalwahl 2020 werden. Fürs großstädtische Image dienen Anträge wie der für die Einsetzung eines Nachtbürgermeisters, der sich um die Vielfalt des Münchner Nachtlebens kümmert.

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"Mehr moderne Großstadtpartei" - so lautete bereits eine Erkenntnis aus der Bundestagswahl 2017, bei der die SPD ebenfalls schlecht abgeschnitten hatte. Damals kamen die Parteistrategen zu dem Ergebnis, dass bei diesem Themenfeld vor allem die Grünen gefährliche Konkurrenten sind - mit Blick auf das spätere Abschneiden bei der Landtagswahl war das eine ebenso prophetische wie offenkundig folgenlose Analyse. Die Grünen stellen, ihre Thesen und ihre Glaubwürdigkeit hinterfragen: Das wird, davon ist auch Oberbürgermeister Dieter Reiter überzeugt, eine maßgebliche Rolle spielen in den eineinhalb Jahren bis zur Kommunalwahl. Erst in der Landesregierung die Abholzung des Hambacher Forsts mitgenehmigen, dann dagegen demonstrieren, lautet für den OB eines der Beispiele, wo die erstarkten Grünen ein Glaubwürdigkeitsproblem hätten. Dabei wird die SPD mit einem Dilemma klar kommen müssen: Einerseits halten nach wie vor viele Sozialdemokraten Rot-Grün für die beste, geradezu logische Bündniskonstellation im Münchner Rathaus. Andererseits sind die Grünen längst zum Angstgegner geworden.

Reiter will mit einer Rede auf dem Parteitag ein paar Pflöcke einrammen für die kommenden Monate. Er weiß genau: Als Zugpferd und - zumindest aus heutiger Sicht - klarer Favorit in der Oberbürgermeisterwahl wird er im Wahlkampf ganz besonders gefragt sein. Aber ganz allein kann er es eben auch nicht machen. Fährt im Frühjahr 2020 auch die Stadtratsfraktion zahlenmäßig in den Keller, wird es auch für einen direkt gewählten Oberbürgermeister schwierig, seine Ziele durchzusetzen. Reiters Vorvorgänger, der inzwischen verstorbene Georg Kronawitter, hat diese Situation vor vielen Jahren meistern müssen, als nach dem Austritt zweier SPD-Stadträte seine Fraktion plötzlich keine eigene Mehrheit mehr hatte. Verkompliziert wird die Situation Reiters dadurch, dass nach der nächsten Wahl ein Bündnis zweier Parteien möglicherweise gar nicht mehr für eine Mehrheit ausreicht. Dass vielleicht ein Dritter mit ins Boot muss. Das bedeutet mehr Abstimmung und mehr Kompromisse. Was gemeinhin eine breitere Akzeptanz der politischen Entscheidungen zur Folge hat. Aber es verwässert sie eben auch.

Eine starke Stadtratsfraktion ist daher immens wichtig für die SPD. Es gibt parteiintern bereits Unkenrufe, die Popularität Reiters werde vielleicht noch für zehn bis 15 Stadtratsmandate reichen, und das war es dann auch schon. Aktuell umfasst die SPD-Fraktion 24 Köpfe. Reiter hält daher neue Gesichter auf der Kandidatenliste für unbedingt notwendig. Mit dieser Idee ist er nicht allein. Die Stadtratsfraktion gilt unter vielen Genossen als blass und verstaubt - es mangele, das hört man immer wieder, an zündenden Ideen und am Profil der einzelnen Stadträte, die vielen Münchnern gar nicht bekannt sind.

Einfach wird das nicht. Denn natürlich geht eine Profilierung einzelner Stadträte zu Lasten der Gesamtfraktion und vielleicht auch des Oberbürgermeisters. Dazu kommt, dass der intern durchaus umstrittene und oft auch nach außen polarisierende Fraktionsvorsitzende Alexander Reissl zweifellos zu den sachkundigsten, ausgebufftesten und eloquentesten Persönlichkeiten im Rathaus gehört. Auch die Münchner Parteivorsitzende Claudia Tausend hält ein simples Austauschen der Köpfe nicht für ein Allheilmittel. Das habe die Bundes-SPD ja lange genug praktiziert, lästert sie mit Blick auf die lange "Ahnenreihe" von SPD-Chefs, die sich mit nur wenig Abstand die Klinke in die Hand gaben. Was das gebracht hat, sehe man ja. Tausend tritt daher, wie der Großteil des Unterbezirksvorstands, wieder an - am Samstag sind turnusmäßige Wahlen. Bislang ist kein Herausforderer Tausends bekannt.

Exakt 61 Anträge haben Ortsvereine und Arbeitsgruppen und natürlich auch die Jusos im Vorfeld des Parteitags eingereicht. Die Agenda für die nächsten Monate aber hofft der Vorstand selbst auf den Weg zu bringen. Zumindest als Diskussionsgrundlage. Dafür haben Münchens Obergenossen ein Thesenpapier ausgearbeitet, das aus konservativer Perspektive schon fast sozialistische Züge aufweist. So soll es ein allgemeines Betretungsrecht für größere Innenhöfe geben, einen kommunalen Wohn- und Bodenfonds, der den privaten Immobilieninvestoren die Grundstücke wegschnappen soll, und strikte Vorgaben für die Wirtschaft. Münchner Unternehmen sollen zu einem kommunalen Mindestlohn gedrängt werden, in den kommunalen Betrieben sowie in der Stadtverwaltung wird eine solche Untergrenze ebenfalls eingeführt. Und die Firmen müssen sich zu sozialen Standards bekennen, wenn sie sich auf städtischen Flächen ansiedeln oder expandieren wollen.

Die Daumenschrauben einer Kommune sind allerdings nur begrenzt wirksam. Einen Mindestlohn in der Privatwirtschaft kann die Stadt lediglich über Umwege erreichen, die sie so ähnlich auch beim Wohnungsbau schon beschreitet: beim Überlassen kommunaler Grundstücke oder im Planungsrecht, also bei der Ausweisung neuer Gewerbeflächen. Der SPD ist klar, dass die Thesen, die Parteivize Roland Fischer am Samstag auf dem Parteitag vorstellen will, wohl nicht eins zu eins umgesetzt werden. Einiges dürfte an der Realität scheitern, anderes von der Partei aussortiert werden. So ist das Ganze aber auch gedacht: als Diskussionsprozess, an dessen Ende ein profiliertes Kommunalwahlprogramm steht. So profiliert, dass die SPD wieder als ernstzunehmende politische Kraft in der Großstadt wahrgenommen wird. Bis dahin behilft sich die Partei mit Optimismus: der (zumindest in der Vergangenheit) immer wieder gemachten Erkenntnis, dass Kommunalwahlen anders ticken als Landtags-, Bundestags- oder Europawahlen. Und dass es die SPD in München noch immer irgendwie gepackt hat. Wenn man einmal von der Ära Erich Kiesl zwischen 1978 und 1984 absieht. Aber das ist lange her.

Zwar ist es noch eine Weile hin bis zur Stadtratswahl. Die Debatte über das Thesenpapier dürfte aber zumindest die Frühphase des Wahlkampfs bereits einleiten. Am 30. April soll das Thesenpapier verabschiedet werden, die Stadtratsliste wird im November 2019 erstellt.

© SZ vom 24.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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