Geschichte:München ist eine Stadt der Einwanderer

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Dimitri Soulas, Ankunft am Münchner Hauptbahnhof 1968. (Foto: Münchner Stadtmuseum)
  • Das Münchner Stadtmuseum will die Geschichte von München aus der Perspektive von Migranten erzählen.
  • Seit dem Zweiten Weltkrieg kamen viele Ausländer in die Stadt - seien es sogenannte Displaced Persons, Gastarbeiter oder Flüchtlinge.
  • Heute haben in München mehr als 40 Prozent der Einwohner einen Migrationshintergrund.

Von Christina Hertel

Als Vera Rimski am 8. März 1972 am Münchner Hauptbahnhof ankommt, wartet Josef Stingl mit einem Strauß Blumen in der Hand am Gleis. Sie ist 19 Jahre alt, er 53. Sie ist schlank, hat schwarze Locken, spricht kaum ein Wort Deutsch. Er ist der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, trägt Krawatte und Jackett. In ihrem Koffer steckt ein Arbeitsvertrag bei Siemens, er hat einen tragbaren Fernseher dabei - in der Hoffnung sie könne damit leichter "in die Geheimnisse der schwierigen deutschen Sprache eindringen", wie er später der Süddeutschen Zeitung sagte.

Stingl brachte Geschenke mit, beorderte Fotografen, Journalisten und Politiker herbei, weil es etwas zu feiern gab: Vera Rimski aus Belgrad war die "zweimillionste Jubiläumsgastarbeiterin", die 1972 in Deutschland ankam.

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Geschichten wie diese haben vier Mitarbeiter des Münchner Stadtmuseums und des Stadtarchivs in den vergangenen drei Jahren gesammelt. Sie wollen die Stadtgeschichte aus einer anderen Perspektive erzählen - nämlich aus der von Migranten. Von Menschen aus der Türkei, dem ehemaligen Jugoslawien, Italien und Griechenland, die in den Sechziger- und Siebzigerjahren als Gastarbeiter nach München kamen, die U-Bahnen, das Olympiazentrum und Stadtteile wie Neuperlach oder das Hasenbergl mitaufbauten. Von Männern und Frauen, die in den Neunzigerjahren aus den Balkanländern flohen. Und von Flüchtlingen aus Syrien, Afrika und Afghanistan, die 20 Jahre später in Booten über das Mittelmeer nach Europa kamen.

Um diese Geschichten für das Projekt "Migration bewegt die Stadt" zu sammeln, sprachen Hannah Maischein und Simon Goeke vom Stadtmuseum mit rund 300 Menschen in ausländischen Kulturvereinen, Begegnungsstätten, Hilfsorganisationen. Und Philip Zölls und Vivienne Marquart vom Stadtarchiv suchten in Speichern, Kellern und Büros nach Akten, die Migration in München dokumentieren. Entstanden sind aus all dem ein 250 Seiten dickes Buch und eine Ausstellung im Münchner Stadtmuseum, die an diesen Donnerstag, 20. September, startet. In der Dauerausstellung "Typisch München" sind nun an mehreren Stellen Exponate zu sehen, die zeigen sollen, wie sehr Migranten die Stadt geprägt haben. Zum Beispiel ein Brautkleid, das ein türkischer Gastarbeiter 1968 seiner Verlobten aus München mitbrachte. Und ein Essenspaket, das Flüchtlinge 2014 in der Bayernkaserne, Münchens Erstaufnahmeeinrichtung, erhielten: Toast, Bohnen-, Mandarinen- und Maisdosen, Eistee und fettarme Milch in einer Plastikkiste. Die meisten gesammelten Objekte allerdings sind nicht in der Ausstellung zu sehen, sondern werden im Depot des Museums archiviert.

Der Fokus des Projekts liegt auf der Migration nach 1945 - auch wenn schon früher Ausländer nach München kamen, etwa die Italiener, die Ende des 19. Jahrhunderts in den Ziegeleien arbeiteten. Nach dem Zweiten Weltkrieg war München für ehemalige Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge, sogenannte Displaced Persons, die wichtigste Stadt Deutschlands. Sie lebten in 20 Lagern in der Region, bis sie Ende der Vierzigerjahre häufig nach Israel oder Kanada emigrierten. Die meisten Migranten kamen später, in der Zeit des Wirtschaftswachstums während der Fünfziger- und Sechzigerjahre, als die Bundesrepublik mit neun Ländern Anwerbeabkommen geschlossen hatte. Ihre Züge hielten am Gleis 11 am Münchner Hauptbahnhof - so wie rund 50 Jahre später die der Flüchtlinge.

Heute leben in München 400 000 Menschen mit ausländischem Pass und 200 000 weitere, die einen Migrationshintergrund haben. Sie alle machen mehr als 40 Prozent der Einwohner aus. "Bei München denken die Menschen immer zuerst an das Oktoberfest, Tracht und Bier", sagt Simon Goeke vom Stadtmuseum. Dabei gehöre München zu den Städten in Deutschland mit dem höchsten Migrationsanteil. Schon 1972 stellte der damalige Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel fest: "München ist eine Einwanderungsstadt. Auch wenn es viele erschrecken mag."

Die Ausstellung "Migration bewegt die Stadt" eröffnet am Donnerstag, 20. September, um 19 Uhr im Münchner Stadtmuseum. Bis 29. Dezember 2019 hat sie dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet.

© SZ vom 20.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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