Polizei:Die Hürden sind hoch: Fahndungen in der Öffentlichkeit

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  • Nur in ganz besonderen Fällen darf die Polizei öffentlich nach Verdächtigen fahnden.
  • Im Fall der ermordeten Aline K. aus Neuperlach Süd gab ein ehemaliger Mitschüler des Lebensgefährtens den entscheidenden Tipp.
  • Einige Experten halten zu häufige Fahndungsaufrufe trotzdem für bedenktlich.

Von Susi Wimmer

Es dauerte keinen halben Tag, da standen die Täter bei der Polizei und stellten sich selbst. Der Fahndungsdruck war ihnen einfach zu viel geworden: Auf fast jedem Zeitungskasten prangte ihr Foto. Am Dienstag hatte die Bundespolizei die Bilder an die Medien gegeben, sie zeigten das Trio gut erkennbar, das in der S-Bahn einen Münchner geschlagen und getreten haben soll.

Auch im Fall der ermordeten und vermissten Aline K. gab ein Richter Fotos von Opfer und mutmaßlichem Täter sowie die vollen Namen frei. Mit dem Erfolg, dass am Montag die Leiche der 30-Jährigen gefunden werden konnte. Trotz der guten Erfolgsaussichten hat der Gesetzgeber die Latte für die Erlaubnis einer Öffentlichkeitsfahndung hoch gelegt.

Ermittlungen zu Aline K.
:Datenspur führt zum Mörder

Ständige Überwachung ist bei Handys ein Grundprinzip. Im Fall der in München ermordeten Aline K. halfen der Polizei vor allem zwei Mobiltelefone weiter.

Von Helmut Martin-Jung, Stefan Simon und Susi Wimmer

"Denn wenn jemand zu Unrecht verdächtigt und an den Pranger gestellt wird in Zeitungen und im Internet, bekommt der in Zukunft keinen Fuß mehr auf den Boden", sagt der Datenschutzbeauftragte Thomas Petri.

Die drei Männer, die bereits Anfang Juli in der S-Bahn gepöbelt, geprügelt und getreten hatten, leben in Giesing und Ramersdorf. Sie kamen an jenem Abend von einer Familienfeier. Kein Wunder, dass sie sich freiwillig stellten. Die Geschichte ging durch alle Printmedien, durch das Internet. "Die Bilder waren gut und die Männer sind in München durch Beruf und Familie eingebunden", sagt Wolfgang Hauner, Sprecher der Bundespolizei.

Schlägerei in Mittersendling noch nicht geklärt

Anders als bei einem Fall in Mittersendling zur Wiesnzeit. Das Fahndungsfoto des Schlägers war auch gut, aber offenbar ist der Mann in München wenig bekannt, seine Identität ist bis dato nicht geklärt. Auch der Mann, der am 8. Oktober vor dem Sunshine-Pub zutrat, ist noch nicht identifiziert.

Es gibt Gründe, warum Öffentlichkeitsfahndungen oft sehr spät zum Zug kommen. In der Strafprozessordnung gilt dieses Fahndungsmittel als Ultima Ratio. "Der Gesetzgeber will, dass zunächst alle anderen Mittel ausgeschöpft werden wie Zeugenbefragungen, Spurensicherung und ähnliches", sagt Oberstaatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch. Erst wenn die Ermittler nicht mehr weiter oder zu langsam vorwärts kommen, kann die Staatsanwaltschaft einen Beschluss zur Öffentlichkeitsfahndung erwirken, den ein Richter absegnen muss.

Mordfall Aline K.
:Abgeladen auf dem Spielplatz

Bei der Toten in Langwied handelt es sich nun sicher um Aline K. In der Umgebung des Fundortes kannte sich der unter Mordverdacht stehende Lebensgefährte bestens aus.

Von Susi Wimmer

"Je schlimmer die Tat, desto früher können wir so einen Beschluss beantragen", sagt der Oberstaatsanwalt. Die Fahndung sei ein erheblicher Eingriff in die Persönlichkeitsrechte, für einen Beschuldigten gelte bis zu einem rechtskräftigen Urteil die Unschuldsvermutung.

Wenn es um Mord geht, können die Behörden noch offensiver vorgehen, wie im Fall von Aline K. Laut den Ermittlungen war sie von ihrem Lebensgefährten getötet worden, er saß in Untersuchungshaft und schwieg. Wohin er die Leiche der 30-Jährigen gebracht hatte, war unklar. Also ging die Polizei vergangene Woche mit Fotos und vollem Namen vom mutmaßlichen Täter und Opfer an die Öffentlichkeit.

"Das hat unsere Chancen schon sehr, sehr stark erhöht, die Leiche zu finden", sagt Thomas Baumann, Pressesprecher der Münchner Polizei. Und tatsächlich erinnerte sich ein ehemaliger Bekannter des mutmaßlichen Täters, dass sie als Kinder ein kleines Wäldchen und einen eingefallenen Keller als Abenteuerspielplatz genutzt hatten.

Er meldete sich bei der Polizei, vergangenen Montag entdeckte eine Beamtin der Mordkommission dort die Leiche der Vermissten.

Gute Aufnahmen an Bahnhöfen und in den S-Bahnen

"Es kommt darauf an, wie gut das Fahndungsfoto ist, ob es ein öffentlich herausragender Fall ist und wie schwer oder brutal die Tat war", sagt Bundespolizist Wolfgang Hauner. Gerade am Hauptbahnhof und in den S-Bahnen liefern die Überwachungskameras technisch einwandfreie Bilder.

"Die helfen uns auch oft, Aussagen von Zeugen zu überprüfen", sagt er. Da gab es etwa einen Mann, der am S-Bahnhof einen Kontrahenten geprügelt hatte und regelrecht auf ihn draufgesprungen war. Als sie den Täter ausfindig gemacht hatten, war der total perplex und erklärte, mit der Sache nichts zu tun zu haben. Als ihm die Beamten die Fotos vorlegten, sei er geschockt gewesen.

"Der hatte das wohl verdrängt", meint Hauner. Und der Lokführer, der angegeben hatte, eingegriffen und die Männer getrennt zu haben, "der stand auf dem Video völlig regungslos neben seiner Fahrerkabine".

"Ja", sagt Oberstaatsanwalt Steinkraus-Koch, durch die Kameras in U- und S-Bahnen und an Bankomaten nehme die Zahl der Öffentlichkeitsfahndungen zu. "Wir müssen aufpassen, dass wir das nicht zu inflationär verwenden, sonst sind die Leute übersättigt." Der Datenschutzbeauftragte Thomas Petri warnt vor "Kollateralschäden" und erinnert an das Youtube-Video von einem Mädchen, das lachend Hundewelpen in einem Fluss ertränkt.

Die Internet-Community war der Meinung, es handle sich um ein Mädchen aus Oberbayern. Sie erhielt Morddrohungen, litt unter Angstzuständen und musste unter Polizeischutz gestellt werden. In Wahrheit war das Video in Osteuropa gedreht worden. "Leider", sagt Petri, "sieht das Gesetz bis jetzt keine Wiedergutmachungserklärung vor, um einen zu Unrecht Verdächtigten zu rehabilitieren."

© SZ vom 05.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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