SZ-Kolumne "Zwischen Welten":Wechselbad der Gefühle

Lesezeit: 2 min

Emiliia Dieniezhna (Foto: Bernd Schifferdecker)

Unsere Kolumnistin freut sich noch über den Friedensnobelpreis für eine ukrainische Menschenrechtlerin und die Organisation Center for Civil Liberties - da überzieht Russland die Ukraine wieder mit einem Bombenhagel.

Von Emiliia Dieniezhna

Die vergangene Woche war für uns Ukrainerinnen und Ukrainer ein Wechselbad der Gefühle. Erfreulich erlebnisreich genauso wie dramatisch und angsterfüllt. Am Freitag kam die wirklich gute Nachricht, dass Oleksandra Matwijtschuk mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden ist, das hat mich sehr begeistert. Am Samstag dann gab es die große Explosion auf der Krim-Brücke, und wir konnten hoffen, dass der Waffenfluss für die russische Armee ausgebremst wird. Wie viele meiner Landsleute habe ich sogar kurz darüber nachgedacht, die Krim wieder einmal besuchen zu können. Seit der Annexion durch Russland 2014 bin ich nicht mehr dort gewesen. Am Montag folgte eine neue Tragödie. Russland hat meine Heimatstadt Kiew und viele andere Städte mit einem Bombenhagel überzogen. Den ganzen Tag lang habe versucht, meine Freunde und Verwandten zu erreichen, um zu hören, ob sie wohlauf sind.

Das Zentrum Kiews wurde besonders stark beschossen. Die Raketen haben auch meine Uni, die Nationale Taras-Schewtschenko-Universität Kiew, getroffen. Dort habe ich Fremdsprachen studiert und später unterrichtet. Zum Glück wurden nur die Gebäude beschädigt, niemand ist gestorben. Aber der Spielplatz, auf dem ich mit meiner Tochter oft gespielt habe, wurde total zerstört, wie auch das berühmte Museum nebenan, für das ich früher einige Kulturprojekte übernommen hatte.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Niemand von meinen Freunden ist gestorben, niemand wurde verletzt. Dennoch ist der Tod in diesem Krieg immer nah. Eine Bekannte von einer Freundin, eine Kinderonkologin, ist bei den Angriffen ums Leben gekommen. Ihr Sohn Hryhoriy ist jetzt Waisenkind. Und einer von meinen Freunden hielt sich nur ein paar Meter neben einem Auto auf, das in die Luft gesprengt wurde. Viele Bekannte haben den ganzen Tag und die Nacht in einem Bunker oder in einer U-Bahn-Station verbracht. Weil auch Infrastruktur beschädigt wurde, haben fast alle kaum oder wenig Zugang zu Strom, Wasser oder telefonischer Verbindung.

Ich habe viel darüber nachgedacht, dass dieser neue Angriff der Grund dafür ist, warum ich mit meiner Tochter bis jetzt nicht nach Hause zurückgekehrt bin. Viele haben mir gesagt, dass der Alltag inzwischen in Kiew doch wieder recht normal sei. Ich habe trotzdem so etwas erwartet und wollte mein Kind vor solchen Erfahrungen schützen. Es ist mir arg, dass ich recht hatte.

Die Angriffe haben leider die Freude über den Nobelpreis in den Schatten gestellt. Das ist sehr schade, weil diese Organisation wirklich einzigartige Arbeit macht und den Preis absolut verdient hat. Oleksandra Matwijtschuk, die Vorsitzende des Center for Civil Liberties, kenne ich persönlich. Sie ist Mitglied der Geschäftsleitung der NAKO, der Organisation, für die ich arbeite.

Ukrainische Journalistin
:"Ich möchte mein Land den Deutschen näherbringen"

Seit vier Monaten lebt die ukrainische Journalistin Emiliia Dieniezhna in Pullach bei München. Für die SZ wird sie in einer wöchentlichen Kolumne darüber schreiben, wie sie den Krieg in ihrer Heimat von hier aus erlebt.

Von Karin Kampwerth

Seit mehreren Jahren setzt sich Oleksandra für Menschenrechte in der Ukraine ein. Dafür hat sie auch die Initiativen unterstützt, die die Ukraine zu einem korruptionsfreien Staat entwickeln wollen. Oleksandra war eine der letzten Personen, die ich vor meiner Flucht aus der Ukraine gesehen habe. Wir trafen uns bei einer Veranstaltung der ukrainischen Zivilgesellschaft mit einer Delegation aus Großbritannien, die Oleksandra organisiert hatte. Thema waren die Reformen in der Ukraine und das, was gut läuft und was noch nicht funktioniert. Für mich war bei dem Treffen wichtig, dass ich unser Recht auf Leben in den Vordergrund stellen konnte. Um dieses nun zu verteidigen, brauchen wir Waffen. Wie schrecklich ist das? Der russische Angriffskrieg hat aus mir eine Waffen-Aktivistin gemacht.

Im Licht der jüngsten Ereignisse wird Oleksandras Arbeit jetzt noch wichtiger. Ihre Hauptaufgabe ist es, Russlands Kriegsverbrechen zu dokumentieren und Kriegsverbrecher zur Verantwortung zu ziehen. Weil diese Arbeit immens wichtig ist, benötigt sie die Hilfe von mir und meinen vielen Kolleginnen und Kollegen der ukrainischen Zivilgesellschaft. Für mich selbst wird das in der nächsten Zeit die wichtigste Aufgabe sein.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusSZ JetztUkraine
:Wer darf bleiben?

Mary Oluokun ist mit ihrer Familie aus der Ukraine geflohen. Eigentlich hätten sie Anspruch auf Asyl - doch ihre Zukunft in Deutschland ist gefährdet. Über die Ungleichbehandlung von Geflüchteten.

Von Alexander Gutsfeld

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: