SZ-Serie: "Alles im Griff":Supersatte Farbe

Lesezeit: 4 min

Sascha Wellm (rechts) und Laura Sirch sind "Herr und Frau Rio". (Foto: Robert Haas)

Mit Risographie haben Sascha Wellm und Laura Sirch als "Herr & Frau Rio" ihre Nische gefunden. Die beiden Designer schwärmen von dem umweltfreundlichen Druckverfahren.

Von Sabine Buchwald

Die Papiere mit den aufgedruckten Zitronen, vier pro DIN-A4-Blatt, liegen noch nicht richtig aufeinander. Bevor der Stapel geschnitten werden kann, müssen die Blätter eine exakte Kante bilden. Die knallgelben Zitrusfrüchte auf pinkem Untergrund sind ein beliebtes Postkartenmotiv bei "Herr & Frau Rio". Laura Sirch nimmt den Papierstapel in beide Hände und knallt die Papier-Enden ein paar Mal hart auf den Tisch. Die Kanten sind nun ordentlich, die Luft ist raus. "Aufstoßen" heißt das in der Fachsprache der Drucker. Papier rülpst nicht von allein.

Herr und Frau Rio, das sind Laura Sirch, 34, und Sascha Wellm, 35. Die beiden haben zusammen Kommunikationsdesign an der Hochschule München studiert. Auf ihrer Webseite schreiben sie: "Seitdem haben wir gemeinsam viele Projekte realisiert, wovon Herr & Frau Rio ohne Frage das umfangreichste ist." Die beiden merkten schon im Studium, dass sie gut zusammenarbeiten können. Privat sind sie kein Paar, auch wenn der Name ihrer gemeinsamen Firma das suggeriert. Sie werden oft danach gefragt, immer wieder müssen sie sich erklären, das kennen sie schon. Ebenso häufig, aber mit viel mehr Wörtern müssen sie beschreiben, was sie beruflich beschäftigt: die Risographie. In Kurzversion erklärt Sirch das so: "Das ist ein Schablonendruckverfahren. Eine Art zu drucken, die in anderen Ländern viel verbreiteter ist." Ein Freund in Zürich, wo diese Technik schon damals bekannter war, hat die Designer 2013 darauf gebracht.

Eine Chefin, ein Chef, vier Hände: Sascha Wellm und Laura Sirch arbeiten mit Maschinen und Papier. (Foto: Robert Haas)

Die Risographie gibt es seit den Achtzigerjahren, entwickelt hat sie die japanische Firma Riso. Der Name kommt nicht von Reis, wie man annehmen möchte. Riso heiße übersetzt "ideal", sagt Sirch. Und genau so finden sie und Wellm diese Art zu drucken: ideal, nahezu perfekt. Denn man könne mit tollen Farben umweltfreundliche Produkte herstellen. Gerade der Umweltaspekt ist Sirch und Wellm wichtig. Es entsteht kein Ozon und auch kein Feinstaub beim Drucken. Verwendet werden Farbtinten aus Reiskleieöl, früher waren sie auf Sojaöl-Basis. Wenn diese Tinte auf die Hände abfärbt, dann ist das nicht schädlich für die Haut. Da die Farben selbst nach vielen Stunden nicht richtig austrocknen, bleibt öfter etwas an den Fingern hängen. "Macht nichts", sagt Sirch, wischt sich eine Strähne ihrer auffälligen Locken aus dem Gesicht und schaut auf ihre Handflächen und Fingerkuppen. Von Druckerschwärze, wie etwa nach der Lektüre einer Zeitung, ist nichts zu sehen. Aber etwas helles Gelb, ein Hauch Silber. Mit diesen Farben hatte sie soeben zu tun.

Risographie funktioniert nur mit ungestrichenem Papier, also auf Untergründen mit offenen Oberflächen, die Farben hungrig aufnehmen. So entstehen am Ende die supersatten Töne und die Papiere fühlen sich rau an. Dieses etwas Stumpfe ist die neue Wertigkeit, die einst von Hochglanzprodukten ausging. "Seitdem sich Hochglanz extrem billig drucken lässt, hat es seinen Charme verloren", sagt Wellm. Seit einigen Jahren schon sei matt gefragt. Herr & Frau Rio drucken für Firmen, für Theater, für die Gastronomie, für Hochzeiten, jegliche private Anlässe. Die Rios beraten oft und gerne, intensive Vorgespräche gibt es inklusive. Sie sind das einzige Druckstudio für Risographie in München, das neben den eigenen, künstlerischen Arbeiten auch konstant kommerzielle Druckaufträge annimmt.

