Konzertkritik:Einfachheit im Doppelpack

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All-Star-Gruppe herausragender Virtuosen: "Shake Stew" aus Österreich. (Foto: Severin Koller/Unterfahrt)

Lukas Kranzelbinders Septett "Shake Stew" macht in der Unterfahrt furiosen Jazz ohne Scheu vor dem Pop.

Von Oliver Hochkeppel, München

Ob die Unterfahrt am Samstag und Sonntag auch voll gewesen wäre, wenn ein "Lukas Kranzelbinder Septett" angekündigt gewesen wäre? Und nicht Shake Stew, wie der österreichische Bassist sein 2016 für das Saalfelden Festival aus der Taufe gehobenes Projekt genannt hat. Schon der Name gehört zum Konzept, die im Jazz üblichen Wege zu verlassen, hin zu dem, womit Pop-Bands ein breites Publikum anziehen. Auch das ausgeklügelte Bühnen- und Lichtdesign, das zum Artwork des jeweiligen Albums passt, und der Dresscode der Band-Mitglieder stehen dafür. Das alles ist nicht nur PR, denn auch die Musik geht dieselben neuen Wege, wie man nun in der Unterfahrt bei der Präsentation des Ende des Monats erscheinenden Albums "Heat" erleben konnte.

Ist das noch Jazz? Natürlich ist das noch Jazz

Um gleich die inzwischen in jedem zweiten Jazzkonzert gestellte Frage "Ist das noch Jazz?" abzuwürgen: Ja, natürlich ist auch das noch Jazz, vom Geist und von der Musizierhaltung her; weil viele genretypische Elemente erkennbar sind; und weil alle Mitglieder musikalisch so sozialisiert sind. Aber der traditionelle Jazz ist eben für Kranzelbinder wie für so viele junge europäische Jazzer nur noch der Ausgangspunkt für das große Abenteuer Musik. Dass er mit Shake Stew zu den erfolgreichsten Vertretern gehört - mit Auftritten auf den wichtigen Festivals, ausverkauften Tourneen (einschließlich einer kompletten "Summer Week" in der Unterfahrt 2018), hymnischem Kritikerlob und dem Gewinn des "Deutschen Jazzpreises 2021" -, verdankt sich der hohen Kunst, aus der erstaunlichen Menge der Zutaten einen unverwechselbaren Sound destilliert zu haben.

Der Schlüssel dazu ist die Besetzung, formal wie personell. Die Instrumente sind bei Shake Stew doppelt besetzt, zwei Schlagzeuge, zwei Bässe, zwei Saxofone, dazu Mario Roms für zwei zählende Trompete. Weil neben Kranzelbinder und Rom mit Astrid Wiesinger, Johannes Schleiermacher, Nikolaus Dolp, Herbert Pirker und Oliver Potratz eine echte All-Star-Gruppe herausragender Virtuosen am Werk ist, sind all die Höchstschwierigkeiten kein Problem, die Kranzelbinder auch in die "Heat"-Kompositionen eingebaut hat: atemberaubende Tempo-Passagen, furiose Soli, wilde Wechsel, Druck ohne Ende. Der eigentliche Clou liegt aber in der Kombination des Schwierigen mit dem ganz Einfachen: Erst die Grundierung mit repetitiven Afro-Beats, ellingtonesken Blues-Färbungen oder verfremdeten Jazz Messengers-Anklängen erzeugen diesen hypnotischen Sog, dem sich selbst Jazz-Gegner nicht entziehen können. Gesteigert dadurch, dass Kranzelbinder mitunter nicht vor Melodien zurückschreckt, die auch beim ESC funktionieren würden. Damit lieferten Shake Stew in der Unterfahrt einen weiteren Beleg, dass beim jungen europäischen Jazz derzeit auch der cleverste Pop zu finden ist.

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