Als die Bombe des NSU vor dem Friseurgeschäft in der Kölner Keupstraße explodiert, sitzt Atilla Ö. im Laden direkt vor dem Fenster. 22 Menschen werden bei dem Anschlag im Juni 2004 verletzt. Atilla Ö. erleidet Schnittverletzungen an Kopf und Arm. Eine Frau namens Meral Keskin ist nicht unter den Opfern. Der Eschweiler Anwalt Ralph W. nimmt für die Frau, die es nicht gibt, trotzdem an mehr als 230 Verhandlungstagen als Nebenklagevertreter am NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München teil. Erst zweieinhalb Jahre nach Prozessbeginn fliegt der Schwindel auf. Nun hat der Anwalt die Rechnung bekommen.
Das Oberlandesgericht München fordert exakt 211 252,54 Euro von W. zurück, für Reisekosten und Vorschüsse auf Sitzungsgebühren. Zuständig für die Vollstreckung der Rückforderung ist die Landesjustizkasse am Sitz des Oberlandesgerichts Bamberg. Dessen Sprecher sagt, die Zahlungsaufforderung sei Ende Oktober an W. rausgegangen. Er sagt auch, dass sich der Anwalt gegen die Forderung wehrt. W. gibt demnach an, er habe nicht gewusst, dass es das Opfer gar nicht gibt. Ihm sei das Mandat vermittelt worden und er habe sich darauf verlassen, dass Meral Keskin existiert.
Der Münchner Senat hält an seiner Forderung fest. Der Beschluss ist rechtskräftig. W. wehrt sich weiter. "Mein Mandant ist willens, sämtliche Rechtsmittel und Rechtsbehelfe auszuschöpfen", sagt dessen Verteidiger Peter Nickel.
Der Vorwurf: Anwalt W. soll sich mit einem echten NSU-Opfer zusammengetan haben
Die Staatsanwaltschaft Aachen ermittelt seit Oktober 2015 wegen des Verdachts des Betrugs gegen Anwalt W. Der Vorwurf: W. soll sich gemeinsam mit dem echten NSU-Opfer Atilla Ö. das falsche Opfer ausgedacht haben. W. bestreitet dies. Auch gegen Atilla Ö. wurde wegen Betrugs ermittelt. Zuständig in seinem Fall war die Staatsanwaltschaft Köln. Am 23. September ist Ö. nach schwerer Krankheit gestorben. Das Ermittlungsverfahren gegen ihn wurde sechs Tage später eingestellt.
Ralph W. hatte Atilla Ö. angezeigt und beschuldigt, ihm die Existenz von Meral Keskin vorgegaukelt zu haben. Die Version von Ö. geht anders. Aus Justizkreisen heißt es, Ö. habe ausgesagt, W. habe von Anfang an gewusst, dass Meral Keskin nicht existiert. Ö. sagte auch, dass er sich Geld von W. versprochen habe. Er habe aber lediglich 1000 Euro bekommen. W. widerspricht dieser Darstellung.
W. bleibt nach Angaben seines Verteidigers dabei: Er sei immer davon ausgegangen, dass Meral Keskin existiert. Aber wie kann ein Anwalt nicht merken, dass er keine Mandantin hat? W.s Antwort: Ö. habe ihm eine Frau als Meral Keskin vorgestellt, die ausschließlich Türkisch sprach. Die Kommunikation sei daher vollständig über Ö. gelaufen. Der Anwalt will die Frau ein einziges Mal gesehen haben. Erst im Oktober 2015 will er dann erfahren haben, dass diese Frau nicht Meral Keskin war, sondern die Mutter von Ö.
In seinem Antrag auf Zulassung der Nebenklage an das Oberlandesgericht München hat W. seine Version, er habe nie direkt mit dem vermeintlichen NSU-Opfer gesprochen, nicht erwähnt. Er spricht in dem Antrag stattdessen von einer Vernehmung durch die Polizei. Wenn er wirklich an die Existenz des Opfers geglaubt hat: Fiel ihm nie auf, dass es in den Prozessakten kein Protokoll dieser Vernehmung gibt?