"Wir kommen wieder!" steht auf der Postkarte. Auf der anderen Seite ein lachender Adolf Hitler in Uniform, Hand am Gürtel, Blick nach rechts. 70 Jahre ist es her, dass ein Münchner diese anonyme Drohung bekommen hat. Zufall war es nicht - der Absender wusste genau, wem er die Karte in den Postkasten warf, nicht einmal drei Jahre nach der Befreiung von Auschwitz. Der Empfänger hatte einen jüdischen Elternteil.
Siebzig Jahre später. "Du dreckige Nestbeschmutzerin!!!" steht auf den anonymen Drohbriefen, die drei Münchnerinnen im Januar in ihren Briefkästen finden. Die Absender wissen genau, wem sie da schreiben. Die drei Mütter leben mit Partnern zusammen, die der Absender des Briefs für "Ausländer" hält. Die Drohung ist konkret. Eines Tages, kündigt der Briefeschreiber an, werde ihr Kind weg sein - und niemand werde ihr helfen. Denn: "Deutschland den Deutschen". Die Polizei hat die Ermittlungen inzwischen eingestellt.
"Nie wieder!" ist auf dem Mahnmal in der KZ-Gedenkstätte Dachau zu lesen - der Schwur der befreiten Häftlinge von Buchenwald. Doch schon im Jahr nach Kriegsende mussten manche Münchner entsetzt erkennen: Es passiert "schon wieder". Nazis legten am 9. November 1946 einen Kranz an den - damals noch intakten - "Ehrentempeln" der NS-Bewegung in der Arcisstraße nieder. "Und ihr habt doch gesiegt", stand auf der Papierschleife. 70 Jahre ist es her, dass die Tempel gesprengt wurden.
Und nur ein paar Schritte weiter zeigt das NS-Dokumentationszentrum von Mittwoch an eine Sonderausstellung, die das Begriffspaar "Nie wieder" und "Schon wieder" um die Erkenntnis erweitert: "Immer noch". Die Geschichte des Rechtsextremismus, des Rechtsradikalismus und des Rechtspopulismus in Deutschland seit 1945 zeigt das Haus als Ergänzung zu seiner Dauerausstellung, die mit einem "Newsticker" rechtsextremer und antisemitischer Vorfälle endet.
Ein "Lernort" soll das NS-Dokumentationszentrum sein. "Wir machen es rational", sagt Direktor Winfried Nerdinger, "aber wir haben eine Message: das kritische Nachdenken." Deswegen dürfe das Haus, das allein in diesem Jahr von rund 1300 Schulklassen besucht wurde, nicht so tun, als ob Rassismus, Rechtsextremismus und völkisches Denken mit dem Ende der NS-Diktatur verschwunden wären.
Antidemokratische Einstellung, Menschenverachtung und rechte Gewalt durchziehen nach Nerdingers Überzeugung die Geschichte der Bundesrepublik. Ein Blick auf den Zeitstrahl, der durch den ersten Teil der Ausstellung führt, demonstriert das eindrücklich. "Es ist erschreckend, wenn man das so geballt sieht", sagt Nerdinger. Erschreckend. Und lehrreich.
"Ich versichere Ihnen, daß ich kein Nazi war, aber . . .", schreibt ein Mann, der sich "Adolf Bleibtreu" nennt, im August 1949. Um im selben Atemzug Juden als "Blutsauger" zu titulieren und den "Amis" das Bedauern darüber in den Mund zu legen, "daß wir nicht alle vergast haben". Die antisemitische Hetze wurde damals veröffentlicht - als Leserbrief in der Süddeutschen Zeitung.
Die Redaktion hatte lediglich die fiktive Adresse "Palästinastraße 33" in "Palestrinastraße" geändert. Rund 1000 jüdische NS-Verfolgte protestierten am Tag nach der Veröffentlichung in der Möhlstraße. Doch sie blieben allein. Der Aufschrei über die Veröffentlichung beschränkte sich auf die internationale Presse.
