Zweite S-Bahn-Stammstrecke:"Ich habe von keiner Seite ausreichende Informationen bekommen"

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Oberbürgermeister Dieter Reiter nimmt als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss Platz. (Foto: Catherina Hess)

Münchens OB Dieter Reiter wird knapp zwei Stunden vor dem Untersuchungsausschuss zur zweiten Stammstrecke im bayerischen Landtag vernommen - als Zeuge. Er tut es mit der ihm eigenen Mischung aus Flapsigkeit und Ernsthaftigkeit.

Von Heiner Effern

Es war das erste Mal in seinem Leben, dass Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) als Zeuge vernommen wurde. Nach der knapp zweistündigen Sitzung des Untersuchungsausschusses zum Bau der zweiten S-Bahnstammstrecke im bayerischen Landtag fühlte er sich trotzdem "entspannt". Er sei schließlich "nicht als Beschuldigter" vorgeladen worden. Sondern als ein ganz besonderer Zeuge, nämlich als einer, der nicht erklären sollte, was er alles wusste, sondern warum er eigentlich nie was wusste.

Das tat er ausführlich mit der ihm oft eigenen Mischung aus Flapsigkeit und Ernsthaftigkeit. Dass der zweite S-Bahntunnel unter die Innenstadt hindurch nicht wie angekündigt 2028, sondern erst 2035 oder gar 2037 fertig werden soll, habe er am 29. September 2022 erfahren, sagte Reiter. Das gleiche gelte für die Kosten, die sich von 3,85 Milliarden auf etwa das Doppelte erhöhen sollen. Die Kommunikation mit dem Freistaat als Auftraggeber und der Deutschen Bahn als ausführendes Unternehmen sei "eher schlecht" gelaufen. "Was ich respektive die Stadt gewusst habe, war überschaubar."

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An jenem 29. September hatten der Freistaat und die Bahn in einer Pressekonferenz die Verzögerung und die Kostenexplosion offiziell bekannt gegeben. Darüber kann sich der Münchner Oberbürgermeister noch heute aufregen. Reiter nannte im Untersuchungsausschuss die Verzögerung "einen Faustschlag ins Gesicht der Verkehrswende" und ein "Mega-Ärgernis" für die Münchnerinnen und Münchner.

Nachfragen auf der Arbeitsebene zu Kosten und Zeitplan seien sowohl bei der Bahn als auch beim Freistaat ergebnislos verlaufen. Das sei bereits im Herbst 2020 so gewesen, als in Medien erstmals über eine mögliche Verzögerung von 2028 auf 2032 berichtet worden war. Und das habe sich auch in der Folge nicht gebessert. Ein Spitzengespräch mit dem Unternehmen, dem Bund und dem Freistaat sei mehrmals angesetzt worden, aber aus verschiedenen Gründen nie zustande gekommen. "Ich habe von keiner Seite ausreichend Information bekommen."

Immer wieder waren Gespräche über die Stammstrecke abgesagt worden

Als Zeuge für Versäumnisse in der Kommunikation auf Seiten der Bahn und des Freistaats taugte der Oberbürgermeister gut, doch als harter Belastungszeuge gegen den Hauptbeschuldigten erfüllter er die Hoffnung der Opposition im Landtag nicht. Diese hatte den Untersuchungsausschuss eingerichtet, um Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nachzuweisen, dass er mutwillig die Information der Öffentlichkeit verschleppt oder unterdrückt habe. Dafür mögen sich in den Akten zahlreiche Hinweise finden, neues Futter lieferte Reiter mit seiner Aussage nicht.

Schon im Oktober 2020 gab es Presseberichte, dass sich die Fertigstellung der zweiten Stammstrecke von 2028 bis 2032 verzögern werde. Das registrierte auch Reiter und fragte beim Auftraggeber des Bauwerks, dem Freistaat, nach. Am 13. Oktober wurde er auch gleich zu einem Stammstreckengipfel eingeladen. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sollte Reiters Angaben zufolge kommen, die Bahnvorstände Richard Lutz und Roland Pofalla, und natürlich Ministerpräsident Söder und seine damalige Verkehrsministerin Kerstin Schreyer. Doch kurz vor dem Treffen am 23. Oktober wurde der Termin von der Staatskanzlei abgesagt.

Mehrmals sollte es in der Folge Gespräche über die Stammstrecke in verschiedener Zusammensetzung geben, aber immer wieder fielen sie aus, teils auch wegen der Pandemie. Reiter wurde gefragt, warum er denn nicht bei einem seiner Zusammentreffen mit Ministerpräsident Söder mal direkt nachgehakt habe. Bei solchen Fototerminen spreche man eher über Erbauliches, sagte Reiter. Wenn Dutzende Fotografen und Kameraleute herumstünden, dann strecke man denen halt mal den Pumuckl entgegen, wie in diesem Frühjahr zum Gedenken an den Meister Eder alias Gustl Bayrhammer. Sachfragen erläutere man da nicht.

Dem Stadtverband der Grünen ist schon öfter aufgefallen, dass Reiter bei Söder-Terminen eher gute Laune versprühe als politischen Biss gegen die CSU und ihren Ministerpräsidenten und Parteichef zeige. Er würde sich gerade bei der Stammstrecke mehr Engagement erwarten, sagt der Grünen-Stadtvorstand Joel Keilhauer nach der Vernehmung Reiters.

Weniger Sonntagsreden und mehr Handeln für die Verkehrswende

Der Grüne wird zur Kenntnis genommen haben, dass im Untersuchungsausschuss auch ein Dokument zur Sprache kam, in dem der damalige Landesverkehrsminister Hans Reichhart von einem öffentlichen Friedensdeal zwischen Rathaus und Staatskanzlei schreibt. Dabei ging es um die erste Bauverzögerung von 2026 bis 2028, an der der Freistaat wegen einer Umplanung und die Stadt wegen Wünschen zur Anbindung der neuen U-Bahnlinie U9 verantwortlich waren. Einen solchen Deal stritt Reiter ab, sagte aber, dass es keinen Sinn mache, gegenseitig mit den Finger aufeinander zu deuten, wenn beide Schuld daran trügen.

Gegen Söder und auch dessen aktuellen Verkehrsminister Christian Bernreiter war Reiter nicht viel zu entlocken, nur dass er erwartet hätte, dass der Freistaat so ein großes Projekt besser überwache. Dafür sendete er noch einen Gruß an einen Parteifreund, dem er weniger Sonntagsreden und mehr Handeln für die Verkehrswende empfahl. In seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister habe Olaf Scholz acht Milliarden jährlich vom Bund für den öffentlichen Nahverkehr gefordert, da läge die Bundesregierung mit ihm als Kanzler sehr deutlich drunter, sagte Reiter.

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