Nachruf:Pfiat di, Carl-Ludwig

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Das Lakonisch-Hinterfotzige war zeitlebens sein Ding - Carl-Ludwig Reichert ist tot. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Der große bayerische Rock- und Bluesmusiker, Lyriker und Schriftsteller Carl-Ludwig Reichert ist tot.

Von Franz Kotteder

"Pfiat di Mama, pfiat di Papa, i seil' mi ob, weil's mia jetzt glangt", rumpelte es 1982 aus dem Lautsprecher des orangefarbenen Plattenspielers mit dem schönen Namen Mr. Hit, "i hock' mi auf mein Feierstui und fahr' no a bissl umanand!" Die schräge Rocknummer mit dem schönen Titel "Familienlem" war das erste Lied auf der Schallplatte "Negamusi" der legendären bayerischen Bluesrockband Sparifankal, und sie gehörte damals schon längst zu den Klassikern des Genres.

Sparifankal, das ist der altbairische Begriff für eine leicht überdreht und sehr gspinnerte Version des Höllenfürsten, die man nicht so richtig ernst nehmen kann. Und die Band Sparifankal war seit 1972 sozusagen die vorherrschende musikalische Ausdrucksform von Carl-Ludwig Reichert. Der Gitarrist und Sänger war einer der Erfinder des bayerischen Mundart-Rocks und -Blues, und er war zuvor bereits als Mundartdichter zusammen mit Michael Fruth unter dem Pseudonym Benno Höllteufel hervorgetreten.

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Seine Lyrik war allerdings meilenweit entfernt von den Verserln des weitaus bekannteren Helmut Zöpfl. Es handelte sich vielmehr um avantgardistische, anarchistische Gedichte, die eher an die großen Österreicher H. C. Artmann oder Ernst Jandl erinnerten. Hier zeigte sich ein ganz anderes Bayern, ein viel wilderes und freieres, als es die CSU erlaubt. Carl-Ludwig Reichert lebte damals mit den anderen Sparifankal-Musikern in einer Landkommune auf dem Leitnerhof in Kreuzpullach, und die Lieder, die sie spielten, hießen "Dees Land is koid", "Da braune Baaz", aber auch "I mechd di gean amoi nackad seng".

Das Lakonisch-Hinterfotzige war zeitlebens sein Ding. Daher vielleicht seine große Liebe zum Blues, dessen herausragendste Vertreter und dessen klassischen Kanon er intensiv studierte. Schon früh ließ er sich aus den USA Videos und DVDs mit Konzertaufnahmen der Blues-Größen schicken, die selbst in Amerika nur unter besonderen Nerds kursierten. Eine gewisse fröhliche Melancholie, die den Fährnissen des Lebens nicht ohne Humor zu Leibe rückt, ist dem Blues eigen. Und sie passte auch sehr gut zu Carl-Ludwig Reichert. Der entdeckte den Blues im zarten Alter von zwölf oder 13 Jahren, erzählte er später, als er einmal seine Tante in Zürich besuchte.

Und dort, im Jazzclub Afrikana, gab es einen schwarzen Barpianisten, der gelegentlich Blues spielte, wenn nachmittags sonst niemand außer dem kleinen Carl-Ludwig da war. Der Pianist war Champion Jack Dupree, einer der Größten des Piano-Blues überhaupt. Aber das war damals in Europa noch so gut wie niemandem klar. Später, als Reichert Musikmoderator unter anderem für den Zündfunk des Bayerischen Rundfunks war (und 41 Jahre lang blieb), interviewte er Dupree und erzählte dabei die Anekdote in seiner typischen, eigenwilligen Art.

Geboren und aufgewachsen in Ingolstadt, war Reichert schon früh ein rebellischer Geist - zumindest, was den Intellekt anging. Obwohl selbst zweifellos ein Genie, war ihm Geniekult völlig fremd, viele Gemeinschaftswerke zeugen davon. Als seine erste größere Buchveröffentlichung erschien zum Beispiel 1970 "Die Ducks - Psychogramm einer Sippe" unter dem Pseudonym Grobian Gans; Reichert schrieb die soziologische Parodie zusammen mit Michael Czernich und Ludwig Moos. Mit Herbert Kapfer schrieb er "Umsturz in München" über Schriftsteller in der Räterepublik, und mit Hans Well von der Biermösl Blosn übersetzte er Asterix ins Bairische. Als Solist verfasste der studierte Altphilologe und Literaturwissenschaftler Reichert später nicht nur populäre Monografien über den Blues (selbstverständlich!) und über Folk-Musik für den Deutschen Taschenbuch-Verlag, sondern auch Biografien über Frank Zappa und die Ingolstädter Autorin Marieluise Fleißer. Immer fand er dabei ungewöhnliche Zugänge, die kein anderer fand. Und trotz seines erstaunlichen Wissens verzichtete er stets auf Faktenhuberei. Nur manchmal ließ er durchblicken, dass er schon könnte, wenn er denn wollte... Ohne ein ironisches Leuchten in den Augen ist das allerdings nie passiert.

Zwischen und nach all den Radiosendungen und Büchern gab es immer auch Musik, mal mit der Band Wuide Wachl und später auch mit Sparifankal 2. Der große Erfolg blieb Reichert damit zwar versagt, aber darauf hatte er es genaugenommen schon bei der ersten Sparifankal-Version nie angelegt. Musik machen war ihm im Grunde Freude genug. Leider ist nun aber die schöne Liedzeile aus dem eingangs zitierten "Familienlem" wahr geworden: "I seil' mi ob, weil's mir jetzt glangt!" An diesem Montagabend ist Carl-Ludwig Reichert im Alter von 77 Jahren verstorben.

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