Die Grauzone zwischen Brandstiftern und Biedermännern
Rund 15 bis 18 Prozent "unverbesserliche Nationalsozialisten" schätzte die US-Militärregierung nach Meinungsumfragen zwischen 1945 und 1949 in der amerikanischen Zone. Und heute? "Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert", findet laut einer Studie von 2016 jeder zehnte Deutsche. "Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert", sagen sogar mehr als 20 Prozent. "Wer ,Rechts' auf eine ,Szene' reduziert, vernachlässigt den Blick auf die Grauzone zwischen Brandstiftern und Biedermännern", hat der Zeitzeuge Max Mannheimer 2001 in Dachau gesagt. Die Mahnung steht am Beginn des Rundgangs.
Es ist das große Verdienst der Münchner Ausstellung, diese Grauzone aufzuhellen. Und so treten auch vermeintliche Biedermänner auf, nicht nur die Brandstifter. "Der Münchner NPD-Politiker Karl Richter, der unverhohlene Kontakte zu verurteilten Rechtsterroristen wie Karl-Heinz Statzberger unterhält, trat bereits wiederholt als Redner bei den Münchner Pegida-Veranstaltungen auf", heißt es auf einer der letzten Stationen des Zeitstrahls.
Michael Stürzenberger, Thilo Sarrazin, Petr Bystron werden in der Ausstellung genannt und gezeigt, ihre Positionen kritisiert. Doch Nerdinger und die Ausstellungsmacher, zu denen neben Historikern wie Dirk Riedel und Ulla-Britta Vollhardt auch Miriam Heigl von der städtischen Fachstelle für Demokratie, Marcus Buschmüller vom Aida-Archiv und der Journalist Ulrich Chaussy gehören, schauen genau hin, und das heißt auch: differenziert. Rechtspopulismus ist nicht Rechtsextremismus, das wird gleich zu Beginn der Ausstellung deutlich gemacht.
Verschwiegen wird aber genauso wenig, aus welchen Quellen sich Biedermänner wie Brandstifter gleichermaßen bedienen. Zehn Begriffe haben die Ausstellungsmacher ausfindig gemacht, um die es in rechten Bewegungen geht. Wie in einem Kaleidoskop werden diese Ideologie-Versatzstücke immer wieder neu kombiniert und aufeinander bezogen. Und wie in einem Kaleidoskop kann der Besucher der Ausstellung nachvollziehen, wohin die Vorstellung von der Ungleichheit von Menschen und Völkern führt.
Immer neu gruppieren sich beim Gang durch das Kaleidoskop aus dreieckigen Stelen Elemente des Nationalchauvinismus, des antidemokratischen Denkens, des Geschichtsrevisionismus und des Antisemitismus, aber auch der rassistischen Hetze gegen Flüchtlinge, der Islamfeindlichkeit, des Rassismus gegen Sinti und Roma, des Sozialdarwinismusmus und nicht zuletzt des Sexismus und der Homophobie. "Nach wissenschaftlich fundierten Untersuchungen verfügten 2016 etwa fünf Prozent der Deutschen über ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild", resümieren Nerdinger und sein Team. "Einzelne Bestandteile rechtsextremer Weltanschauung sind aber bis weit in die Mitte der Gesellschaft verbreitet."
Ein idealer Nährboden für das völkisch-rassistische Gedankengut von Rechtsextremisten, ob sie nun in Gruppen organisiert sind oder als Einzeltäter handeln. 192 Opfer rechter Gewalt seit 1990 hat die Antonio Amadeu Stiftung in Deutschland gezählt. Die Ausstellung macht sich diese Zahl zu eigen und nennt die Namen, bis hin zu den neun Toten des OEZ-Anschlags vom vergangenen Jahr. "Wir ordnen das ein", sagt Nerdinger. "Und wir exponieren uns." Diejenigen, um die es in der Ausstellung geht, haben schon am Eröffnungstag des NS-Dokuzentrums vor zweieinhalb Jahren gezeigt, wie wichtig die Einrichtung ist. Neonazis demonstrierten damals gegen den "antideutschen Schuldkult".
Die Sonderausstellung läuft bis 2. April 2018. Das NS-Dokumentationszentrum ist Dienstag bis Sonntag von 10 bis 19 Uhr geöffnet.