Weiße-Rose-Gedenken:"Diese Richter waren Hin-Richter"

Lesezeit: 3 min

In der Ausstellung im Münchner Justizpalast wird der Mitglieder der Weißen Rose gedacht - und des Unrechts, das ihnen und anderen unter der NS-Justiz angetan wurde. (Foto: Stephan Rumpf)

Bei der Eröffnung der neuen Ausstellung im Münchner Justizpalast wird endlich angesprochen, was jahrzehntelang weggedrückt wurde: die Verantwortung der Justiz im NS-Staat.

Von Annette Ramelsberger

Sie hatten ein Kunststück fertiggebracht. Sie hatten es geschafft, aus Unrecht Recht zu machen, und so zu tun, als hätten sie gar nicht anders handeln können: eine ganze Generation willfähriger Richter und Staatsanwälte, die dem Terrorregime der Nationalsozialisten treu gedient hatte und danach fast bruchlos in der Bundesrepublik weitermachte. Das galt selbst für die Blutrichter des Volksgerichtshofs, die 1943 und 1944 über die Widerstandskämpfer der Weißen Rose urteilten und Todesurteile verhängten. Ein Lehrstück kollektiver Vertuschung.

Das hat sich nun geändert. In einer neu gestalteten Ausstellung im originalgetreu erhaltenen Weiße-Rose-Gerichtssaal wird seit Mittwoch nicht nur der Widerstandskämpfer gedacht, sondern auch der Schleier der Rechtfertigungen gehoben. Es wird gefragt: Was hatte die Justiz mit den NS-Verbrechen zu tun und warum wurden diese nach dem Krieg nicht geahndet? Es ist eine treffende Frage, mit einer peinlichen Antwort.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

"Es wurden immer verfeinerte Begründungen erdacht, warum das kein Unrecht sein konnte, was die Richter taten", sagte der Präsident des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, Hans-Joachim Heßler, auf die Fragen von Ulrike Heidenreich, der Chefin des Ressorts München-Region-Bayern der SZ, die die Diskussion an diesem Abend leitete. Als Heßler 1985 als junger Jurist im Münchner Justizpalast anfing, erinnerte nichts daran, dass hier sechs Todesurteile gegen Mitglieder der Weißen Rose ergangen waren: gegen Hans und Sophie Scholl, gegen Christoph Probst, Willi Graf, Alexander Schmorell und ihren Mentor, Professor Kurt Huber. Und auch in den Jahren danach, sagte Heßler, habe es lange nur zwei kleine Tafeln gegeben, die an die dunkelsten Stunden der deutschen Justiz in München erinnerten.

Jetzt ist das anders: Mitten im Justizpalast, an jenem Ort des Schreckens, in dem 1943 Todesurteile fielen, traf sich am Mittwoch fast die gesamte Führungsebene der Münchner Justiz, aktuelle und ehemalige Gerichtspräsidentinnen und -präsidenten, Staatsanwälte, Ministeriale. Und die Historiker Hans Günter Hockerts und Christoph Safferling erklärten ihnen, was diese Gerichtsverfahren in Wirklichkeit waren: Auftragsmorde für die NSDAP.

Kritischer Blick auf die NS-Justiz: Ulrike Heidenreich (von vorne nach hinten), Hans-Joachim Heßler, Hildegard Kronawitter, Georg Eisenreich, Markus Schmorell und Charlotte Bühl-Gramer bei der Eröffnung der Ausstellung. (Foto: Robert Haas)

Ein paar Wochen vor der Entdeckung der Weißen Rose war der Münchner Gauleiter Paul Giesler in der Universität von Studierenden ausgelacht worden. Dann wurden einige der Mitglieder der Gruppe bei ihrer Flugblattaktion ausgerechnet in der Uni erwischt, an ihnen sollte ein Exempel statuiert werden. Giesler kabelte nach Berlin, direkt in die Reichskanzlei, er wünsche "schnelle Aburteilung, Vollstreckung alsbald". Mit dem Nachtzug kam der Präsident des Volksgerichtshofs, Roland Freisler, nach München, am gleichen Tag sprach er die Todesurteile, nur Stunden später wurden die Angeklagten hingerichtet. Dabei stand auf das, was ihnen vorgeworfen wurde, nicht einmal unter den Nationalsozialisten die Todesstrafe. Und auf keinen Fall hätte Christoph Probst verurteilt werden dürfen, der bei keiner Flugblattaktion dabei gewesen war. "Diese Richter waren Hin-Richter", sagte Historiker Hockerts. "Sie machten sich zu Handlangern des Terrors."

"Das Bedürfnis nach authentischen Orten wächst"

Umso unverständlicher war, warum nach dem Krieg niemand die Blutrichter zur Verantwortung zog. Freisler selbst war bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen, aber es gab ja noch seine Kollegen. Doch kein einziger der Richter des Volksgerichtshofs wurde von einem bundesdeutschen Gericht verurteilt und auch kaum andere NS-Richter. Safferling, Direktor der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien, sagte: "Viele Jahre lang hat diese Generation sich und uns erfolgreich eingeredet, sie sei hilflos den nationalsozialistischen Angriffen auf den Rechtsstaat ausgeliefert gewesen, sie habe doch nur die Gesetze angewendet und sei unschuldig am Inhalt der Gesetze und ebenso an den Ergebnissen der Urteile."

Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) sagte, der Terror der Nationalsozialisten sei nur möglich gewesen, "weil sich viele Juristen in den Dienst der Nazis gestellt haben". Es sei wichtig, dass man aus der Geschichte lerne für die Gegenwart. "Alle sagen, die Gesellschaft muss sich gegen Demokratiefeinde wehren. Aber wer ist die Gesellschaft? Die Gesellschaft, das ist jeder Einzelne."

Der Saal, in dem Freisler die Todesurteile sprach, ist nach der Eröffnung schnell überfüllt. Er könnte eine Brücke schlagen vom Heute zum Damals. "Das Bedürfnis nach authentischen Orten wächst, gerade bei jungen Menschen", sagte die Nürnberger Pädagogikprofessorin Charlotte Bühl-Gramer. Und junge Menschen seien stark am Unrecht der NS-Zeit interessiert. Beim Blick in den Gerichtssaal könne sich auch niemand mehr ins "tröstende Gedächtnis an die jungen, mutigen Menschen der Weißen Rose" flüchten. Hildegard Kronawitter, die Vorsitzende der Weiße-Rose-Stiftung, hatte immer ein Unbehagen verspürt, dass der authentische Saal im Justizpalast nicht stärker zum Gedenken genutzt wurde. Sie sagte: "Es war nicht nur Freisler."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusGefangen im KZ Dachau
:"Warum bin ich verhaftet worden? Warum?"

Am 22. März 1933 verschleppt das NS-Regime die ersten politischen Gegner in das noch chaotische Konzentrationslager Dachau. Häftling Nummer 1, Claus Bastian, fragte sich zeitlebens, weshalb er ins Lager musste.

Von Thomas Radlmaier

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: