Wiesn und sexuelle Übergriffe:Männer, redet halt mit den Frauen!

Lesezeit: 3 min

Männer und Frauen auf dem Oktoberfest: Es könnte so einfach sein. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Grapschen ist strafbar, darunter leiden auf dem Oktoberfest nun vor allem die Männer. Das behauptet eine Fernsehsendung. #Metoo hat anscheinend bislang wenig verändert. Dabei wäre es so einfach.

Kommentar von Elisa Britzelmeier

Mann fotografiert Wiesnbesucherin unter den Rock. Zwei Männer halten Frau fest - einer greift ihr in den Intimbereich. Studentin wird unterkühlt im Gebüsch gefunden, Polizei geht von einer Vergewaltigung aus. So lauten ein paar der Meldungen, die in den ersten Tagen des diesjährigen Oktoberfests veröffentlicht wurden.

Es sind extreme Fälle, aber sie sind ein Ausschnitt aus der Realität, die wohl die allermeisten Frauen kennen, die schon einmal auf dem Oktoberfest waren. So sicher es ist, dass die Stimmung von Stunde zu Stunde besser wird, so wahrscheinlich ist es, dass man blöde Sprüche hört. Dass man nervige Gesprächspartner nicht mehr los wird. Und oft: dass man von irgendwo eine Hand an Stellen bekommt, an denen man sie nicht haben möchte.

Sexuelle Übergriffe
:Und plötzlich ist da diese fremde Hand am Po

Fast jede Wiesn-Besucherin weiß, wie sich Belästigung anfühlt. Doch die wenigsten gehen zur Polizei - weil die Übergriffe längst normal sind.

Von Elisa Britzelmeier

Daran hat die #Metoo-Debatte wenig geändert. Und auch nicht die Verschärfung des Sexualstrafrechts im Jahr 2016, durch die das sogenannte Grapschen strafbar wurde. Natürlich, es wurden mehr Fälle gemeldet, auch weil die Aufmerksamkeit größer ist. Umso merkwürdiger wirkt es da, wie das Sat.1-Frühstücksfernsehen das Thema "Oktoberfest und Grapschen" diskutiert.

Die Metoo-Debatte und die Verschärfung des Sexualstrafrechts könnten das Oktoberfest "gefährlich" machen, heißt es da von Moderator Chris Wackert zur Einleitung. Hoppla, ging es nicht eher um Schutz als um Gefahr? Befragt wird dann ausgerechnet der Anwalt Alexander Stevens, der sich auf die Verteidigung mutmaßlicher Sexualstraftäter spezialisiert hat. Er stilisiert sich zum Aktivisten in Sachen Männerschutz, stellt in Interviews und in einem Buch das Thema falsche Verdächtigung in den Mittelpunkt.

Unter der Schlagzeile "Wenn die Angst mitfeiert" reden nun also zwei Männer - nicht über die Angst vor Übergriffen, sondern die Angst davor, Opfer falscher Anschuldigungen zu werden. Fragt man die durchschnittliche Wiesnbesucherin, weiß man aber: Da liegt das Problem nun wirklich nicht. Und dann geht es munter dahin, mit haarsträubenden Sätzen. Als großes Problem wird wahrgenommen, dass man sich gar nicht mehr traue, "vernünftig zu flirten", wie es der Moderator nennt. Schönen Gruß von uns Frauen: Wir lachen laut.

Vollkommen zurecht bekommt die Sendung dafür einen Shitstorm ab. Moderator Chris Wackert hat sich inzwischen entschuldigt, die Kritik sei "angekommen". Mittlerweile hat die Redaktion die Sendung auch offline genommen. Doch es ist ja nicht nur eine Sendung, in der zwei Männer vergessen, Frauen mitreden zu lassen - obwohl es doch um sie geht. Die Frage an die Frauen kommt nur in Form eines Einspielers, im Studio sitzen dürfen sie nicht. Warum reden Männer mit anderen Männern über Belästigung - aber nach wie vor viel zu selten mit Frauen?

Gerade zur Wiesn böte sich das doch an. Auf dem Hinweg, auf dem Heimweg, am Tag danach, zur Not auch auf der Bierbank, wenn man noch stehen kann: Männer, redet halt mit Frauen! Mit den Frauen, die ihr kennt, mit denen ihr zusammen seid, befreundet seid, verwandt, mit denen ihr eben auf die Wiesn geht. Fragt doch mal nach, was sie erlebt haben. Was sie als netten Flirt empfinden und was nicht. Ob sie wollen, dass man den nervigen Laberer da vom Nachbartisch mal ordentlich zusammenstaucht.

Natürlich gilt das Gesprächsangebot auch andersherum. Dann kommt man vielleicht mal zum Kern der Dinge. In der Wiesn-Umfrage bei Sat.1 klingt es so, als ob Frauen sich entschuldigen müssten, dass ihnen Belästigung unangenehm ist. Warum ist das so? Was tut man, damit sich alle gleich wohl fühlen, trinken, feiern, Spaß haben, flirten? Das sind doch die Dinge, über die man in Wirklichkeit reden müsste.

Wann ist Flirten in Ordnung? Der Fall ist an sich klar

Offenbar bildet die Sendung ein Selbstverständnis ab, das es immer noch gibt. Männer begrapschen Frauen, weil sie es halt können. Auf der Wiesn meinen viele, sie könnten es erst recht - schließlich hat man ja den Alkohol als Entschuldigung.

Flirten - es ist traurig, dass das immer noch immer wieder gesagt werden muss - ist dann in Ordnung, wenn zwei Menschen mitmachen. Natürlich muss dazu jemand den ersten Schritt machen, und ja, oft wird das nach wie vor von Männern erwartet. Aber wer glaubt allen Ernstes, so ein Griff an den Po käme gut an als Eisbrecher?

Die meisten Männer, das muss auch gesagt werden, wissen das sowieso. Aber falls es doch Zweifel geben sollte: Lasst uns reden. Gern bei einer Mass.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Oktoberfest
:Nirgendwo liegen Knutschen und Kotzen so nah beieinander

Das Hofbräuzelt auf der Wiesn ist das Epizentrum der Eskalation. Die Party ist ekelhaft und abstoßend, aber auch weltoffen und mitreißend.

Von Benjamin Emonts

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: