Kolumne "Zwischen Welten":Wie Russland Propaganda in Deutschland macht

Lesezeit: 2 min

Weihnachten 2023 wird die frierende Familie den Hamster essen müssen, will das Propaganda-Video dem Zuschauer weismachen. (Foto: Russia Today)

Vor ein paar Tagen erreichte unsere ukrainische Kolumnistin ein Video, das angeblich zeigt, wie man in Deutschland während der Feiertage frieren und die Haustiere der Kinder essen muss.

Von Emiliia Dieniezhna

Ich bin im Donbass aufgewachsen, das ist im Osten der Ukraine, dort, wo Russland genaugenommen den Krieg gegen mein Land vor acht Jahren mit der Annexion der Krim begonnen hat. Das ist auch der Teil der Ukraine, den Russland derzeit vielleicht am meisten attackiert. Früher, vor dem Krieg, sprach man hier oft Russisch und man dachte prorussisch.

In dieser Region war die russische Propaganda immer sehr stark. Inzwischen, nach mehr als zehn Jahren meiner Arbeit im Journalismus und in der Kommunikation, verstehe ich, wie die russische Propaganda funktioniert. Im Donbass hatten wir die Erzählungen verinnerlicht.

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So hatte ich schreckliche Angst vor der Nato, als ich klein war. Wir alle in meinem Umfeld glaubten, dass schwarze Soldaten unsere kleinen Mädchen vergewaltigen werden, falls die Nato in die Ukraine kommen sollte. Jetzt ist es mein größter Wunsch, dass die Ukraine in die Nato aufgenommen wird, weil ich weiß, wie unmöglich und dumm dieses Propaganda-Narrativ war. Aber eben auch effektiv. Es berührte unsere tiefsten Ängste und paralysierte jedes logische Denken. Fast ironisch, dass es die Russen sind, die nun so handeln, wie sie es der Nato immer unterstellt haben.

Inzwischen habe ich viele dieser toxischen Narrative gehört. Zum Beispiel, dass alle, die für Demokratie und prowestliche Prinzipien kämpfen, von George Soros und dem Westen gekauft und bezahlt wurden. Ich als Zivilgesellschaftsaktivistin weiß, wie lächerlich das ist. Aber es gibt viele, die das glauben.

Das Video zeigt einen Hamster, der Strom für die Christbaum-Beleuchtung produzieren muss

Queere Menschen sind noch so ein Beispiel. Man könnte meinen, dass die LGBTQ-Bewegung das größte Problem in der Welt sei, wogegen die russische Armee genauso wie gegen die Nato kämpfen muss.

Vor Kurzem, zu Weihnachten, hat mich hier in Pullach eine neue russische Propaganda-Erzählung erreicht. Eine Freundin aus der Ukraine hat mir das Video geschickt und entsetzt gefragt, ob es in Deutschland wirklich so schlimm sei. Das Weihnachtsvideo des russischen Staatssenders Russia Today (RT) zeigte, wie eine Familie angeblich 2021 und 2022 feierte und was 2023 auf sie zukommen wird. So bekam die Tochter vor einem Jahr einen Hamster geschenkt, die Stimmung war friedlich und fröhlich. Und dieses Weihnachten? Die Familie friert, der Vater bastelt ein Gerät, das Energie produziert, wenn der Hamster in seinem Rad läuft. Damit lässt sich der Christbaum beleuchten. Das Schlimmste aber, so das Video, wartet auf die Familie zu Weihnachten 2023. Es ist extrem kalt in der Wohnung, die Familie hungert und die Mutter soll deshalb den Hamster in der Suppe kochen. Das sollte zeigen, wie schlimm die Folgen der gestiegenen Energie-Preise seien.

Mein erster Gedanke war, dass es sich bei dem Video um Satire handeln könnte. Aber meine Recherche zeigte, dass das Video wohl realistisch ist. Google und Youtube sollen es deshalb auch blockiert haben. Zudem bezogen sich verschiedene Journalisten auf das Video, darunter auch der BBC Journalist Francis Scarr.

Trotz des Verbotes von Russia Today in Europa kann derlei russische Propaganda immer wieder hier greifen, in München, in Pullach, in Deutschland. Mit ein paar technischen Kniffen lässt sich das Verbot leicht umgehen. Und nicht immer ist russische Propaganda so primitiv wie das Weihnachtsvideo. Umso wichtiger ist es auch für uns ukrainische Geflüchtete, kritisch zu denken, um auf der richtigen Seite zu bleiben.

Emiliia Dieniezhna, 34, flüchtete mit ihrer damals vierjährigen Tochter Ewa aus Kiew nach Pullach bei München. Von hier aus arbeitet sie ehrenamtlich für die Nicht-Regierungs-Organisation NAKO, deren Ziel es ist, Korruption in der Ukraine zu bekämpfen. Außerdem unterrichtet sie ukrainische Flüchtlingskinder in Deutsch. Für die SZ schreibt sie einmal wöchentlich eine Kolumne über ihren Blick von München aus auf die Ereignisse in ihrer Heimat.

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