Pro Wiesn-Hits:Ein Prosit den immergleichen Wiesn-Liedern!

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Es sind nicht die Perlen der Musikgeschichte, die im Bierzelt gespielt werden. Aber sie schaffen es, innerhalb kurzer Zeit Stimmung zu machen. (Foto: Getty Images)

Es ist kein Zufall, dass viele Songs seit Jahren auf dem Oktoberfest gespielt werden: Sie schaffen es, innerhalb kurzer Zeit Stimmung im Bierzelt zu machen.

Kommentar von Isabel Bernstein

Seien wir doch ehrlich: Wer in ein Wiesn-Zelt geht, will nicht mit musikalischen Experimenten belästigt werden. Der will in Ruhe trinken, feiern und Spaß haben, und dazu gehören auch Lieder, die jeder kennt oder zumindest nach ein paar Takten mitgrölen kann. Sicher, es sind nicht die Perlen der Musikgeschichte, die gespielt werden. Aber sie schaffen es, innerhalb kurzer Zeit Stimmung zu machen. Und das ist auf einem riesigen Volksfest wie der Wiesn ihre Aufgabe.

Der gemeine Oktoberfest-Besucher ist im Prinzip ein eher genügsames Wesen. Er liebt das Vertraute, hält sich bevorzugt im bierdunstgeschwängerten Zelt seiner Wahl auf, wo er sich von Hendl und literweise Bier ernährt. Er ist gesellig, stößt gerne mit wildfremden Menschen an und hat nach ein paar Stunden so viele neue Freunde gefunden, dass er ihre Namen schon gar nicht mehr kennt.

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Er ist leidensfähig und nimmt die gelegentliche Begegnung mit den Gestalten des "Kotzhügels" in Kauf. Sobald die Blaskapelle die ersten Töne schmettert, steht er mit dem Krug in der Hand auf der Bierbank und grölt mit. Er kennt sie alle: DJ Ötzis "Ein Stern, der deinen Namen trägt", Andreas Gabaliers "Hulapalu" genauso wie Mickie Krauses "Schatzi, schenk mir ein Foto", er zeigt sich bei "Z'ruck zu dir" von Nickerbocke & Biene ebenso textsicher wie bei "Joana" von Peter Wackel, er kann die Choreografie vom "Fliegerlied" tanzen, von "Cowboy und Indianer" und die von "Das rote Pferd" sowieso.

Der Kritiker mag fragen: Wie kann ein erwachsener Mensch nur zu so was abtanzen? Allein schon die Titel, dann noch diese albernen Tänze und diese banalen Texte ... Er übersieht: Im Wiesn-Zelt will der Besucher sich amüsieren, sich selbst nicht zu ernst nehmen, vor allem sucht er nicht danach, hier seinen musikalischen Horizont zu erweitern. Ja, viele Lieder werden seit Jahren auf dem Oktoberfest gespielt, aber aus gutem Grund. Die Wiesn-Hits schaffen es, alle mitzunehmen: den Oktoberfest-Neuling, der die Strophen schon nach den ersten Takten mitsingen kann, den Gelegenheitsgast, der das letzte Mal vor x Jahren im Zelt war, die Lieder aber noch von früher auswendig kennt, den treuen Wiesn-Besucher mit seinen neuen Freunden, die Arm in Arm "Atemlos durch die Nacht" singen. Sie schaffen das eben gerade, weil die Lieder in der Regel bekannt, die Texte leicht zu merken und die Melodien eingängig sind. Dieser Wiedererkennungseffekt macht einen Teil der Wiesn aus.

Wer das Oktoberfest zum Experimentierfeld für junge, unbekannte Münchner Bands jenseits der ausgetretenen Mainstream-Pfade machen möchte, riskiert, dass der Effekt so ist wie bei einer mittelmäßigen Vorband auf einem Konzert: dass die Leute mit den ihn völlig unbekannten Liedern nichts anfangen können, dazu nicht tanzen, auch nicht mitsingen können und nur darauf warten, dass hoffentlich bald die richtige Musik gespielt wird.

Die Stimmung im Bierzelt lebt davon, dass die Besucher mit der Musik mitgehen. Es wird immer welche geben, die die Lieder grauenvoll finden und sich mehr Überraschendes, Abseitiges wünschen. Das sollten sie aber lieber auf Konzerten und Open-Airs suchen.

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