Zwei Themen sind es, die Wiesn-Besucher in der mehr als 200-jährigen Geschichte des Oktoberfests immer wieder umgetrieben haben: das - miese - Wetter und die - natürlich viel zu hohen - Preise. Was das Wetter angeht, dürfte es auch zum Auftakt in diesem Jahr Grund zum Jammern geben. Der Deutsche Wetterdienst warnt vor dem Durchzug einer Kaltfront, die höchstens elf Grad, Windböen und wohl auch Schauer bringt. Ein Meteorologe rät deshalb zu "Funktionskleidung statt Mieder" oder zumindest Funktionskleidung über Mieder - beides könnte die Laune der Trachtenfreunde etwas dämpfen.
Doch vielleicht tröstet da der Blick in die Vergangenheit: Denn auch das Oktoberfest im Jahr 1922 begann unter widrigen Umständen. "Der erste Wiesentag war total verregnet. Wege und Stege waren schier unpassierbar, bis zu den Knöcheln mußte man in Wasser und Schmutz waten", hieß es vor 100 Jahren in der Presse. Heute kann man immerhin größtenteils über Asphalt rutschen.
Meinung Oktoberfest und Corona:Die größte Verbrüderung gegen die Wirklichkeit
Die Wiesn ist ein Superspreading-Event mit Ansage. Ein jeder Besucher ahnt das, und trotzdem werden Millionen mitmachen. Warum?
Auch was die Preise angeht, scheinen die Sorgen im Vergleich zu 1922 moderat. Die fielen in den 1920er-Jahren mit der beginnenden Hyperinflation deutlich bedenklicher aus als heute. 50 Mark kostete die Wiesn-Mass, 500 Mark ein Hendl. Und 60 bis 300 Mark mussten die Besucher für einen Steckerlfisch blechen - "eine Summe, von der ein Kleinrentner oder eine Kriegerswitwe vielleicht eine Woche lang leben müssen", gab damals eine Zeitung zu bedenken. Wobei der Journalist trotzdem beobachten konnte: "Man schimpfte über die hohen Preise, aber man trank."
Die Schausteller streikten 1922 wegen zu hoher Vergnügungssteuer
Doch viel anderes blieb den Oktoberfest-Besuchern vor 100 Jahren auch nicht übrig. Zu schlechtem Wetter und hohen Kosten kam nämlich noch weiterer Ärger hinzu: der womöglich einzige Streik, den es auf der Wiesn je gegeben hat. Wegen der ihrer Ansicht nach zu hohen Vergnügungssteuer verweigerten die Schausteller die Arbeit, Buden und Fahrgeschäfte blieben zu und zwar fast drei Tage lang. Erst nach mehreren Verhandlungsrunden einigten sich die Betreiber mit der Stadt auf einen Steuersatz von 15 Prozent auf den Ticketverkauf - und der Fahrspaß konnte endlich losgehen.
Um Viren scheint man sich vor 100 Jahren nicht geschert zu haben, auch wenn die Spanische Grippe noch nicht allzu lang her war. Dass das Oktoberfest kein Naturgesetz ist, sondern auch mal ausfallen kann - das wussten die Menschen 1922 nur wenige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg allerdings auch. Was sie noch nicht wussten: Dass das Volksfest schon 1923 wieder der gigantischen Inflation zum Opfer fallen würde. Da kann man nur froh sein, wenn das größte Problem ein paar Tropfen vom Himmel sind.