Fan-Kulturen in München:In guten wie in schlechten Zeiten

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In Abneigung vereint: Der größte Graben zwischen den Fanlagern in München verläuft zwischen den Anhängern des FC Bayern und des TSV 1860 München. (Foto: firo)

Die Anhänger des FC Bayern feiern am Wochenende wieder mal einen Meistertitel, Sechzger und Hachinger leiden im Abstiegskampf. Drei wahre Fußballfans über die Liebe zu ihrem Verein.

Von Michael Morosow, Udo Watter und Christoph Leischwitz

Mit Schnaps getaufter Löwe

Dass Markus Prommesberger ein Löwe ist, weiß jeder seiner Stammkunden, Rainer zum Beispiel wartet mit einer einleuchtenden Erklärung dafür auf: "Du host blaue Aug'n und koane roten", sagt er. Rote Augen bekommt der 46-jährige Inhaber eines Schreibwarengeschäfts in der Jahnstraße aber wohl, wenn seine Sechziger nach dem Spiel in Karlsruhe tatsächlich in die Dritte Liga absteigen müssten. Dass der 46-Jährige ein Löwe durch und durch ist, das hat kürzlich auch eine kleine Gesprächsrunde in einem Wirtshaus erfahren.

Auf die Frage nach seinem bisher schönsten Erlebnis berichtete der Münchner nicht etwa von seiner ersten Liebe oder einem Lottogewinn. Sein schönstes Erlebnis, so ließ er die Runde wissen, genoss er am 27. November 1999, als der TSV 1860 München den großen FC Bayern in einem Bundesligaspiel mit 1:0 besiegte. Nach dem Schlusspfiff habe er Erwachsene weinen sehen, erinnert sich Prommesberger.

Ja, der Mann mag den FC Bayern nicht sonderlich. "Die sollen sich mit ihren Pokalen totschmeißen, die können sich nicht einmal mehr richtig über einen Sieg freuen", sagt er. Außerdem rede er viel lieber über einen Chaosverein als über die Bayern, die schon ein zweiter Platz in eine Krise stürze. Für die Weiß-Blauen dagegen ist bereits ein 15. Platz in der Schlusstabelle der zweiten Liga Anlass für einen Freudentaumel.

Abrechnung mit der Vereinsspitze

Bei aller Liebe zu den Löwen zählt Prommesberger nicht zu jenen Fans, die bereits nach einem Sieg am ersten Spieltag vom Aufstieg träumen. Wenngleich der TSV 1860 München ein schlafender Riese sei, "mit Betonung auf schlafend", wie er sagt. Der Verein habe hohe Sympathiewerte, die man wecken müsse, glaubt der Münchner und holt zu einer Abrechnung mit der Vereinsspitze aus. Der Präsident sei nicht volksnah, in seiner Außendarstellung unnahbar, "was zu Sechzig überhaupt nicht passt". Bei der Zusammenstellung des Kaders habe man sich mit der Verpflichtung der spanischen Zweitligaspieler und anderer Fehleinkäufe verkalkuliert.

Da erinnert sich der Münchner lieber an die schönste Zeitspanne, die 1994 mit dem Aufstieg in die Bundesliga begann und 2004 mit seinem bislang schlimmsten Erlebnis, dem Abstieg, endete. Ein weiterer Abstieg wäre für ihn wohl nur schwer zu verkraften, zumal Markus Prommesberger ein getaufter "Löwe" ist. Als kleiner Bub von vier Jahren ist er an der Hand seines Vaters zum ersten Mal auf Giesings Höhe gepilgert, sog die Stimmung in der 60er-Kurve auf, bekam aber außerdem etwas Schnaps ab, der von jubelnden Fans über ihn versehentlich geschüttet worden ist. "Dea Bua stinkt nach 60er-Stadion", habe seine Mutter anschließend zum Vater gesagt.

Markus Prommesberger, 1860-Fan. (Foto: Robert Haas)

In einer fundamentalen Frage müssen Anhänger des FC Bayern München leidensfähiger sein als alle anderen Fußballfans dieser Republik: Wenn es um die Authentizität und Tiefe der Liebe zu ihrem Verein geht. Ob schwarz-gelbe und königsblaue Anhänger aus dem Ruhrpott oder die anderen Blauen aus der Giesinger Nachbarschaft: Immer wieder werden gerne Zweifel ob des wahren Herzbluts der Roten für ihren Verein geäußert.

Das artikuliert sich im beliebten Vorwurf "Erfolgsfan", oder in dem Urteil, die Bayern-Aficionados wüssten gar nicht, was leiden heißt - und überhaupt könnten sie sich ob all der Titel und Pokale gar nicht mehr richtig freuen, so verwöhnt sei dieser "Mia san Mia"-Verein und sein unbescheidenes Umfeld. Eine Saison, in der nicht das Triple oder zumindest das Double raus springt, gilt demnach als dürftig.

"Schmarrn" sagt Bertram Ehmer. " Wir sind absolut zufrieden mit dieser Saison." Der Vorsitzende des mehr als 150 Mitglieder starken FC-Bayern-Fanclubs "Rothosen Munichen 1158" - der Name ist nicht zuletzt eine Hommage an das Gründungsjahr der Stadt - weist derartige Unterstellungen zurück. Dass man vor vier Wochen, als der 25. Titel nach dem Sieg gegen Hertha BSC feststand, nicht groß gefeiert habe, sei der Situation geschuldet gewesen: drei Tage später stand das Champions-League-Rückspiel gegen Barcelona an - und der Titel in der europäischen Königsklasse ist natürlich etwas ganz Besonderes. Generell aber gelte: "Die Meisterschaft ist immer noch das Nonplusultra."

Bayern-Fan seit seiner Kindheit

Dementsprechend freut sich der gebürtige Münchner auf die Überreichung der Meisterschale am Samstag im Heimspiel gegen Mainz. Seine beiden Söhne, sieben und neun Jahre alt, wird er dann zum ersten Mal mit in die Allianz-Arena nehmen. Gegen die im Niemandsland der Tabelle positionierten Gäste erwartet er eine unterhaltsame Partie. "Das wird ein Spaß-Spiel." Ehmer, der seit der Kindheit Bayern-Fan ist, wird voraussichtlich auch am Sonntag bei der Meisterfeier auf dem Marienplatz zugegen sein. Immerhin gibt es da ja nach dem Titelgewinn der Bayern-Frauen erstmals das gemischte Doppel zu würdigen. "Wir freuen uns auch für die Mädels", erklärt Ehmer, "Das wird ein netter Anblick auf dem Rathausbalkon."

Was die Ergebnisse der beiden anderen, um den Klassenerhalt zitternden früheren Derby-Rivalen angeht, ist der 47-jährige Fluglotse, der 2008 mit Arbeitskollegen die "Rothosen Munichen" gegründet hat, eher emotionslos. "Haching verfolge ich schon und würde es ihnen gönnen." Und die Löwen? "Mei, die kriegen nix auf die Füße. Und das bei dem Potenzial." Dass manch Sechziger-Fan seine Mannschaft lieber in die Dritte Liga absteigen und im Grünwalder Stadion spielen sehen würde, versteht Ehmer nicht. Auch wenn er die Löwen nicht unbedingt in der Bundesliga vermisst, so hätte er gegen eine Rückkehr nichts einzuwenden: "Derby ist schon was Geiles." Das spüre man schon in der Regionalliga, wenn die zweiten Mannschaften aufeinanderträfen.

Am Freitag wird Ehmer mit anderen Fanclub-Mitgliedern denn auch das letzte Saisonspiel des FC Bayern II anschauen, das Wochenende steht bei dem Münchner also ganz im Zeichen der Roten. Die Liebe zu seinem Verein steht ohnehin außer Frage und Leiden hat er bei diversen verlorenen Europapokal-Endspielen auch gelernt. "Ich war 1987 in Wien dabei, ich war 1999 in Barcelona dabei, und 2012 beim Finale dahoam." Beim Blick auf 1860 und Unterhaching aber wohl ein Leiden auf höherem Niveau: "Gut, das ist kein Vergleich zum Abstiegskampf."