Mit der Risographie sind satte Farben von zart bis kräftig möglich. Die Kunden können aus einem Farbfächer wählen. (Foto: Robert Haas)
Für jeden Druckvorgang in einer bestimmten Farbe wird eine Farbtrommel in den Risographen eingesetzt. (Foto: Robert Haas)

Sascha Wellm, dunkelblonder Schnauzer, Dutt am Hinterkopf, wollte nie als Designer arbeiten. Der Ideendruck hat ihn schon im Studium belastet. Ein Berufsjahr in einer Agentur machte auch Laura Sirch klar, dass sie zwar kreativ, aber selbstbestimmt ihr Geld verdienen möchte. Und mit Handarbeit. "Unsere Hände sind dazu da, den Augen beim Prüfen zu helfen", sagt Wellm. "Wie poetisch du sein kannst", staunt Sirch. Sie lassen einander ausreden, hören zu, wirken wie perfekte Partner. Die Hände der beiden sind immer in Bewegung: müssen Papier einlegen, die Risographen programmieren, die Abstände vom Rand abmessen, das Material zurechtschneiden und am Ende die Produkte verpacken.

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Über Masterfolien werden die Motive aufs Papier gedruckt. Diese Folien sind wie Schablonen. Wo keine Beschichtung ist, kann die Farbe durchdringen. Sie bestehen aus Hanffasern, umweltfreundlich eben. Anders als etwa bei einem Laserdrucker werden die Farben nicht mit Hitze auf Papier übertragen. "Das spart enorm viel Energie", sagt Wellm. "Das Verfahren verbraucht nur den Bruchteil an Strom im Vergleich zu einer Digitaldruckmaschine." Die Risographie kann deshalb auch schneller und billiger als etwa kopieren sein. 180 Blätter pro Minute kann ein Risograph ausspucken.

Sascha Wellm (rechts) und Laura Sirch sind "Herr und Frau Rio". (Foto: Robert Haas)

Angefangen haben Sirch und Wellm mit einem gebrauchten Gerät, das nur einfarbig drucken konnte. Damals hatten sie auch noch keine eigene Geschäftsadresse, aber sie waren von der Zukunft der Riso-Idee in München überzeugt. Inzwischen stehen im Laden in der Häberlstraße zwei neue weiße Maschinen, die an Profi-Kopierer erinnern und zweifarbig arbeiten können. 31 verschiedene Farbtrommeln haben sie dafür auf Lager. Es sind Farben mit Namen wie "Cornflower", "Light Lime" oder "fluoreszierendes Pink". Bei jedem Druckvorgang müssen die kantigen Kästen gewechselt werden. So bleiben die Farben getrennt. Sie seien extrem lichtbeständig, erklärt Sirch. Die gerahmten Bilder, die an der Wand hängen, leuchten in der Vormittagsonne. Die Rios haben einen Verkaufsraum, ein Besprechungszimmer und einen Arbeitsraum für die Feinarbeit, wo auch zwei Mitarbeiterinnen schneiden, binden, verpacken. Übernommen haben Sirch und Wellm die Räumlichkeiten am Anfang der Pandemie. Davor war hier der Vintage-Möbelladen "Papillon", und davor gab es mal eine Schneiderei. Ganz früher war ein Metzger hier drin. Der hellgraue Fliesenboden erinnert an die Vergangenheit, viele Läden gibt es nicht mehr im Schlachthofviertel, die mit dem blutigen Metier zu tun haben.

Neonfarbverläufe gehen gut

Die Druckmaschinen bei Herr & Frau Rio stehen rechts von der Eingangstür, gegenüber hängen in einem Gestell an der Wand die Postkarten, die sich europaweit gut verkaufen. Etwa 120 Motive. "Die Neonfarbverläufe gehen immer noch so krass", sagt Sirch. Der Trend hält sich schon seit fast drei Jahren. Es ist das Schlichte der Motive, das den Reiz der Risographie-Karten ausmacht. Blumen, Sterne, Tiere, Obst. Oft nur ein- oder zweifarbig. Buntdruck, etwa Farbfotos, auch das geht, bekommt dann diesen gewollt unperfekten, künstlerischen Charakter. "Es gibt kein Projekt, mit dem Du nicht zu uns kommen kannst", schreiben Laura Sirch und Sascha Wellm in ihrer Broschüre. Die Risographie sei eine Nische, aber sie werde immer populärer, sagt Sirch. Die Sichtbarkeit der Technik nimmt zu, ergänzt Wellm. Die Erfinder aus Japan haben inzwischen neben der Riso-Zentrale in Hamburg auch Niederlassungen in Frankfurt und Berlin.

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