Neue Heimat:In Nigeria geht man als Richter nicht ohne Polizeieskorte Eis essen

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Im Vergleich zu Nigeria ist in Deutschland ein Gerichtssaal ein sehr sicherer Ort. (Foto: Uli Deck/dpa)

Unser Autor war für einen halben Tag in einem deutschen Amtsgericht. Und wundert sich, dass man hier in diesem Beruf nicht um sein Leben fürchten muss.

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Der Mann fiel mir auf, weil er seinen Eisbecher mit einer selten dagewesenen Gelassenheit bearbeitete. Er hielt den Becher in der einen Hand und den Löffel in der andern. Mit einer Seelenruhe saß er da, schaute den Leuten in der Ebersberger Einkaufszone beim Flanieren zu, und ließ es sich schmecken. Er sah aus wie ein ganz normaler Mann, der gerade seinen ganz normalen Feierabend genießt.

Und dann erinnerte ich mich plötzlich: Ich hatte dieses Gesicht doch schon einmal gesehen. Und zwar auf dem Richterstuhl des Ebersberger Amtsgerichts, unweit des Cafés mit dem kühlen Eis. Aber wie konnte ein Richter so entspannt und furchtlos mitten im Ort sitzen und Eis schnabulieren? Vielleicht hat er den Job gewechselt, dachte ich mir. So ein Eisbecher-Leben kann ein Richter doch kaum führen. Zumindest nicht, wenn ihm sein Dasein lieb ist. Oder doch?

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Um meine These zu überprüfen, begab ich mich an diesem Mittwoch zum zweiten Mal ins Amtsgericht, mitten in Ebersberg, dem Ort, in dem ich seit knapp zwei Jahren wohne. Hinter der Eingangstür erwartete mich der Polizei-Checkpoint, grimmig dreinschauende Beamte tasteten mich ab und durchwühlten meine Tasche. Mir lief ein Schauer runter, es fühlte sich kurz so an, als würde ich hier für einen Verdächtigen gehalten, der gleich auf der Anklagebank Platz nimmt.

Dann ließen sie mich aber doch noch durch. Im Gerichtssaal war es so leise, man hätte eine Nadel fallen hören. Und dann sah ich ihn, den Mann, den ich Tags zuvor noch vor seinem Eisbecher beobachtet hatte. Kein Jobwechsel also, das brachte mich ins Grübeln. In Nigeria ist es höchst ungewöhnlich, dass ein Mann seines Kalibers völlig unbeirrt und unbewacht in einem Café einer Shopping-Meile sitzt, ganz ohne Polizeieskorte.

Doch auch hier im Gerichtssaal wirkte der Richter alles andere als ängstlich. Nicht so, als müsse er jeden Moment mit einem Wurfgeschoss oder Beschimpfungen aus dem Zuschauerbereich rechnen. So etwas kommt in Nigeria schon einmal vor, nicht ständig, aber immer mal wieder. In meiner neuen Heimat geht es da aber ganz offensichtlich deutlich entspannter zu. Hier, wo die Augen der Polizei offensichtlich genug sehen, dass sich sogar ein Richter nach Feierabend sicher fühlen kann.

Ein Amtsrichter ist hier so frei wie die Luft

Es muss ein schönes Richterleben sein in Bayern. Ein Amtsrichter ist hier so frei wie die Luft, er kann durch die Straßen gehen, muss keine Stadtviertel meiden und nie Angst haben, dass ihn jemand von hinten überfällt und erwürgt. Er muss nicht auf die Forderungen von schlitzohrigen Politikern oder anderen Kriminellen eingehen, die ganz unbekümmert Bestechungsgelder in die Gerichtssäle schmuggeln. Harte Währung, um einem harten Urteil zu entgehen.

Während der Prozess in Ebersberg lief, schimpfte niemand laut vor sich hin. Es wurden Zeugen vernommen, einer nach dem anderen, es ging von früh morgens bis in die Nachmittagsstunden - und auch dann war immer noch lange kein Urteil gefällt. Sonderlich spannend ist das nicht, aber es bleibt doch der Eindruck, dass am Ende wohl der gewinnen wird, der im Recht ist.

Den Anwälten in meiner früheren Heimat sagt man hingegen nach, dass sie Meeresfische davon überzeugen können, Salzwasser zu kaufen. Ich mache ihnen keinen Vorwurf, jeder muss schauen, wo er bleibt. Mein Onkel sagte einmal: Der Gerichtshof ist wie ein übergroßer Gockelhahn, nur dass er keine Körner verschluckt, sondern Geld. Wo ich herkomme, versuchen wir deshalb, Streitigkeiten untereinander ganz ohne Juristen zu regeln, was manchmal besser endet, manchmal schlechter. Jedenfalls nie mit einem Eisbecher.

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

© SZ vom 14.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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