Bertram Ehmer (Mitte) mit seinem FC Bayern-Fanclub. (Foto: privat)

Es waren noch nie besonders viele, und sie sind zuletzt immer weniger geworden. Doch es gibt sie noch, die hartgesottenen SpVgg-Unterhaching-Fans. Dominik Landgraf, 27, ist so einer. Er sagt Sätze wie: "Was der FC Bayern macht, bekomme ich mit, aber es interessiert mich nicht." Bei ihm hält sich sogar die Schadenfreude in Grenzen, wenn es um die für Haching-Fans noch verhassteren Sechziger geht. "Ich wünsche ihnen nicht den Abstieg, so etwas wünscht man niemandem", sagt Landgraf. Er würde sich aber freuen, wenn 1860 in der kommenden Saison in der dritten Liga spielt und es zu einem Derby käme, "das wär ein Ding", sagt er. Das Problem ist nur: Dafür muss Unterhaching selbst die Klasse halten - zwei Punkte fehlen ihnen auf den rettenden 17. Platz. Das haben die Haching-Fans mit den Löwen zurzeit gemeinsam: Seit Jahrzehnten war die Lage nicht mehr so ernst wie an diesem Wochenende.

Haching-Fan wurde Landgraf sozusagen auf dem traditionellen Weg. "Mein Vater hat mich zu einem Spiel mitgenommen, als ich sechs war", erzählt er. Damals etablierte sich die Mannschaft gerade als Profiklub, für ihn eine prägende Zeit. Seit 2010 aber beobachten die Fans den langsamen Zerfall. Nachdem man beinahe auf einen Hochstapler hereinfiel und die Insolvenz gerade noch abwenden konnte, zog sich der Hauptsponsor Generali zurück. Der neue Präsident Manfred Schwabl fährt seitdem einen radikalen Sparkurs, in dessen Zuge langjährige Mitarbeiter abgefunden oder vor die Tür gesetzt wurden.

Dominik Landgraf wurde auf klassischem Weg Haching-Fan, sein Vater nahm ihn mit zum Spiel. (Foto: privat)

Belastetes Vertrauensverhältnis

Doch die Fan-Zugehörigkeit sei ja nichts, was man sich aussuche, sagt Landgraf. Er spricht von einer "Familie", von Freunden, die seit der ersten Stunde dabei seien. "Und von denen kann sich einfach niemand abwenden", sagt er. Auch wenn das Verhältnis zur SpVgg gestört ist. "Da ist viel an die Wand gefahren worden. Das meiste wissen wir wahrscheinlich gar nicht", beschreibt er das Vertrauensverhältnis. Immerhin gab es diese Woche etwas zu jubeln: Haching gewann am Mittwoch den Toto-Pokal und ist damit erstmals seit drei Jahren wieder im DFB-Pokal vertreten. Die Mannschaft, sagt Landgraf, könne sowieso nichts dafür, die reiße sich ja den Allerwertesten auf.

Am Samstag, beim entscheidenden Spiel in Erfurt, ist er auf jeden Fall dabei, er hat in dieser Saison überhaupt erst ein Auswärtsspiel verpasst. Egal, wie es ausgeht, er weiß schon, was er nach dem Spiel machen wird: Nach der Rückfahrt auf dem Parkplatz des Sportparks auf die Mannschaft warten - und sie entweder feiern oder trösten. Doch selbst im sportlichen Erfolgsfall hätte das Unterhachinger Leiden noch kein Ende. Wenige Tage später wird Präsident Schwabl erst bekannt geben, ob der Verein überhaupt die Drittliga-Lizenz für die kommende Saison erhält. Im Moment fehlt dafür noch ein sechsstelliger Betrag.

© SZ vom 23.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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